In Zukunft dauert die Reise fünf Stunden länger. Wer aus dem Stadtstaat Singapur nach New York fliegen muss, schafft die Strecke nur noch mit einer Zwischenlandung in Frankfurt. Denn am 23. November startet Singapore Airlines zum letzten Mal zum längsten regelmäßigen Nonstop-Flug, den es je gegeben hat. Zu teuer sind inzwischen die Kerosinkosten für den Spezial-Airbus, der mit Zusatztanks und vier Triebwerken ausgestattet ist, aber nur hundert Passagiere befördern kann.
Mit knapp 17.000 Kilometern zählt die Strecke von Singapur über Fernost und Alaska bis nach New York zu den Ultra-Langstreckenverbindungen. Je nach Windverhältnissen beträgt die Flugzeit bis zu 19 Stunden. Mit herkömmlichen Jets lässt sich diese Entfernungen nicht nonstop zurücklegen. Deshalb hatte Singapore Airlines für die täglichen Flüge nach New York und Los Angeles fünf Maschinen vom Typ Airbus A340-500 angeschafft und die Crews für diese besonderen Flüge extra geschult.
Ende einer Ära
Doch die Maschinen lassen sich nicht mehr wirtschaftlich betreiben. Zu schwer ist das Eigenwicht, zu gering die Zuladung bei Ausnutzen der maximalen Reichweite. "Seit Einführung der Flüge, die immer gut ausgelastet waren, hat sich der Preis für das Kerosin jedoch verdoppelt", sagt ein Pressesprecher der Fluggesellschaft stern.de. Ähnlich wie für die durstige Concorde, die auch einmal bei Singapore Airlines für ein Jahr im Einsatz war, kam auch für den Ultra-Langstreckenflug das endgültige Aus. Ab nächster Woche gehört der Flug SQ 22/23 der Vergangenheit an. Die Produktion aller Varianten der A340 hat Airbus längst eingestellt - ein Nachfolgemodell für diese Strecke ist nicht in Sicht.
Dass die Zeit an Bord des längsten kommerziellen Linienfluges der Welt nicht wie im Fluge verging, habe ich 2004 erlebt. Auf einem der ersten Nonstop-Flüge von Singapur nach New York hatte ich damals den Trombosen-Test gemacht - eine verwirrende Reise über ein Dutzend Zeitzonen und die Datumsgrenze hinweg. Zum Abschied ein Blick zurück ins Bord-Tagebuch eines Flugtages, der 36 Stunden hat.
Last Call SQ 22
High Noon an Gate F 52. In Singapurs Changi Airport gehen die letzen Passagiere für SQ 22 an Bord und nehmen Platz. Die Tür wird geschlossen "All doors in flight", lautet die Durchsage in der Kabine. Der Airbus wird zurückgeschoben, lässt die vier Triebwerke an und rollt zur Piste.
Die Spannweite dieses Airbus A340 ist noch um einige Meter größer als bei älteren Versionen desselben Typs. Wie ein Albatros breitet der Ultra-Langstreckenjet seine langen Flügel aus und nimmt Anlauf. An Bord sind 174 Tonnen Kerosin und hundert Passagiere. Um 12:16 Uhr hebt die Maschine Richtung New York ab. Dort haben die Uhren vor einer Viertelstunde Mitternacht geschlagen. Am Ziel der Reise beginnt gerade erst der neue Tag.
Sonnenuntergang über Japan
Nach drei Flugstunden setzt die allgemeine Müdigkeit ein. Die Sonne ist bereits um das Heck herumgewandert. Plötzlich leuchtet das Anschnallzeichen auf, Turbulenzen sind angekündigt. Der Airbus wird durchgeschüttelt, die Tragflächen wippen wie Degenklingen. Noch immer zeigt das Display eine zweistellige Zahl für die restliche Flugzeit bis New York. Mir kommt schon das erste Drittel dieses Fluges endlos vor. Nie hätte ich gedacht, dass der Flieger von Singapur bis auf die Höhe von Tokio fast sieben Stunden unterwegs ist.
