Deutschland-Plan Steinmeier und die Sonnenblumen

SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier hat seinen "Deutschland-Plan" endlich offiziell vorgestellt. Hätte er ihn nicht mit dem Versprechen garniert, vier Millionen neue Jobs zu schaffen, wäre wenig Aufregung entstanden - denn das meiste steht bereits im SPD-Wahlprogramm. Die Grünen indes dürfen sich zu Recht etwas gekniffen fühlen.

Vier Millionen neue Jobs! Vollbeschäftigung! "Det is doch allet Quatsch", sagt unser Haustechniker, der im sechsten Stock in den Aufzug steigt. "Wo sollnse denn herkommen? Det hätten se dann auch in den letzten zehn Jahren machen können." Ping! Erdgeschoss. Der Haustechniker eilt heraus, für ihn ist alles gesagt. Frank Walter Steinmeier, Kanzlerkandidat der SPD, wird nur wenige Stunden später antworten. "Seien wir nicht kleinmütig!" ruft er in den proppenvollen Saal des ehrwürdigen Berliner Stadthauses. "Setzen wir uns ehrgeizige Ziele! Trauen wir uns gemeinsam mehr zu! Nur so kann Großes gelingen." Standing ovations.

Seit vergangenem Samstag kursieren Teile des sogenannten Deutschland-Planes in der Öffentlichkeit. Haften geblieben ist das Versprechen, vier Millionen neue Jobs zu schaffen. Viele Menschen empfinden das als unseriös, sie erinnern sich zu gut an ähnliche Versprechen von Helmut Kohl und Gerhard Schröder und was davon übrig blieb: nichts. Dass nun auch Steinmeier zum Joborakel wird, hat etwas mit der Schwäche der SPD zu tun. Er will ihr eine "konkrete Utopie" vorgeben, ein Ziel, für das es sich zu kämpfen und zu streiten lohnt. Andererseits hat er genug politische Erfahrung, um nicht in Illusionismus zu verfallen. Die selbst gezeichnete Ziellinie liegt im Jahr 2020. Und keiner der führenden Sozialdemokraten wagt zu beziffern, wie viele Jobs bis dahin über den Jordan gehen. Ob es also tatsächlich, am heutigen Stand gemessen, vier Millionen zusätzliche Jobs sind - wer weiß.

Jeder klaut, was er kriegen kann

Für die politische Konkurrenz war die Verkürzung auf das Job-Versprechen natürlich ein gefundenes Fressen. CSU-Chef Horst Seehofer sagte: "Mich erinnert das an längst vergangene Zeiten, dass man Politik durch Plan ersetzt." Die Generalsekretäre von FDP und CDU, Dirk Niebel und Ronald Pofalla, warfen Steinmeier Unglaubwürdigkeit vor. Das linke Vorstandsmitglied Ulrich Maurer ätzte: "Steimeiers Deutschland-Plan ist aus der Abteilung 'Wünsch Dir was'." Nur die Grünen, die ebenfalls ehrgeizige Beschäftigungsziele verfolgen, sparten sich ein Generalverdikt. Ihre Kritik hatte einen anderen Zuschnitt. Steinmeier betreibe "Produktpiraterie", klagte Spitzenkandidat Jürgen Trittin.

Und so ganz falsch ist das nicht. Denn Steinmeier setzt ebenso wie die Grünen auf einen ökologischen Umbau der Wirtschaft. Bei Steinmeier heißt das "Green Tech" (grüne Technologie), die Grünen sprechen vom "Green New Deal" (etwa: Neuer grüner Gesellschaftsvertrag). Gemeint ist dasselbe: Die Förderung energieeffizienter Produktion und die Weiterentwicklung umweltfreundlicher Angebote, vom Elektroauto über Windkrafträder und Solaranlagen bis zu Niedrigenergiehäusern. Die deutsche Industrie ist auf diesem Gebiet führend, und viele andere Länder fangen gerade erst damit an, ihre Umweltprobleme zu beackern - es steckt also zweifellos viel Musik in diesem Markt. Ist es Zufall, dass Steinmeiers Redepult im Stadthaus neben großen Vasen mit Sonnenblumen steht, dem Ursymbol der Grünen? Es sieht eher nach einer kleinen politischen Spitze aus. Nach dem Motto: Je röter die CDU wird, desto grüner wird die SPD. Jeder klaut, was er kriegen und vermarkten kann.

