Wenn dieser Text erscheint, ist die Transferperiode der Bundesliga endlich vorbei. Deadline-Day, 18 Uhr, nichts geht mehr. Die Tinte ist trocken, die lang ersehnte Verstärkung in trockenen Tüchern und der letzte Vertrag per Fax versendet – oder auch nicht. Früher war so ein Sommer ohne Vereinsfußball die wohl entspannteste Zeit im Leben eines jeden Fans. Heute fühlt es sich an wie ein Smalltalk, an den man nie teilnehmen wollte – nervig, anstrengend und langwierig.
Mir ist bewusst, dass die Meinungen an den gekachelten Wohnzimmertischen Fußballdeutschlands hier weit auseinandergehen. Für so manch einen "Fußball Manager"-Fanatiker ist die eigentlich recht überschaubare Phase zwischen dem 1. Juli und dem 1. September die aufregendste des Jahres. Der Triumph oder die Schmach der vergangenen Saison sind emotional überwunden, die Tabelle steht auf null und jedes noch so kleine Gerücht über einen neuen Hoffnungsträger lässt das Herz ein klein wenig höher schlagen. "Wer wechselt zu wem?", "Wieviel Ablöse wurde bezahlt?" und "Wer hat als Kind in welcher Bettdecke geschlafen?"
Das Geschäft mit den Transfers
Diese Hoffnung haben sich mehrere Medien zu Nutze gemacht. Bereits seit einigen Jahren informiert der italienische Blogger und Journalist Fabrizio Romano über den Kurznachrichtendienst X, früher Twitter, seine 18,5 Millionen Follower über jede noch so kleine Wendung eines Spielertransfers. Es scheint als würde seinen Augen kein einziges Gerücht verborgen bleiben. Was er berichtet, gilt als gesetzt. Seine Bestätigungsfloskel "Here we go" als so sicher wie das Amen in der Kirche. Mit seiner Form der Berichterstattung hat Romano den Sportjournalismus nachhaltig verändert.
In Deutschland hat der Pay-TV-Anbieter Sky eine ganze Sendung nach diesem Prinzip aufgebaut. Gerüchte, Updates und Wahrscheinlichkeiten werden bei "Transfer Update - Die Show" so heiß gehandelt wie Börseninformationen auf dem Parkett der Wall Street. Das Zugpferd der Sendung ist Moderator und Experte Florian Plettenberg aka PlettiGoal. Ihm folgen auf Twitter zumindest 250.000 Menschen.
In seiner Sendung und auf seinen Social-Media-Kanälen informiert Plettenberg im Fünf- bis Zehn-Minuten-Takt von den Spielerprofilen der Vereine, Streitigkeiten in der Kabine oder Wunschvereinen der Berater. Die Tage, in denen ein Wunschspieler auf der Pressekonferenz des Zielvereins vorgestellt wurde oder man seinen Namen zum ersten Mal im Kicker-Sonderheft vor der Saison las, sind längst vorbei.
Oft sind Transferjournalisten so gut informiert, dass selbst erfahrenen Trainern wie Thomas Tuchel Angst und Bange wird. Falschmeldungen und Enten kommen zwar auch noch vor, werden aber immer seltener. Die durchgesteckten Informationen sind für Berateragenturen, Spieler aber auch Vereine ein wichtiges Faustpfand in den Verhandlungen geworden. Wer das Narrativ beherrscht, geht meistens auch als Gewinner des Transfers hervor.
Harry Pain: Eine ewige Saga um das Offensichtliche
Diese kleinteilige und zum Teil normative Berichterstattung gipfelte in den zugegebenermaßen sehr wechselhaften Verhandlungen zwischen dem FC Bayern und Tottenham um einen Transfer des englischen Stürmerstars Harry Kane. Der lange Austausch verleitete Florian Plettenberg dazu, Tottenham-Präsident Daniel Levy öffentlich anzuzählen, das Angebot doch nun bitte endlich anzunehmen. "Es geht nicht voran und es nervt langsam. Es nervt selbst mich", schrie er damals in die Kamera – keine zwei Monate nach dem die Führungsetagen von zwei der größten Fußballvereine der Welt angefangen hatten, über den 100 Millionen Euro schweren Transfer eines der besten Spieler der Premier League zu debattieren. Als der Kane-Deal kurz vor dem Supercup schließlich doch noch zu Stande kam, kämpfte Plettenberg vor laufender Kamera mit seinen Emotionen. Harry Kane hatte zu diesem Zeitpunkt keine einzige Minute für Bayern gespielt und befand sich noch beim Training in London.
