Midterm-Elections John Fetterman: Die Hoffnung der Demokraten trägt Carhartt und Cargoshorts

John Fetterman
Der Demokrat John Fetterman gilt als Favorit auf das Senatorenamt in Pennsylvania 
© Matt Rourke / Picture Alliance
Lange Zeit galten die Bundesstaaten des Rust Belts als demokratische Hochburgen bei US-Wahlen. Durch den wirtschaftlichen Abstieg und den populistischen Wahlkampf von Donald Trump hat sich das geändert. John Fetterman will Pennsylvania nun zurückgewinnen.

John Fetterman ist eine Erscheinung. Der 2,07 Meter große Politiker aus Pennsylvania entspricht dem Gegenteil von so ziemlich jedem Klischee der demokratischen Partei. Tattoos, Blaumann, Glatze und Bart – der demokratische Kandidat für den Senatorenposten im wichtigen Swing-State wirkt nicht wie die akademische Elite aus New York oder Kalifornien. Er macht Politik mit einfachen Aussagen, die nahe an den Menschen in der gebeutelten Region sind. Das könnte ihm im wohl bizarrsten Rennen der Midterms den entscheidenen Vorteil geben.

Midterms entscheiden über Verlauf von Bidens Präsidentschaft

In gut einem Monat, am 8. November, wählen die USA einen neuen Kongress. Die größte landesweite Wahl nach den Präsidentschaftswahlen findet stets in der Mitte einer Legislaturperiode statt. Die Bürger:innen wählen dann das gesamte Repräsentantenhaus mit insgesamt 435 Abgeordneten neu. Zudem wird ein Drittel der Sitze des Senats, also 35 Sitze, neu gewählt. Derzeit verfügt die demokratische Partei von Präsident Joe Biden in beiden Kongresskammern über eine hauchdünne Mehrheit. Im Repräsentantenhaus besetzen sie 222 der 435 Sitze. Im Senat ist die Mehrheit noch knapper. Republikaner und Demokraten verfügen jeweils über 50 Sitze. Nur die Extra-Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris gibt hier den Ausschlag. Umso brisanter also, dass die Karten nun neu gemischt werden.

Von den 35 Senatssitzen werden aktuell 14 von Demokraten und 21 von Republikanern gehalten. Die meisten von ihnen gelten aufgrund des Zweiparteiensystems als sicher. Allerdings würde es den Republikaner genügen, zwei Staaten zurückzugewinnen, die bei der Wahl vor zwei Jahren noch an Joe Biden gingen: Wisconsin und Pennsylvania. Ein Erfolg in den Swing States könnten die Amtszeit von Joe Biden deutlich erschweren.

Fernsehdoktor gegen Lokalpolitiker

Die meisten politischen Beobachter:innen schauen derzeit vor allem auf das Rennen in Pennsylvania. Schließlich ist es nicht nur eins der wichtigsten Rennen, sondern wohl auch das bizarrste. Bei den Republikanern konnte sich der bekannte Fernsehdoktor Mehmet Oz durchsetzen. Der Herzchirurg hatte lange Zeit eigentlich eine hervorragende Reputation, bis er diese mit Fernsehauftritten und fragwürdigen Heilmittelempfehlungen ruinierte. Kurz vor seiner Zeit im Weißen Haus hatte sich Trump bei ihm einen Check-up-Termin geben lassen. Vor laufenden Kameras attestierte Oz Trump einen Body-Mass-Index von 29,6. "Er wird der gesündeste Präsident aller Zeiten sein", sagte Oz damals. Die Schmeicheleien zahlten sich aus. Durch den Support des immer noch sehr populären Ex-Präsidenten gewann Dr. Oz die Vorwahl gegen den rechten Hardliner Dave McCormick.

Größere Chancen auf das Amt dürfte jedoch der Demokrat John Fetterman haben. Derzeit ist der 53-Jährige Vizegouverneur in Pennsylvania. Unentschlossenen Wähler:innen scheint der Mix aus progressiver linker Politik und dem Auftreten eines ehrlichen Arbeiters zu gefallen. Dabei liest sich Fettermans Werdegang anders als sein Aussehen vermuten lässt.

John Fetterman: The Big ol' Boy from Pennsylvania

Fetterman wuchs in der Mittelschicht von York, Pennsylvania auf. Seine Eltern waren konservative Republikaner. Nachdem er die vier Jahre am College hauptsächlich mit einer semi-professionellen Football-Karriere verbrachte, schloss er ein Wirtschaftsstudium an der University of Connecticut ab, um eines Tages die Versicherungsfirma seines Vaters zu übernehmen. Während seines Studiums starb einer seiner besten Freunde bei einem Autounfall. Es war die drastische Wende im Leben von Fetterman. Er engagierte sich daraufhin bei den sozialen Organisationen "Big Brothers Big Sisters of America" und "AmeriCorps". 1999 schloss er ein Masterstudium in Public Policy an der renommierten Harvard University ab.

Trotz dieses beeindruckenden Resümees ist er bei den Wählerinnen hauptsächlich als Bürgermeister des 2000-Seelendorfes Braddock bekannt. Von 2006 bis 2019 setzte er sich wie kaum ein anderer Lokalpolitiker für die Bewohner dieser heruntergekommenen Region ein. Pennsylvania profitierte im 19. und 20. Jahrhundert von der schnellen Industrialisierung in den Vereinigten Staaten. Durch Eisenerz- und Erdölförderungen im Nordosten des Landes entstanden in den Staaten schnell urbane Zentren, der sogenannten Manufacturing Belts. Chicago und Milwaukee waren Zentren der Lebensmittelindustrie, Detroit war für die aufkommende Autoindustrie zuständig und Pittsburgh sowie der Rest von Pennsylvania kümmerten sich um die Stahlindustrie.

