Dortmund im Meisterrausch, Leverkusen im Tal der Tränen - die Fußball-Bundesliga erlebte zum Abschluss der 39. Saison ein »Finale Furioso« mit einem spannenden Dreikampf und großen Emotionen. Borussia Dortmund erwies sich im Herzschlagfinale als »Meister der Nerven« und sicherte sich dank des 2:1-Heimsiegs über Werder Bremen am Samstag den sechsten Titel nach 1956, 1957, 1963, 1995 und 1996. Um 17.18 Uhr brachen in der westfälischen Metropole alle Dämme, während bei Bayer Leverkusen trotz des 2:1 über Hertha BSC Berlin nach der vierten knapp verpassten Meisterschaft pure Tristesse herrschte.
Von Tränen überwältigt
»Vizemeister zu sein, ist unsere Tradition. Wenn man wieder mit leeren Händen dasteht, tut das schon sehr weh«, jammerte Bayer- Manager Reiner Calmund, der von Tränen überwältigt seinen Tribünenplatz in der BayArena schon Minuten vor dem Abpfiff verlassen hatte. »Ich konnte es nicht mehr aushalten.« Klaus Toppmöller bemühte sich, Haltung zu wahren und seine vielgelobten Profis wieder aufzurichten. »Nachdem wir in der Kabine gemeinsam geweint haben, sind wir wieder gefasst«, sagte der Bayer-Coach.
Meister bis 17.01 Uhr
Sein Team, das sich bis 17.01 Uhr als Meister fühlen durfte ehe der Brasilianer Ewerthon mit seinem Siegtor im Westfalenstadion den Traum zerplatzen ließ, will trotz des K.o. wieder aufstehen und die ganze Konzentration auf die zwei ausstehenden Finals im DFB-Pokal am Samstag gegen Schalke 04 und vier Tage später in der Champions League in Glasgow gegen Real Madrid richten. »Es muss weitergehen«, sagte Doppeltorschütze Michael Ballack, und Carsten Ramelow meinte: Wenn wir noch einen Titel gewinnen, ist das ein Trost.»
Ausnahmezustand in Dortmund
In Dortmund herrschte der Ausnahmezustand. Bis tief in die Nacht feierten tausende Fans den Triumph ausgelassen mit Autokorsos und Hupkonzerten. In den Kneipen floss das Bier in Strömen. Die offizielle Siegesfeier soll aber erst nach dem UEFA-Cup-Finale in Rotterdam steigen. »Die Gefühle kann man nicht in Worte fassen. Das ist wie ein kleines Märchen«, jubelte Clubchef Gerd Niebaum. Während sich die Mannschaft auf den Rasen feiern ließ, genoss Matthias Sammer seinen ersten Titel im zweiten Trainer-Jahr im Stillen. »Wenn so viele Menschen kommen, werde ich ängstlich und verdrücke mich gern«, meinte der 34-Jährige, den nicht nur Kapitän Stefan Reuter über den grüne Klee lobte: »Er ist ein absoluter Glücksfall.«
Bayern blickt nach vorne
Der entthronte Rekordmeister Bayern München, der als Dritter hinter BVB und Bayer in die Champions-League-Relegation muss, nahm das Verpassen des vierten Titels in Folge fast gelassen und erwies sich als fairer Verlierer. »Dortmund ist verdient deutscher Meister«, meinte Präsident Franz Beckenbauer. Ebenso herzlich gratulierte die übrige Bundesliga-Konkurrenz sowie Bundespräsident Johannes Rau und der bekennende BVB-Fan, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Bayern-Keeper Oliver Kahn und Manager Uli Hoeneß verbanden ihre Glückwünsche mit einer Kampfansage. »Wenn jeder nur 15 Prozent besser spielt, werden wir nächsten Jahr ziemlich klar deutscher Meister«, prophezeite Hoeneß nach dem 3:2 über Hansa Rostock.
Hinter dem Spitzentrio sicherten sich Hertha BSC, Schalke 04 und Bremen die Teilnahme am UEFA-Cup. Der 1. FC Kaiserslautern muss nach der 3:4-Niederlage in Stuttgart ebenso mit dem UI-Cup vorlieb nehmen wie der VfB und 1860 München. Als Absteiger standen schon vor dem 34. Spieltag der SC Freiburg, der 1. FC Köln und St. Pauli fest.
Kirch-Pleite drückte der Saison den Stempel auf
Doch die Saison war nicht allein geprägt durch spannende Kämpfe um Meisterschale und Klassenverbleib. Die Insolvenz des TV-Rechte-Verwerters KirchMedia war und ist Dauerthema und hat zu heftigen Diskussionen um die Abhängigkeit der Clubs von den Fernsehgeldern bis hin zu einer Boykott-Drohung durch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) vor den letzten beiden Spieltagen geführt. Für die laufenden Saison stehen noch 79 Millionen Euro aus. Und dass die vertraglich vereinbarten Raten in den nächsten beiden Jahren in Höhe von 360 Millionen Euro (2002/2003) und 460 Millionen Euro (2003/2004) fließen, ist zumindest zweifelhaft. Schwierige Verhandlungen stehen an, eine Kündigung des TV-Vertrages steht noch im Raum.
Die Fans blieben dem Premium-Produkt Fußball-Bundesliga dennoch treu. Erstmals in der Historie wurde die 10 Millionen-Zuschauer-Marke geknackt. 10 093 792 Fans strömten in die Stadien. Damit wurde der Rekord aus der Spielzeit 1998/1999 (9 736 284) weit übertroffen. Die Torjägerkrone mussten sich wie schon neun Mal zuvor zwei Spieler teilen. Martin Max (1860 München), der zum Abschluss in Mönchengladbach gar einen Elfmeter vergab, und BVB-Star Marcio Amoroso brachten es auf jeweils 18 Treffer.
Häufig gerieten die Schiedsrichter ins Visier der Akteure. Das enorm schnelle Geschehen auf dem Rasen sowie die TV-Zeitlupen, die Fehlentscheidungen gnadenlos entlarven, machen den Unparteiischen das Leben immer schwerer. Calmund brach dennoch eine Lanze für die deutschen Referees. »Unsere Schiedsrichter sind trotz aller Kritik in Europa einsame Spitze.«
Von Ulli Brünger (dpa)