Im Jahr 2022 hat der DFB-Bundestag nach einer mehrjährigen Pilotphase einstimmig die Reform des Kinder- und Jugendfußballs beschlossen. Sie soll ab 2024 deutschlandweit umgesetzt werden. Doch seit Wochen hagelt es teils massive Kritik von einigen prominenten Trainern, Funktionären und Experten. Einer der mächtigsten Männer im deutschen Fußball, BVB-Chef Hans-Joachim Watzke, der in Personalunion auch DFB-Vizepräsident und Aufsichtsratschef der Deutschen Fußballliga ist, nannte die Reform jetzt "unfassbar", weil angeblich das Leistungsprinzip ausgehebelt werde, und kündigte eine "Reform der Reform" an.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf zeigte sich von den polemischen Äußerungen Watzkes "überrascht". DFB-Direktor Hannes Wolf, der für die Umsetzung verantwortlich ist, mahnte angesichts des einstimmigen Bundestags-Votums: "Wir sollten daher unsere eigenen Beschlüsse ernst nehmen."
Skeptiker muss man überzeugen
Aber wie blickt man an der Basis auf die Reform? Geht man damit nur noch den "seichten und leichten Weg", wie der Trainer des 1. FC Köln, Steffen Baumgart, monierte?
Hier lohnt ein Blick in die Hauptstadt. Der Berliner Fußball-Verband (BFV) hat bereits in der vergangenen Saison mit der Umsetzung der Reform in der G-Jugend (U7) begonnen. In dieser Saison folgen die F- und die E-Jugend auf freiwilliger Basis. Verantwortlich ist Yannic Fengler, Mitglied im Jugendausschuss des BFV und selbst Nachwuchstrainer. Fengler befürwortet die Reform, die gut ankomme, auch wenn noch nicht alle Trainer und Eltern überzeugt von den neuen Spielformen seien: "Grundsätzlich gibt es in Berlin zwei Lager. Es gibt die, die der Reform positiv gegenüberstehen und sie schon vor der verpflichtenden Umsetzung angegangen sind. Auf der anderen Seite gibt es auch die, die der ganzen Sache ein wenig skeptisch gegenüberstehen. Die sagen, schauen wir erst mal, wie das Ganze funktioniert. Aber grundsätzlich ist die Stimmung positiv in Berlin", erzählte er dem stern am Telefon. Für die neue Spielzeit habe man "über tausend Anmeldungen" von Mannschaften.
Zu den Äußerungen von Watzke, Baumgart und anderen Kritikern hat er eine klare Meinung: "Es klingt jetzt vielleicht ein wenig hart, aber erst mal kann man über solche Sachen ein Stück weit lachen", sagte er. Dennoch betonte er die Bedeutung von Kritik. Fengler gibt zu, dass es offenbar notwendig sei, noch mehr "daran zu arbeiten, Verständnis für die neuen Spielformen zu schaffen". In Berlin stehe der Verband in einem engen Austausch mit den Nachwuchsakademien von Hertha BSC und Union Berlin. "Beide Klubs stehen hinter den neuen Spielformen. Und dann muss man Aki Watzke oder Steffen Baumgart sagen, setzt Euch mit dem Thema auseinander und dann seht ihr auch, was die Vorteile sind."
Fengler: Tabellen haben keine Bedeutung für Kinder
Dass Tabellen und Spielergebnisse wegfallen, habe keine Bedeutung für Kinder in dem Alter. "Wenn man ein Wochenende zu einem Spiel fährt und ein typisches Ergebnis von 20:0 erlebt, hilft das keinem Kind. Jetzt gibt es acht Spielfelder, jedes Kind erhält viel Spielzeit, auch Verlieren gehört dazu. Der Vorteil ist, dass eine Niederlage keinen großen Einfluss hat, weil gleich das nächste Spiel ansteht und da kann man wieder alles geben, um zu gewinnen."
Ein Kern der Reform ist das sogenannte "Festival"-System. Statt eines Liga-Spiels bestreiten mehrere Mini-Teams mit fester Spielerrotation eine Art Turnier. Tore schießen, Gewinnen und Verlieren bleiben erhalten, nur Tabellen und das Eintragen der Ergebnisse fallen weg (siehe Info-Kasten). "Die Vorteile der neuen Spielformen überwiegen definitiv", sagte Fengler. "Das sehe ich auch in meinem Verein (der F.C. Stern Marienfelde, Anm. d. Red). Die Kinder haben Spaß, weil sie so viele Ballkontakte haben und häufig auf das Tor schießen oder Tore verhindern." Jeder erhalte reichlich "Spielzeit". Das Wichtigste sei, dass die Kinder "glücklich" sind und das sehe man "jedes Wochenende".
Auch die Reformen im Jugendfußball der U17 bis U19 befürwortet Fengler. Dort soll die Bundesliga durch eine Nachwuchsliga ersetzt werden, aus der man nicht absteigen kann. Als Vorbild gelten England, Belgien oder die Niederlande, wo ähnliche Ausbildungsmethoden herrschen. "Schauen Sie nach England. Dort gibt es bis zum 18. Lebensjahr überhaupt keinen Ligabetrieb und das wird vom Nachwuchs dort sehr positiv gesehen. Das Problem am alten System ist, dass viel zu oft auf das Ergebnis geachtet wird und nicht auf die Ausbildung der Jugendlichen." Jamal Musiala, der seine Jugendjahre in England absolvierte, sei ein Paradebeispiel dafür, dass ein System mit weniger Druck besser funktioniere.
Ziel dieser Reform ist es, den "Relative Age Effect" zu minimieren. Der beschreibt das Phänomen, dass jüngere Spieler in Jugendmannschaften häufig benachteiligt sind. Wenn der Trainer oder der Verein den Erfolg wie einen Aufstieg will, setzt er logischerweise leistungsstärkere Spieler ein, und das sind in der Regel die Älteren, weil sie körperlich weiter entwickelt sind. In so einem System gehe es hauptsächlich um den Verein und nicht um den Spieler, urteilte Fengler. "Dieser Effekt fällt künftig weg, und das finde ich gut."