DFB-Pokal Nach der Pokal-Blamage steht der FC Bayern im Handumdrehen unter Druck

  • von Patrick Strasser
Thomas Tuchel ist mit seinem FC Bayern schon wieder aus dem DFB-Pokal geflogen
Thomas Tuchel ist mit seinem FC Bayern schon wieder aus dem DFB-Pokal geflogen
© Jean-Christophe Verhaegen / AFP
Nach der peinlichen Niederlage des FC Bayern im DFB-Pokal wartet am Wochenende die Partie gegen Borussia Dortmund. Und schon droht eine Saison trotz eines Laufs von 13 Spielen ohne Niederlage ziemlich früh zu kippen.

Erinnern Sie sich noch an den letzten DFB-Pokal-Triumph des FC Bayern München? Im Sommer 2020 war's, ein recht unspektakuläres Finale gegen Bayer Leverkusen, noch dazu aufgrund der Corona-Pandemie mit tristen TV-Bildern. Gespielt wurde vor leeren Rängen im Berliner Olympiastadion. Seitdem hat die Bayern ein rätselhafter Pokal-Fluch erwischt.

Vier Spielzeiten, vier Pleiten. Erst bei Zweitligist Holstein Kiel im Elfmeterschießen, dann bei Borussia Mönchengladbach mit einer historischen 0:5-Klatsche, letzte Saison zu Hause gegen den SC Freiburg durch einen Last-Minute-Elfmeter und nun die 1:2-Blamage bei Drittligist 1. FC Saarbrücken. Zweite Runde, zweite Runde, Viertelfinale – ketzerisch gesagt: ein positiver Ausrutscher – und nun wieder zweite Runde. Im Pokal gelten für die Bayern andere Gesetze: Von 1998 bis 2020 stand man in 23 Spielzeiten 15 (!) Mal im Finale, gewann zwölf (!) Mal, zuletzt 2020. Und nun: das Pleiten, Pech- und Pannen-Quadruple. Alles nur Pech?

Mitnichten! Die Pokal-Malaise ist ein hausgemachtes Problem. Ein sportliches, was die vermeintliche A-Elf betrifft. Ein strukturelles, was den zu dünnen Kader betrifft, der ohne den neuerlich verletzten Innenverteidiger Matthijs de Ligt noch ausgedünnter ist als ohnehin schon.

FC Bayern setzt sich selbst unter Druck

Das Triple ist futsch, durch das Pokal-Aus Titel zwei sogar schon nach dem mit 0:3 gegen Leipzig deutlich verlorenen Supercup. Selbstverschuldet hat sich Bayern im Handumdrehen eine Menge Druck auferlegt. Am Samstag geht es zum ewigen Rivalen nach Dortmund, zum deutschen Clásico im Emotionskessel "Signal Iduna Park" – und schon droht eine Saison trotz eines Laufs von 13 Spielen ohne Niederlage ziemlich früh zu kippen. Wie aus dem Nichts gehen die Münchner mit einem Rucksack voller Druck ins meist so hitzige Topspiel. Angesichts der ersten Pleite im Pokal gegen einen Verein unterhalb der zweiten Liga seit 23 Jahren (im Jahr 2000 scheiterte man beim damaligen Oberligisten FC Magdeburg) waren ungewöhnlich milde Worte von Tuchel zu vernehmen.

"Nach so einem bitteren Abend ist es nicht der Moment, um Vorwürfe zu machen. Es ist kein Zeitpunkt, um mit dem Finger aufeinander zu zeigen und alles in Frage zu stellen", betonte Tuchel. Nach fünf Siegen in Folge habe sich sein Team schlicht den "denkbar schlechtesten Zeitpunkt" für das Ende der Serie ausgesucht. Torschütze Thomas Müller sprach von "einem brutalen Schlag", während der Trainer am Mittwochabend wie schon so oft im Frühjahr ratlos wirkte: "Sehr bitter. Wir können es nicht wiedergutmachen, sind super enttäuscht."

