Sind Sie froh, dass zum 40. Geburtstag der ITB kein islamisches Land, sondern Griechenland Partner der Messe ist?
"Froh" trifft es nicht. Aber seit dem 11. September 2001 gab es jedes Jahr mindestens in einem touristischen Land eine Katastrophe: Bali, Djerba, Madrid, dazu der Tsunami und nun Mohammed-Karikaturen und Vogelgrippe. Allerdings scheinen sich die Touristen an solche Ereignisse zu gewöhnen.
Aber nach Ausbruch der Vogelgrippe in der Türkei mit Todesopfern gingen die Buchungen heftig zurück.
Schon, doch die Einbrüche halten immer kürzer an.
Auch für islamische Länder?
Ich setze auf Vernunft: dass auch die Moslems auf der Straße einschätzen können, was ausbleibende Touristen für sie bedeuten.
Hat das Folgen für die Messe?
Über 180 Länder dieser Erde werden in Berlin vertreten sein. Es ist Tradition, dass auch jene, die sich im politischen Alltag nicht gerade nahe stehen, in einer Halle untergebracht sind, wie etwa Israel und Palästina. Und was die Vogelgrippe angeht, so wird die Türkei - und nun auch Westeuropa - sich bestimmt mit klug überlegten Aktivitäten präsentieren.
Die Sommersaison für die Türkei ist noch nicht verloren?
Auf keinen Fall. Die Veranstalter werden versuchen, die Krise durch Preisreduzierungen auszugleichen. Der Türkei kommt zugute, dass sie aktive Reiseunternehmen in Deutschland hat. Man wird aber auch Flug- und Hotelkontingente umbuchen.
Wohin? Wer profitiert?
In erster Linie wird es Spanien sein, aber auch Griechenland. Der gesamte Mittelmeerraum inklusive Tunesien und Marokko könnte gewinnen.
Die ITB ist die weltweit größte Reisemesse. Sind die Deutschen trotz realen Lohnverlustes und Angst vor Arbeitslosigkeit noch Reiseweltmeister?
Ja, absolut. Das zeigen die Zahlen der World Tourism Organization (WTO), wenn es um die Anzahl der Reisen und das Geldvolumen geht. Rund 50 Milliarden Euro haben die Deutschen 2005 ausgegeben, davon 19 Milliarden für Pauschalreisen. 2001 waren das allerdings noch über 20 Milliarden.
Ist der Markt gesättigt?
Nach 35 Jahren Wachstum heißt das für die Reiseunternehmen, dass es nun Zuwachs hauptsächlich durch Verdrängung gibt. Für den Kunden heißt es, dass die Angebote vielfältiger und günstiger werden. Aber ein Aufwärtstrend wird erst wieder kommen, wenn die Leute auch wieder mehr Geld in der Tasche haben. Allerdings sähe es noch viel schlechter aus, wenn die Deutschen nicht so gern reisen würden.
80 Prozent der deutschen Auslandstouristen zieht es in eine Hand voll Länder. Warum will auch ein wenig beachtetes Land in Berlin vertreten sein?
Weil hier die weltweit größte Nachfrage nach Auslandsreisen besteht. Zudem kann man eine Infrastruktur für Fremdenverkehr mit weniger Aufwand entwickeln als für andere Wirtschaftszweige.
Ist 2006 ein neues Land dabei?
Ja, Timor-Leste, das ehemalige Osttimor. Auch Afghanistan ist vertreten.
Echte Abenteuerplätze. Das mögen die Besucher?
Die ITB ist so was wie das KaDeWe des Reisens. Man geht ja nicht in ein Kaufhaus, um alles zu kaufen, sondern um zu schauen, was es gibt. Bei über 10 000 Ausstellern kann man auf der ITB die Welt an einem Tag sehen. Da buchen die Leute ein Land, an das sie vorher nicht mal im Traum gedacht haben.
Wie sieht es mit speziellen Urlaubsformen wie Ökotourismus oder Wellness aus?
Ökotourismus nimmt sicherlich zu, aber da findet man auch viel Etikettenschwindel. Ähnlich ist das bei Adventure und Wellness.
Gibt es Verschiebungen von Fern- zu Europareisen?
Tendenziell legt der Fernreiseanteil eher zu. Die Karibik läuft gut, Südostasien auch. Eine Fernreise ist oft billiger als der Urlaub im eigenen Land, weil die Flüge inzwischen so günstig sind.
Alles geht also über den Preis?
Wenn ich die drei Trends 2006 beim Reisen nennen soll, dann heißen die: 1. günstig, 2. günstig, 3. günstig.
Aber Reisen war schon lange nicht mehr so billig wie heute...
...und das Angebot noch nie so vielfältig. Gleichzeitig wird es immer komplizierter, die passende Reise zu finden. Früher gab's ein paar Kataloge und das Reisebüro. Heute sind es Katalogfluten, Reisebüros an der Ecke, im Internet, TV-Reisesender, Teletextseiten usw. Nicht leicht, den Überblick zu behalten.
Rund 30 Prozent der Reisenden blieben in den vergangenen Jahren im eigenen Land. Hält der Deutschlandtrend an?
Von der Zahl unserer Aussteller ausgehend, auf jeden Fall. Ob die Tendenz allerdings nach oben zeigt, wird von der Preisentwicklung und nun leider auch vom Fortgang der Vogelgrippe in unserem Land abhängen. Das jährliche Urlaubsbudget einer durchschnittlichen jungen Familie liegt nach einer Studie des Jugendherbergswerks bei 1500 Euro. Andererseits ist es keineswegs mehr spießig, in Deutschland Urlaub zu machen, und so tanken auch Leute mit mehr Geld zumindest ein paar Tage Erholung im eigenen Land.
Interview: Wolfgang Röhl, Elfriede Roth