Die vielen Industriearbeiter:innen dieser Region sorgten jahrzehntelang dafür, dass Staaten wie Pennsylvania, Michigan oder Wisconsin als feste Hochburgen der demokratischen Partei galten. Durch den Strukturwandel und den Niedergang der Stahlindustrie in den 1970er Jahren wurde aus dem Manufacturing Belt dann aber der Rust Belt. Viele Unternehmen gingen pleite, Großstädte verkamen und die Wähler:innen fühlten sich im Stich gelassen. Kein Wunder also, dass Donald Trump mit seinem populistischen Schlachtruf "America First" hier besonders Anklang fand. Der Verlust der sogenannten "blue wall" im Nordosten der USA gilt als entscheidender Faktor für die Wahlniederlage von Hillary Clinton bei den Präsidentschaftswahlen 2016.

Moderate Politik im Kapuzenpullover

John Fetterman ist ein Musterbeispiel, wie man diese enttäuschten Wähler:innen langfristig zurückgewinnen könnte. In Kapuzenpullover und kurzer Hose vertritt er progressive, arbeitnehmernahe Positionen und inszeniert sich als einer von ihnen. Er macht Wahlkampf mit der Legalisierung von Cannabis, fordert eine Strafjustizreform, will die Rechte von Gewerkschaften schützen, den Mindestlohn erhöhen und eine gesetzliche Krankenversicherung sowie strengere Waffengesetze durchsetzen. Feuerwaffen gänzlich verbieten will er allerdings nicht. Zudem verteidigt er die Polizei und hat seine abneigende Haltung gegenüber Fracking in den letzten Jahren abgelegt. Diese moderate Politik scheint bei den Wähler:innen gut anzukommen. Auf seinen Wahlkampfveranstaltungen tummeln sich neben demokratischen Stammwähler:innen, auch viele Menschen, die vor sechs Jahren noch ihr Kreuz bei Donald Trump gemacht haben.  

Selbst ein früherer Skandal kann Fetterman bisher nichts anhaben. Im Januar 2013 nutzte er eine Schusswaffe, um einen schwarzen unbewaffneten Jogger zu inhaftieren. Der Vorwurf des Rassismus wurde laut. Fetterman entschuldigte sich später und argumentierte, er hätte einen lauten Knall gehört, dem er einer Waffe zuordnete. Er hätte nicht gewusst, dass die Person schwarz und unbewaffnet war. Fetterman gestand falsche Mittel genutzt zu haben, um das Richtige zu tun: seine Familie zu schützen. Einen Einfluss auf seine Popularität hatte das nicht. Selbst das damalige Opfer Christopher Miyares sagte vor kurzem in einem Interview, dass Fetterman bei den Wahlen im November wohl seine Stimme bekommen würde.

Gesundheitliche Probleme lassen Vorsprung in Umfragen schrumpfen

Moderate Wähler:innen, die sich weder als Demokraten noch Republikaner verstehen, konnten sich lange deutlich mehr mit Fetterman identifizieren als mit der schillernden Fernsehpersönlichkeit Mehmet Oz. Im August führte er die Umfragen mit komfortablen zwölf Prozentpunkten an. Dieser Vorsprung ist inzwischen auf sechs Prozent geschrumpft. Das liegt allerdings nicht an der Beliebtheit von Dr. Oz, sondern vielmehr am gesundheitlichen Zustand von Fetterman.

Im Mai dieses Jahres erlitt Fetterman einen Schlaganfall. Die Wahlkampagne von Mehmet Oz konzentriert sich seither vor allem darauf, Fettermans Gesundheit in Frage zu Stellen. Oz ging so weit, ein Video zu veröffentlichen, in dem er verlauten ließ: "Wenn John Fetterman jemals auch nur ein Gemüse in seinem Leben gegessen hätte, hätte er wahrscheinlich keinen Schlaganfall bekommen".

Auch wenn sich Dr. Oz später für die Anschuldigungen entschuldigte, haben sich seine Vorwürfe in den Köpfen verfangen. Lokale Medien machen immer wieder auf sprachliche Aussetzer in Fettermans Interviews aufmerksam. Republikaner sprachen ihm wiederholt die nötige Gesundheit für das Amt ab. Fetterman selber zog sich daraufhin in die sozialen Medien zurück. Dort revanchierte er sich bei Oz, in dem er diesen als reichen Snob aus New Jersey darstellte. Für einen Wahlwerbespot heuerte er sogar Reality-TV-Star Snooki aus der MTV-Serie "Jersey Shore" an. Sie bat Oz in einer Videobotschaft, doch lieber das leichte Leben im Nachbarstaat zu genießen Staat statt für den Senat in Pennsylvania zu kandidieren. Die Fronten sind verhärtet. Am 25. Oktober wollen Oz und Fetterman zum ersten Mal zu einem TV-Duell zusammenkommen.

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Einen Monat vor der Stimmabgabe, steht die Wahl in Pennsylvania auf Messers Schneide. Sollten die Demokraten den wichtigen Senatssitz gewinnen, ist es wohl vor allem Fetterman und seinem unkonventionellen, ehrlichen Auftreten zu verdanken. Durch seine einfache progressive Message findet er Anschluss bei einer verloren geglaubten Wählergruppe: den Industriearbeiter:innen von Pennsylvania. Zwei Jahre vor den Präsidentschaftswahlen könnte dies die wichtigste Erkenntnis für die strauchelnde Partei sein.