41 Jahre lang, von 1949 bis 1990, war Deutschland geteilt, 28 Jahre davon durch eine Mauer. Alles war in dieser Zeit Wettstreit zwischen den sich diametral gegenüberstehenden Systemen: BRD und DDR, West und Ost, Kapitalismus und Sozialismus. Diese Konkurrenz machte natürlich auch vor dem Sport nicht Halt. Doch nur ein einziges Mal kam es zum direkten Aufeinandertreffen der beiden Fußball-Nationalmannschaften: bei der Weltmeisterschaft 1974 in Westdeutschland.
In der zweiten Finalrunde wurden die Bundesrepublik und die DDR damals in eine Gruppe gelost. Die BRD ging als amtierender Europameister und mit Spielern wie Franz Beckenbauer, Paul Breitner oder Gerd Müller als klarer Favorit in das Spiel. Der Ausgang ist bekannt: Die DDR-Auswahl gewann sensationell mit 1:0. Dabei ging es jedoch um viel mehr als eine Fußballpartie – im Hamburger Volksparkstadion trafen zwei Weltanschauungen aufeinander. Die jetzt erschienene Graphic Novel "Das Spiel der Brüder Werner" von Philippe Collin (Autor) und Sébastien Goethals (Zeichner) erzählt die Geschichte dieser denkwürdigen Begegnung im Kontext der deutsch-deutschen Trennung.
"Das Spiel der Brüder Werner": Stasi-Agenten unter Nationalspielern
Das WM-Spiel gerät dabei fast zur Nebensache – im Vordergrund steht ein Stasi-Agententhriller. Um das Bruderduell auf dem Fußballfeld rankt sich die Geschichte der Brüder Konrad und Andreas Werner, beide Kriegswaisen, beide Stasi-Mitarbeiter und dem Sozialismus treu ergeben. Konrad wird in den Westen geschickt, um sich als Betreuer in die Nationalmannschaft einzuschleichen, dort Zwietracht zu säen und Informationen in den Osten zu schicken. Sein Bruder Andreas begleitet die DDR-Fußballer zur WM. Offiziell als Masseur, in Wirklichkeit aber vor allem als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, um zu verhindern, dass sich die sportlichen Helden der Republik in den Westen absetzen.

Das Spiel der Brüder Werner
Splitter Verlag
152 Seiten
25 Euro
Dass die Stasi sowohl die eigene Nationalmannschaft als auch die Fans bei der WM im verfeindeten Westen genauestens überwachte, ist lange bekannt. "Aktion Leder" hieß die Operation im Ministerium für Staatssicherheit. Die WM 1974 gilt als eine der größten Stasi-Operationen außerhalb der DDR. Als Zuschauer durften nur fest im Sozialismus verwurzelte Bürger mitreisen: Menschen mit Familien, Häusern, passender Gesinnung. Menschen also, die viele Gründe hatten, in die DDR zurückzukehren, und wenige, im Westen zu bleiben. Die Fans wurden von der Stasi bestimmt. Wer sich selbst für die Reise zur Weltmeisterschaft bewarb, war sofort verdächtig und wurde überwacht.
Ein WM-Spiel als Wettkampf der Weltanschauungen
So weit halten sich Collin und Goethals, zwei Franzosen, an die historischen Fakten. Die Stasi-Brüder sind jedoch ebenso Erfindung wie – zumindest so weit man weiß – die Infiltrierung der späteren Weltmeister-Mannschaft. Und ob die Sportler auf beiden Seiten das Spiel im Sinne ihrer Regierungen als Wettstreit der Ideologien wahrgenommen haben, wie im Comic dargestellt, sei auch einmal dahingestellt. Zwischen den Brüdern Werner allerdings verläuft ein Riss: Während Andreas Zweifel am System kommen, stellt sich Konrad, derjenige im Westen, weiter voll in den Dienst der Stasi. Wenn es sein muss, auch auf Kosten des eigenen Bruders.
Die DDR schied trotz des 1:0 aus, ideologisch war der Sieg von Hamburg für die SED jedoch ein Sechser im Lotto, zeigte er doch die angebliche Überlegenheit der eigenen Weltanschauung. In West-Deutschland schlug das Ergebnis ebenfalls Wellen, die glätteten sich aber schnell: Zwei Wochen später wurde die BRD durch ein 2:1 über die Niederlande in München Weltmeister.