Hanau Warum dieser Tag vor vier Jahren für meine Generation alles verändert hat

Fotos der Opfer erinnern Menschen am Tatort in Hanau-Kesselstadt
Fotos der Opfer erinnern Menschen am Tatort in Hanau-Kesselstadt an das rassistische Attentat
© Boris Roessler/ / Picture Alliance
Rostock-Lichtenhagen oder die Morde des NSU waren mir nur aus Erzählungen oder Kindheitserinnerungen bekannt. Mit dem Anschlag in Hanau musste ich mich, wie viele meiner Generation, auch als Erwachsener mit rechtsextremer Gewalt auseinandersetzen.

Wenn sich an diesem Montag das rassistische Attentat von Hanau zum vierten Mal jährt, wäre an dieser Stelle unter normalen Umständen wohl nur eine kurze Meldung erschienen. Einzig und allein der kontinuierlichen Arbeit der Angehörigen und Familien der Opfer ist es zu verdanken, dass man heute noch immer in dem Ausmaß über die rassistischen Morde spricht. Sie haben es geschafft, eine neue Erinnerungskultur zu schaffen, unter der die Namen der Opfer deutlich präsenter erscheinen als das Gesicht des Täters. 

Hanau ist für viele junge Menschen eine Zäsur gewesen. Die neun Morde von Hanau reihen sich ein in eine lange Liste rechtsextremen Terrors in der BRD: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, die Mordserie des NSU – all diese Angriffe sind zwar nicht vergessen, aber jungen Menschen wie mir meist nur aus Geschichtsbüchern, Erzählungen oder verschwommenen Kindheitserinnerungen bekannt. Was sie mit Hanau verbindet, ist die Stigmatisierung der Opfer und das Herunterspielen der Gefahren des Rechtsextremismus

Der 19. Februar 2020 hat meine Generation daher in einem ähnlichen Ausmaß politisiert wie Generationen zuvor Lichtenhagen und der NSU. Es war die Nacht, an der eine bereits konkrete Angst zur Wirklichkeit wurde. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov wurden an einem Ort ermordet, der besonders jungen Menschen mit Migrationsgeschichte als Rückzugsort galt. Auf genau diese jungen Menschen hatte es der rassistische Attentäter in dieser Nacht abgesehen. 

Hanau hat das Vertrauen in Polizei und Behörden erschüttert

Neben der daraus resultierenden Angst ist es vor allem die Ohnmacht, die den 19. Februar zu dem prägenden Moment im politischen Coming-of-Age der Gen Z macht. Hanau hat auch das Vertrauen von jungen Menschen in die Ermittlungsbehörden erschüttert. Struktureller Rassismus in der Polizei wirkte wie ein Problem der Neunziger- und Nullerjahre. Was auf die rassistisch motivierten Morde an neun Menschen jedoch folgte, waren 13 SEK-Beamte aus rechtsextremen Chatgruppen am Tatort, eine aus Sicht der Opferfamilien unzureichende Aufarbeitung der Behörden und Politiker, wie Hessens Innenminister Peter Beuth, die im Untersuchungsausschuss den eigenen Anteil an der rechtsextremen Bedrohung von sich weisen. 

In Zeiten, in denen rechte Parteien offen Deportationspläne schmieden und 20 Prozent der Wähler laut Umfragen damit kein Problem zu haben scheinen, liegt es erneut an den Jungen, Rassismus aufzuzeigen und entgegenzuwirken. Besonders die weiße Mehrheitsgesellschaft, zu der auch ich zähle, sollte sich dabei verpflichtet fühlen, die Arbeit der Angehörigen von Hanau weiterzutragen und die vielen Opfer rechtsextremen Terrors nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Statt die Morde zu verdrängen, sollte man sie nutzen, um für Veränderung zu sorgen: mit kritischem Hinterfragen festgefahrener Strukturen, mit aufrichtiger Anteilnahme und mit demokratischer Beteiligung an Wahlen und Protesten.