Hinter der Geschichte Der unfassbare Herr Aiwanger

Hinter der Geschichte: Der unfassbare Herr Aiwanger
© STERN
Terminabsage, Autounfall, Schweinsbraten: Wie der Freie Wähler-Chef und ich einen ganzen Tag lang nicht zueinanderfanden.

Making-of – so heißt unser neues Format auf stern.de. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen, davon, was wir bei Recherchen erleben und was uns in der Redaktion bewegt. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.

Abfahrt um fünf Uhr morgens. Der Mietwagen duftet nach Innenraumspray, die Straßen sind noch leer, der Tag dämmert blassblau, freie Fahrt gen Süden. Endlich wieder unterwegs – ich mag dieses Gefühl, mal zur Abwechslung Reporter zu sein. Jedenfalls, wenn ich aufbreche. Hinterher schaut man manchmal anders drauf, so wie nach dieser Reise. Aber eins nach dem anderen. 

Für einen Berliner Politik-Journalisten gibt es wenig Schöneres, als rauszufahren. Ins Land, wo die normalen Menschen leben. Natürlich machen wir das meistens, um Politiker zu beobachten, wie sie sich schlagen, wenn sie dem Wähler Aug in Aug gegenüberstehen. Aber manchmal interessiert uns auch, wie sich die Bürger verhalten, wenn sie bestimmten Politikern begegnen. Hubert Aiwanger zum Beispiel. 

Der Chef der Freien Wähler, Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef in Bayern hatte kurz vor der Landtagswahl im Freistaat eine ziemlich unangenehme Affäre am Hals, nachdem herausgekommen war, dass in seiner Gymnasialzeit ein ekelhaftes Flugblatt in seinem Schulranzen gefunden worden war. Man muss die unappetitliche Geschichte hier nicht noch einmal aufwärmen. Aiwanger hat sich am Ende durchgemogelt, auch weil sein Koalitionspartner Markus Söder von der CSU fürchten musste, dass seine eigene Partei noch mehr Stimmen verliert, wenn er seinen Stellvertreter rausschmeißt. So weit bekannt.

Schon der Auftakt ein Fehlschlag

Als ich Ende September auf der A9 gen Bayern fuhr, war der Ausgang allerdings noch nicht so klar. Deshalb wollte ich Aiwanger beobachten und sehen, wie die Wähler in Bayern reagierten. Also steuerte ich nach mehreren Stunden Fahrt als erstes eine Firma in Fürstenfeldbruck an, Ortsrand, Hightech-Betrieb im Industriegebiet. Am späten Vormittag war hier der Wirtschaftsminister angekündigt. 

Alle waren gekommen: die Firmenchefs, örtliche Honoratioren, die Polizei, ein paar neugierige Fürstenfeldbrucker, viele Journalisten und ich auch, ein wenig übermüdet. Nur einer kam nicht: Aiwanger. So kurzfristig hatte der Minister abgesagt, dass nicht einmal die Polizei davon wusste. Und ich schon gar nicht. Der Auftakt der Recherche war schon mal ein Fehlschlag.

Weiter ging’s nach Aschau im Chiemgau. Am Abend Auftritt von Hubert Aiwanger im Bierzelt. Dann plötzlich im Radio die Meldung, dass der Minister sich in München vorher noch zur Flugblatt-Affäre äußern würde. Blöd, dass ich an München nun schon vorbei war. 

Der Aiwanger und ich: gegensätzliche Rhythmen. Bin ich da, fehlt er. Ist er da, kann ich nicht. Auf der A8 in Richtung Salzburg wollte ich mir den Auftritt wenigstens im Livestream auf dem Handy anschauen. Also an der Raststätte Samerberg raus, aber leider für das Handy nicht mehr genug Datenvolumen. Bis das wieder aufgestockt war, vergingen ein paar Minuten. Und da war der Aiwanger auch schon fertig.

Schuldfrage eindeutig, Bußgeld gleich bezahlt

Also weiter nach Aschau. Erst mal an der Raststätte ausparken schepper, knirsch. Leider hatte ich ein Auto übersehen, das gerade hinter mir vorbeifuhr. Ein Vater aus Rheinland-Pfalz mit seiner Tochter unterwegs nach Österreich. 

Schramme im Auto: Das hätten der Vater und seine Tochter jetzt nicht auch noch gebraucht
Schramme im Auto: Das hätten der Vater und seine Tochter jetzt nicht auch noch gebraucht
© Nico Fried / STERN

Die Tochter auf Heimatbesuch hatte am Tag zuvor einen Anruf erhalten, dass in ihre Wohnung in Österreich eingebrochen worden war. Einen Autounfall und eine dicke Schramme in der Seite ihres Autos hätten die beiden jetzt nicht auch noch gebraucht. Tut mir sehr leid, natürlich Polizei anrufen, Schuldfrage eindeutig, Bußgeld gleich mit Scheckkarte bezahlt, beide können weiterfahren, auf Wiedersehen. 

In Aschau war’s dann eigentlich ganz schön. Ich mag Bierzelte. Und ich liebe Schweinsbraten mit Kruste und Knödel. Der Aiwanger redete, ich bestellte. Danach ging der Aiwanger mit beseeltem Lächeln durch die Reihen, die Kellnerinnen mit dem Essen. Der Aiwanger näherte sich unserem Tisch, hinter ihm die Kellnerin mit meinem Schweinsbraten. 

Nahaufnahme Schweinsbraten mit Gabel
Schweinsbraten im Bierzelt: Also blieb ich sitzen
© Nico Fried / STERN

Ich hätte jetzt wahrscheinlich aufstehen müssen, mich vor ihn hinstellen, fragen: "Grüß Gott, Herr Aiwanger, mein Name ist Nico Fried vom stern, wann treten Sie zurück?" Keine Ahnung, was dann passiert wäre, wahrscheinlich nichts. Aber was weiß man schon. Und der Schweinsbraten wäre vielleicht kalt geworden. Kalte Kruste, ungenießbar. Haut auf der Bratensoße, auch nicht schön. Also blieb ich sitzen. Die Leute feierten den Aiwanger, ich bekam mein Essen. Was soll ich sagen? Keine Kruste.

Es war, mal vorsichtig formuliert, kein guter Tag. Und Sie sehen, dass Recherche nicht immer nur Vergnügen ist. Am Ende ist trotzdem eine Geschichte im stern daraus geworden. Auch weil ich am nächsten Tag zuschauen konnte, wie Markus Söder in einer riesigen Gummihose Karpfen aus einem mittelfränkischen Teich fischte. 

Ich habe daraus gelernt, dass mein Leben als Politik-Journalist in Berlin gar nicht so schlecht ist. Und diese Innenraumsprays in den Mietwagen riechen sowieso schrecklich.