In der Meisterschaft ist die Selbstverständlichkeit Tabellenführung zwei Punkte und das spielstarke Bayer Leverkusen von Trainer-Komet Xabi Alonso gefühlt Lichtjahre entfernt. Es müsse nun darum gehen, "die Enttäuschung aus dem Kopf zu bekommen und dann aufzustehen", forderte der erstmals angefressene Sportdirektor Christoph Freund. Er glaubt – und hofft: "Dortmund wird ein ganz anderes Spiel. Wir fahren dorthin, um als Bayern München anzutreten und etwas mitzunehmen." Klingt trotz elf Meisterschaften in Serie ebenso defensiv wie Tuchel, der ankündigte: "Wir müssen eine Lösung finden, um in Dortmund bestehen zu können."

Für Dortmund heißt es gegen den FC Bayern: Verlieren verboten

Das neue Understatement als einmalige Chance für die Gastgeber? "Die Vorzeichen könnten kaum besser sein. Sie müssen aber durch diese offene Türe gehen – im Mai hat es im Saisonfinale der Meisterschaft ja nicht geklappt", sagte Sky-Experte Didi Hamann am Donnerstag. Der frühere Mittelfeldspieler der Bayern fand markige Worte zum Duell der Liga-Großmächte: "Für den BVB heißt es deshalb: Verlieren verboten, wenn man im Titelkampf eine Rolle spielen will! Wenn du die Bayern jetzt nicht schlägst, dann nie mehr."

Sagt der Experte. Ein Reizwort an der Säbener Straße. Denn: Es ist so eine Sache, die Sache mit den Fußball-Experten. Präziser: Die mit den sogenannten Experten, wie die Herren Experten beim FC Bayern gerne sagen. Mit den Händen am Mikrofon legen die externen Beobachter ihre Finger in die Wunde und das ist oft unbequemer als Gegner wie Manchester City, RB Leipzig oder der 1. FC Saarbrücken.

Lothar Matthäus ist so ein unangenehmer Zeitgeist, in letzter Zeit entpuppte sich Didi Hamann, ebenfalls früher als Mittelfeldspieler an der Säbener Straße angestellt, zunehmend als Quälgeist. Auch er hat weder Ambitionen noch Chancen, eines Tages Greenkeeper beim FC Bayern zu werden. Als rotes Tuch gelten beide, über Matthäus richtete Uli Hoeneß im März. Dieser sei "ein hervorragender Fußball-Fachmann und eine sehr wichtige Persönlichkeit beim FC Bayern in den letzten 20 Jahren. Manchmal aber vergisst er, dass er mal für diesen Verein gespielt hat. Wenn ich seine Vorschläge höre – das verstehe ich nicht. Da überschreitet er die Grenzen."

Zu Grenzgänger Didi Hamann muss man fairerweise sagen, dass dessen Finger schon länger in Bayerns Wunde zugegen war – nicht erst seit dem 1:2-Unfall am Mittwochabend in Saarbrücken. Hamann gilt nicht als Freund von Tuchels Fußball und des Trainers Wirken beim FC Bayern. Zuletzt litt der Abomeister höchstens unter Phantomschmerzen, doch Hamanns stete Ausführungen ("Bayerns Ergebnisse stimmen, aber der Fußball ist nicht gut. Ein Zweckbündnis, keine Liebesbeziehung") wirken wie das Jucken eines Mückenstichs, den man eigentlich ignoriert haben wollte, aber nun fahrlässig aufgekratzt hat. Tuchel selbst war es, der sich nach wiederholten Stichen zu einem Konter gegen Mücke Hamann hat hinreißen lassen – kennt jeder, der nachts im Schlafzimmer wild um sich schlägt, weil das Gewese (allein das Geräusch!) so nervt. "Didi läuft gerade ein bisschen aus dem Ruder, habe ich das Gefühl, und ist auf der anderen Seite ganz sicher nicht wichtig genug, dass wir uns darum kümmern, reagieren oder uns ärgern lassen." Tut der Seele gut, was getan bzw. gesagt zu haben. Bringt aber nichts. Eine Mücke hat sieben Leben.