Beißhemmungen vor der CDU

Überhaupt: die CDU. Der ganze sozialdemokratische Rummel der vergangenen Monate, die frühe Präsentation des Wahlprogramms, die Vorstellung des Kompetenzteams, die Vorlage des Deutschland-Plans und die nun folgende Sommerreise Steinmeiers haben vor allem einen Zweck: die Union unter Druck zu setzen. Die SPD legt vor, die Union soll sich dazu verhalten und dabei ihre inhaltliche Leere offenbaren. Dieses Kalkül ging jedoch nie ganz auf, denn die Sozialdemokraten produzierten serienweise schlagzeilenträchtige Unfälle, die von den Sachfragen ablenkten. Der Fall Gesine Schwan, die verlorene Europawahl, Ulla Schmidts Dienstwagenaffäre. Die Union sah amüsiert zu - und setzt auch weiterhin auf die Verklärung Angela Merkels zur überparteilichen Superpräsidentin des vereinten Deutschlands. Diese Nische ist ihr auch deshalb sicher, weil die SPD nicht zum Frontalangriff neigt. Noch sitzt sie schließlich in einer gemeinsamen Regierung. Und eigentlich ist klar, dass sie nur in einer Großen Koalition weiterregieren kann. Ein Dilemma.

Die Beißhemmungen entsprechen indes auch dem Charakter Frank Walter Steinmeiers. Im Gegensatz zur Testosteronmaschine Gerhard Schröder, der allein zur Gaudi des Publikums mal ordentlich draufgehauen hätte, bleibt Steinmeier bei seiner Rede im Stadthaus gewohnt jovial und nüchtern. Acht Punkte aus seinem Deutschland-Plan stellt er vor, zunächst die Förderung der Industrie (eine Millionen Jobs), dann die Ausweitung von Arbeitsstellen in der Gesundheitswirtschaft (eine Million). der Kreativwirtschaft (500.000) und der Dienstleistungsbranche (500.00). Wie genau das funktionieren soll, ob über staatliche Investitionsprogramme oder anreizorientierte Wirtschaftspolitik, lässt Steinmeier offen. Im Galopp geht es weiter zur Förderung des Mittelstandes - dafür ist nun die "gute Heuschrecke" Harald Christ zuständig - und den Ausbau der Infrastruktur. Als Angela Merkel in ihrer ersten großen Rede zur Wirtschaftskrise die Verbreitung von DSL-Verbindungen ansprach, wurde sie noch belächelt. Inzwischen scheint just dieses Anliegen common sense zu sein. Schließlich fordert Steinmeier gebührenfreie Kitas und Studienplätze ("Bildung, Bildund und nochmals Bildung"), die Berufung von Frauen in Aufsichtsräte und eine bessere Regulierung der Finanzmärkte. All das war so ähnlich bereits im Wahlprogramm der SPD nachzulesen, der "Deutschland-Plan" wirkt wie eine Pocket-Ausgabe mit einem signalroten Cover, auf dem "Jobs, Jobs, Jobs" steht. Hätte sich Steinmeier zu schärferen Formulierungen entschlossen, hätte auch die Pocket-Ausgabe mehr Kraft. Gleichzeitig aber würde sie die Versäumnisse von elf Jahren sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung bloßstellen. Noch so ein Dilemma.

Politik nach Noten

Es bleibt der SPD das bange Hoffen, dass etwas beim Wahlvolk positiv verfängt. Dieses Hoffen spiegelt sich ironischerweise nicht nur in der Architektur des Stadthauses, das im Inneren einer Kirche ähnelt, sondern auch auf den Notenblättern des kleinen Orchesters, das neben Redepult, Sonnenblumen und der übermächtigen Bären-Skulptur Platz genommen hat. Die einzige Überschrift, die auf einem der Blätter zu entziffern ist, heißt: Maybe.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos