Formel 1 BMW hat Blut geleckt

Von Elmar Brümmer
Die Formel 1 hat einen neuen Favoriten, den die Kenner längst haben kommen sehen: Robert Kubica. Der Pole hat mit seinem Sieg in Montreal Begehrlichkeiten bei seinem Team BMW-Sauber geweckt, die eigentlich erst für die kommende Saison vorgesehen waren: den Titel in der Königsklasse.

Das Verkehrsgericht brauchte gar nicht groß zu tagen, so klar war der Fall: Wer auffährt, hat auch in der Formel 1 immer Schuld. Und wer in der Boxengasse einen Auffahrunfall fabriziert, bekommt nicht nur eine Strafe, sondern auch eine Breitseite Häme. Lewis Hamilton hat beim Großen Preis von Kanada seinen möglichen Sieg ruiniert, den von Kimi Räikkönen und dessen Ferrari dazu - und er hat sich nicht als besonders guter Verlierer gezeigt. Nur einer war dem Briten, der die rote Ampel an der Ausfahrt ignoriert hatte, richtig verbunden: Robert Kubica: "Ich bedanke mich bei Lewis, dass er Kimi ins Heck gefahren und nicht mir."

Der polnische BMW-Pilot hat innerhalb eines Jahres auf dem Circuit Gilles Villeneuve die ganz Bandbreite eines Rennfahrerdaseins erlebt: Dem Horrorcrash von 2007 folgte der Grand-Prix-Sieg 2008. Der erste für ihn, im 29. Anlauf, der erste für BMW-Sauber in zweieinhalb Jahren gemeinsamer deutsch-schweizer Präzisionsarbeit. Als Bonus gab es noch die erste WM-Führung gratis dazu. Der Pole will alles, tut alles, und ihm glückt derzeit so ziemlich alles - daran ändert auch der zweite Platz von Nick Heidfeld nichts, der dem Münchner Konzern sogar einen Doppelerfolg beschert hat und zum ersten Mal seit Michael Schumachers Abschied wieder die deutsche Nationalhymne bei der Siegerehrung erklingen ließ.

Fokussiert auf den Null-Fehler-Job

Die Formel 1 hat einen neuen Favoriten, den die Kenner längst haben kommen sehen. Kubica ist das perfekte Spiegelbild für die Vorgehensweise von BMW-Sauber - fokussiert auf den Null-Fehler-Job. "Er ist aus dem Holz geschnitzt, aus dem Champions sind" sagt sein Vorgesetzter und Entdecker Theissen, "dazu gehört, dass er sich nicht von seinem Weg abbringen lassen will." Den Tag danach kann sich der Chef deshalb schon genau ausmalen: "Robert wird morgen nicht anders aufstehen als heute. Er wusste, dass der Sieg passieren kann. Jetzt ist es passiert - und basta. Ich bin mir sicher, dass er nur noch an Magny-Cours denkt." Das nächste Rennen als das schwerste anzusehen, darin sind der BMW-Manager und der BMW-Chauffeur Seelenverwandte wie in der kühlen Analyse. Aber Theissen konstatiert immerhin: "Als er aus dem Auto gestiegen ist, da war er schon sehr emotional."

Nüchtern betrachten zu können, dass ist im Jahr der Stimmungsschwankungen in der Formel 1 ein Ausnahmetalent, und deshalb hat BMW-Sauber den anvisierten Meilenstein "erster Sieg" auch so schnell erreichen können. Das weckt Begehrlichkeiten, das erhöht den Erfolgsdruck - und wird so zur Generalprobe für den im nächsten Jahr angepeilten Angriff auf den Titel. So lange will in den Rennfabriken von München und Hinwil natürlich keiner mehr warten, in der Formel 1 und überhaupt in Konzernen gehört die Geduld nicht zu den ausgeprägten Stärken. Und die menschlichen, technischen und schicksalhaften Fehlerserien der Konkurrenz eröffnen dem durchstrukturierten Rennstall BMW-Sauber, der erst seit dreieinhalb Jahren gemeinsame Sache macht, plötzlich die Chance, die Zielsetzung schneller als gedacht zu verwirklichen.

Deshalb wird bei BMW der große Masterplan noch einmal modifiziert. Geplant war, bereits in den nächsten Wochen den Schwerpunkt auf die Fahrzeugkonstruktion für 2009 zu legen. Jetzt, wo man in der Konstrukteurs-WM nur zwei Zähler hinter Ferrari liegt und Kubica die Fahrer-Wertung anführt, könnte sich das noch hinauszögern: "Alle im Team haben Blut geleckt. Wir müssen das Auto schneller machen, und die Arbeitsweise und die Zuverlässigkeit beibehalten." Das Wettrüsten für die nächsten elf Rennen beginnt, und bange ist es Theissen nicht, dass Rot und Silber nominell mehr Mittel zur Verfügung stehen: "Wir waren auch in den letzten zweieinhalb Jahren das kleinste Team, und haben den Rückstand verkleinert. Ich sehe keinen Grund, dass unsere Leistungskurve abbricht."

Über den eigenen Erfolg hinaus haben Kubica, Heidfeld und BMW-Sauber der ganzen Formel 1 beim Großen Preis von Kanada einen großen Gefallen getan: Erstmals seit 24 Rennen hat nicht Rot oder Silber gewonnen. Die Farbe Weiß-Blau ist der Joker im Spiel.

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