Weidel und Chrupalla "Jeder profiliert sich mit seinem Halbwissen" – wie sich die AfD in internen Chats über ihre Chefs streitet

Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Partei-Vorsitzenden der AFD sorgen selbst intern für Kritik an ihrer Führung
Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Partei-Vorsitzenden der AFD sorgen selbst intern für Kritik an ihrer Führung
© Kay Nietfeld / Picture Alliance / AP
Angebliche Bedrohungslage, möglicher Stich in den Oberarm: Die Vorgänge um Alice Weidel und Tino Chrupalla erregen die Gemüter auch innerhalb der AfD. In einer Chatgruppe sprechen Parteifreunde Klartext – und kritisieren die eigene Führung.

"KGB-Methoden!", schreibt ein Chatteilnehmer mit Blick auf den AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla, der während eines Auftritt ins Krankenhaus musste wegen eines möglichen Einstichs am Oberarm. Ein "versuchter Mord" sei das. "Hinweise auf ein Attentat verdichten sich zumindest", pflichtet ihm ein Kollege bei. Auch von "Hetzpresse" ist zu lesen. Der Anlass für die Aufregung im Chat: Das ARD-Morgenmagazin spricht mit der Polizei, die bisher keine Hinweise auf einen Anschlag gefunden hat.

Ohne lautes Gepolter kommt auch die private Facebook-Gruppe "Berliner AfD Salon" nicht aus. Der "Salon" hat rund 500 Mitglieder und zählt zu den etablierten Meinungsforen in der AfD-Welt. Etliche Parteifunktionäre und Bundestagsabgeordnete sind Mitglied, darunter früher auch Alice Weidel. Tino Chrupalla trat vergangenes Jahr bei.

Macht die AfD-Pressestelle "kollektiv Urlaub"?

Doch die Mitglieder diskutieren im "Salon" auch differenziert. In diesen Tagen setzten sie sich intensiv mit der Außendarstellung ihrer Partei auseinander, mit dem Bild, das gerade durch zwei Vorkommnisse entstanden ist. Zuerst sprach ein Sprecher von Alice Weidel von einem "sicherheitsrelevanten Vorfall". Die AfD-Chefin sagte einen Auftritt in Bayern ab, allerdings, wie ein Sprecher des Bundeskriminalamts klarstellte, "nicht auf Veranlassung oder Empfehlung des BKA". Alice Weidel wurde dann in einem Restaurant auf Mallorca gesehen. Diese Woche brach nun Tino Chrupalla wegen des vermeintlichen Stichs einen Auftritt in Ingolstadt ab. Der Ko-Vorsitzende wurde in einem Krankenhaus behandelt.

"Ich frage mich (…), ob unsere Pressestelle derzeit kollektiv Urlaub macht", schreibt im "Salon"-Chat der Mitarbeiter eines AfD-Europaabgeordneten. "Derweil schießen in den sozialen Medien alle möglichen Gerüchte ins Kraut. Von einer angeblichen ukrainischen ‚Todesliste‘ bis hin zum Wespenstich." Ein Chat-Kollege, Büroleiter eines AfD-Landtagsabgeordneten, ist ebenfalls unzufrieden. "Empörungskacheln können wir ja inzwischen am Band", antwortet er, "aber bei interaktiver Kommunikation besteht noch viel Lernbedarf."

Mitarbeiter von Abgeordneten als "Kampftruppe für die eigene Karriere"

In einem anderen Diskussionsbeitrag wird die "Pressearbeit in den Fällen Weidel und Chrupalla" als "schlecht" bewertet. Die Erklärung: Es herrsche "außerhalb der eigenen Blase der Eindruck vor, Weidel macht statt Wahlkampf Urlaub auf Malle und Chrupalla stilisiert einen Wespenstich zum Terroranschlag. Extrem unprofessionell." Der Autor schreibt von "Profilierungssucht" all jener, die sich öffentlich geäußert haben. Dann wird er grundsätzlich: "Die meisten Abgeordneten betrachten sich als Ich-AG und ihren vom Steuerzahler finanzierten Mitarbeiterstab als Kampftruppe für die eigene Karriere."