Hamann: "Das Gefühl, dass eine Einheit ist, hatte ich in den letzten sieben, acht Monaten nie"

Im Herzen Münchens, im Hotel "Bayerischer Hof" hatte Experten-Arbeitgeber Sky am Donnerstagvormittag das "Ministerzimmer" reserviert. In dem barocken Raum durfte Hamann zwei Tage vor dem Bundesliga-Klassiker der Münchner bei Borussia Dortmund Hof halten. Der 50-Jährige war gut drauf, aber nicht, weil er sich als zufriedener Prophet präsentierte angesichts der Münchner Pokalpleite, die er "nicht erwartet" habe. Im schwarzen Rollkragenpulli sprach er kurz Wohlwollend-Hoffnungsvolles ("Das kann etwas Reinigendes haben"), kam aber dann zu des Pudels Kern: "Wie viele der aktuellen Spieler gehen für diesen Trainer über heiße Kohlen?" Und: "Das Gefühl, dass eine Einheit ist, die bereit ist, den Fehler des Mitspielers auszubügeln, hatte ich in den letzten sieben, acht Monaten nie." Tuchel ist nun sieben, na ja, fast acht Monate bei Bayern. Währenddessen meldete sich Matthäus via "Bild" aus dem Off, nannte die neuerliche Pokalpleite der Münchner "peinlich und beschämend". Das sei "nicht erklärbar". Typische Experten-Rhetorik.

Hamann wandelte derweil weiter auf Niemals-Greenkeeper-Kurs: "Die Entwicklung ist nicht gut, seit Tuchel da ist – für alle Seiten unbefriedigend. Ich habe große Bedenken, ob das in dieser Konstellation funktioniert. Es ist ungut losgegangen und jetzt geht's ungut weiter." Es folgte eine Binse, aber eine, die aufhorchen lässt: "Der Trainer kann in ein paar Wochen oder Monaten weg sein." Kann, muss aber nicht. Bei Julian Nagelsmann war es eine Frage von Tagen. Zu seiner Fehde mit Tuchel meinte Hamann, der "den Bayern natürlich auch viel zu verdanken" habe, gelassen: "Mir geht’s um die Sache, nicht um Tuchel. Wenn er es so wahrnimmt, ist alles gut. Ich kann mit Kritik umgehen – so wie er es mit Sicherheit kann."

Und nun, Herr Scharfrichter Hamann, was bringt das Duell mit dem BVB? Unvermittelt sagte der Experte einen Satz, der nach Hoeneß und nach Spurenelementen von Mia-san-Mia-DNA klang: "In der Vergangenheit waren die Bayern immer da, wenn es gegen große Gegner geht."

Kommt Boateng doch zurück zum FC Bayern?

In Sachen Personal könnte die schwere Verletzung von de Ligt zu einer spektakulären Wende führen. Noch Anfang Oktober hatte sich der Vorstand gegen eine Kurzzeit-Anstellung von Jérôme Boateng (35) entschieden, obwohl sich Tuchel für den Weltmeister von 2014 als Backup für die Innenverteidigung ausgesprochen hatte, nachdem dieser im Training seinen Fitnesszustand unter Beweis stellen konnte. Das Thema könnte nun in der Not wieder heiß werden – trotz des im Frühjahr anstehenden Prozesses gegen Boateng wegen Körperverletzung und Beleidigung gegenüber seiner Ex-Freundin am Landgericht München I und der größtenteils ablehnenden Haltung der Fans zu ihrem Ex-Spieler? Den Bayern ist alles zuzutrauen.

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