Die Debatte um Kane ist sinnbildlich für die Entwicklung des Sportjournalismus. Jeder noch so kleine Zwischenstand wird zu einer solch großen Nachricht aufgeblasen, bis es einem wirklich so vorkommt, als säße man mit am Verhandlungstisch. 80 Millionen + mögliche Boni – abgelehnt. 90 Millionen? Immer noch zu wenig. Und wenn sich die beiden Vereine schließlich einig sind, hat der Spieler noch ein Wörtchen mitzureden. Eigentlich ganz normale Prozesse, aber im Zuge von 23 aufeinanderfolgenden Breaking News kommt es einem so vor, als müsste Tottenham das verdammte Ding doch nun wirklich endlich annehmen!1!1!
Erneute Lageweile in der Bundesliga
Nicht nur wegen der Berichterstattung war dieser Transfersommer besonders anstrengend. Auch die Vereine haben alles dafür gegeben, dass man möglichst wenig euphorisch in die neue Saison geht. Während der FC Bayern seit Jahrzehnten den Ruf hat, die Liga kaputt zu kaufen, hat der allseits beliebte BVB mit Niclas Füllkrug, Ramy Bensebaini und Felix Nmecha mal eben innerhalb weniger Wochen einen soliden Teil der letztjährigen "Elf der Saison" gekauft. Allen nachgewiesenen Kontroversen und Fehltritten des Königstransfer zum Trotz. Es wird sich schon jemand anders im Kader finden, der als Identifikationsfigur und Vorbild taugt.

Der Ligakrösus aus München investiert derweil 150 Millionen für Kane und Kim und zementiert damit wie gewohnt seinen Status. Sollten es das neu geformte Bayer Leverkusen oder ein mit Altstars besetztes Union Berlin nicht wie durch ein Wunder schaffen, ihre Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, wird es wohl wieder auf einen einseitigen Zweikampf an der Spitze und die zwölfte Münchener Meisterschaft in Folge hinauslaufen.
Mbappé und das unmoralische Angebot aus Saudi-Arabien
Die größten Dornen in den Augen europäischer Fans waren aber wohl die zahlreichen Abgänge nach Saudi Arabien. Während gestandene Bundesligisten mit sechsstelligen Leihgebühren kämpfen, werfen die Vereine der Saudi Professional League mit schier endlosen monetären Ressourcen um sich, bis die Spieler schließlich doch einwilligen. Ronaldo, Benzema, Kante, Neymar und selbst der sozial so engagierte Jordan Henderson erlagen früher oder später dem lockenden Ruf des Geldes. Ihre Trikots kann man schon heute in den immer gleichen Einkaufsstraßen mittelgroßer deutscher Metropolen bestaunen.
Dem französischen Superstar Kylian Mbappé wurden Medienberichten zufolge sogar 700 Millionen Euro Gage für eine einzige Saison bei Al-Hilal angeboten. Dieser ist sich aber angeblich im dritten Jahr in Folge mit Real Madrid über einen Wechsel im kommenden Sommer einig. Auch wenn sich Fußballprofis wie Mbappé und Toni Kroos oder Uefa-Präsident Aleksander Ceferin gegen den Einfluss Saudi Arabiens sträuben, bleibt den Vereinen kaum eine Wahl, wenn ein Angebot in doppelter Höhe des eigentlichen Marktwerts des Spielers hineinfliegt. Und so scheint es, als wäre der Spuk des Transfersommers doch noch nicht vorbei. Das Transferfenster in Saudi-Arabien schließt nämlich erst am 20. September.