Ein hässlicher Befund für seine Partei ist das, und der AfD-Mann geht noch weiter. Es mangele an Disziplin in der AfD, eine "Anarcho-Mentalität" herrsche vor, und: "Bei der Auswahl von Mitarbeitern steht häufig die Zugehörigkeit zur richtigen Seilschaft über der Qualifikation." Dass der Autor des Posts weiß, wovon er schreibt, kann man wohl voraussetzen – er arbeitet selbst für einen AfD-Abgeordneten.

Der Weidel-Stellvertreter wehrt sich – wütend

Auch Norbert Kleinwächter gehört der Chatgruppe an, er ist seit zwei Jahren einer der stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion. Kleinwächter hatte sich öffentlich zur angeblichen Bedrohungslage von Alice Weidel geäußert und dabei verbreitet, die Parteivorsitzende befinde sich in einem "Safehouse". Die rechte Zeitung "Junge Freiheit", die in der AfD geschätzt wird, hatte Kleinwächter dafür in einem Kommentar kritisiert. Der Text hatte die Überschrift: "Die AfD und ihre Wichtigtuer".

Der Kommentar findet im "Salon"-Chat Widerhall. Die AfD sei zu "keiner koordinierten Kommunikation" imstande, analysiert ein Mitglied, "jeder profiliert sich mit seinem Halbwissen". Die einfachen Parteimitglieder müssten sich ihre Information selbst zusammensuchen, und "am Ende kochen die Mainstreammedien aus diesem Info-Wirrwarr ein Süppchen, dass die AfD selbst in die Defensive drängt".

Kleinwächter sieht sich im Chat offenbar unter Rechtfertigungszwang. "Ich bin nicht reingegrätscht", schreibt der Brandenburger. Er habe nur verwendet, was auf dem Sprechzettel gestanden habe, der nach Weidels abgesagtem Wahlkampfauftritt verteilt worden sei. "Jeder, wirklich jeder musste aus diesem offiziellen Wording eine geschützte Wohnung und eingeschränkte Mobilität ableiten, nicht die Strandbar auf Mallorca", findet Kleinwächter.

Kleinwächter weiß, dass scharfe Medienkritik in seiner Partei immer gut ankommt. Gegen Zeitungen aus dem rechten Milieu wenden AfD-Politiker sich allerdings nicht so oft. Doch der Druck, sich zu verteidigen, ist offenbar groß. Der Autor der "Jungen Freiheit" werfe "mit Dreck" auf ihn, schreibt Kleinwächter. Der Artikel werde eine Strafanzeige wegen übler Nachrede nach sich ziehen. "Das wird er büßen", kündigt Kleinwächter im "Salon"-Chat an.

Ein Jammer-Witz, der nicht zündet

Dort sind unterdessen zumindest nicht alle Mitglieder davon überzeugt, dass die Partei aus Bedrohungslagen politisches Kapital schlagen sollte. "Muss man so viel Wind machen?", fragt ein langjähriger Parteifunktionär aus Nordrhein-Westfalen. Der AfD-Mann hält offenbar wenig davon, dass seine Partei sich als Opfer gibt. "Ich wäre froh, wenn unsere großkopferten Opfer sich etwas klüger verhalten würden", schreibt er und geht auf seine eigene Vergangenheit in der rechtsradikalen Partei "Die Republikaner" ein. Dort sei er mehrfach "Opfer linker Gewalt" geworden. "Das wurde angezeigt, aber nicht an die große Glocke gehängt, um andere Aktive, insbesondere junge Mitglieder, nicht zu verschrecken."

Dieser Umgang dürfte allerdings eher nicht funktionieren, nicht in der daueraufgeregten AfD und auch nicht im "Salon"-Chat ihrer Politiker und Funktionäre. Der Mann aus NRW postet dort noch ein Foto eines einachsigen Anhängers mit Parteilogo. "Gefunden: ein AfD-Anhänger, der nicht jammert", steht über dem Bild. Es ist ein Witz, der hier nicht zündet.

Der Post wird mit keinem einzigem Lach-Emoji bedacht.