Wir fliegen über das Land der untergehenden Sonne. Myriaden von Lichtern funkeln über der Bucht von Kobe und Osaka. Noch elf Stunden. Weiter über die russische Halbinsel Kamtschatka. Die Nacht hinter dem Fenster ist abweisend wie schwarzes Glas. Wir nähern uns dem rechten Randbereich der eurozentristischen Karte im Bordbuch, wo Ostasien einfach aufhört. Was kommt danach?
Erwachen im Gestern
Unsere Flugroute entspricht einer auf dem Kopf stehenden Parabel. Den einen Ast mit den nördlichen Philippinen, Taiwan und Japan haben wir bereits überflogen: Der andere Ast liegt noch vor uns: der nordamerikanische Kontinent jenseits des Beringmeers. Laut Display herrscht unter uns die "local time" 0:17 Uhr. Wir sind bereits einen Tag weiter, denn noch überfliegen wir die letzte von vier Zeitzonen, wo die Uhren jeweils um eine Stunde vorgehen. Doch als Scheitelpunkt der Parabel dürfte die imaginäre Datumsgrenze in der Mitte zwischen Ostsibirien und Alaska liegen.
Als ich nach einem kurzen Nickerchen erwache, fliegen wir wieder in der Vergangenheit. Mit einem Mal sind wir um 23 Stunden zurückversetzt. Das Paradox dieser Reise: Ein zweites Mal beginnt für mich derselbe Tag. Wäre ich allerdings in West-Ost-Richtung geflogen, hätte ich einen ganzen Tag übersprungen.
Ein Asiate mit grauer Hose und weißem T-Shirt geht an mir vorbei. Das Gesicht kenne ich. Hatte er mir nicht das Abendessen serviert? Jetzt ist der Flugbegleiter leger gekleidet und verschwindet durch eine Tür im Unterdeck, wo die Ruheräume und Schlafabteile für die Crews untergebracht sind.
Unter der Lapislazuli-Kuppel
Was für ein riesiger Kontinent Nordamerika ist. Die Sonne braucht sieben Stunden, um die Vereinigten Staaten zu überqueren. Der Himmel wirkt arktisch blau. Wir fliegen über Niemandsland und Tundra. Über uns die Lapislazuli-Kuppel des blauen Firmaments, das nach oben immer dunkler wird.
Länger als vier bis fünf Stunden dürfte die Dunkelheit nicht geherrscht haben. Auf der Toilette überrascht mich gleißendes Sonnenlicht. Das Örtchen im Airbus hat sogar ein großes Fenster. Im Spiegel sehe ich meine sprießenden Bartstoppeln und merke, wie lange der Flug schon dauert. Wann habe ich mich eigentlich zuletzt rasiert? War es heute oder gestern? Mein Zeitgefühl zerrinnt. Da hilft nur der Kontrollblick aufs Display: noch sieben Stunden bis New York.
Himmlische Snackbar
Die meisten Passagiere dösen, schlafen, einige schnarchen. Nur wenige lesen oder tippen in ihre Laptops. Selbst der Junge eine Reihe vor mir hat die Spielkonsole aus der Hand gelegt und schlummert. Ich gehe im Kreis spazieren und treffe in der Bar neben der Küche im Heck Joe und David. Smalltalk bei Nüssen, Snacks und Obst über das Thema, um das sich alle Gespräche drehen: Woher, wohin, wann sind wir endlich da?
Zum dritten Mal gibt es etwas Warmes zu essen. Das Zifferblatt meiner Armbanduhr mit Singapur-Zeit zeigt 7:45 Uhr, als wir in die gelbbraune Smogschicht über New Jersey eintauchen. Noch 30 Minuten bis Newark International Airport. Der Südwind erlaubt den Landeanflug parallel zum Hudson mit der Skyline Manhattans zur Linken. Der Schatten des Airbus kommt näher, kriecht unter die Flügel und verschwindet beim Aufsetzen.
Touch down nach 18 Stunden und 12 Minuten Flugzeit. "All doors in park", lautet die Regieanweisung für die Crew. "Welcome in New Jersey", begrüßt die Chefstewardess ihre Passagiere am Ziel. "The local time is 6:17 p.m." Meine Uhr brauche ich gar nicht verstellen, obwohl dieser Tag 36 Stunden hat. Der Zeitunterschied beträgt genau 12 Stunden. Nur die Datumsanzeige muss ich um einen Tag zurückdrehen.