In Krisen jeder Art blühen die wildesten Gerüchte. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass man in Momenten größter Verwirrung und Unsicherheit gedanklich nach allem greift, was irgendwie eine Lösung des Problems darstellen könnte. Selbst die dümmsten Geschichten klingen für einen winzigen Augenblick glaubwürdig. Nur so ist es zu erklären, dass nach dem Aus der Bayern in der Champions League gegen Manchester City ein Münchner Boulevard-Medium auf die Idee kam, dass möglicherweise Florian Hoeneß, Sohn von Uli Hoeneß, ein Kandidat für die Nachfolge des Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn sei. In schweren Zeiten scheint schließlich alles möglich, selbst wenn der gehandelte Nachfolge-Kandidat keinerlei Erfahrung im Fußball hat, wie es bei Florian Hoeneß der Fall ist. Der leitet seit nunmehr über 20 Jahren die Wurstfabrik der Familie in Nürnberg und steht dem Fußball eher fern.
Glaubwürdiger waren da schon die Spekulationen um Axel Hellmann. Hellmann ist aktuell Chef von Eintracht Frankfurt und führt interimsweise die Deutsche Fußball Liga. Nach der Niederlage der Bayern gegen Mainz und dem Verlust der Tabellenführung vergangenes Wochenende soll Hellmann ein "ernsthafter" Kandidat bei den Bayern gewesen sein, waren zahlreiche Medien überzeugt. Sein Name sei gefallen, raunte es. Mittlerweile hat die Deutsche Presse Agentur gemeldet, dass Hellmann nicht nach München wechseln wird. Es habe auch "keinen Austausch" gegeben. Damit hat sich das Gerücht auch erledigt.
Oliver Kahn steht ernsthaft unter Druck
Doch egal wie abseitig die Gerüchte sind, sie machen eines deutlich: Der aktuelle CEO Kahn sollte sich ernsthaft Gedanken über seine Stellung beim FC Bayern machen. Die Spekulationen um seine Person beweisen, dass Kahns Arbeit in den Führungsgremien hinterfragt wird. Er gilt als einer der Hauptverantwortlichen der schweren Sinn- und Titelkrise, in die der Verein steckt. Die hat sich Schritt für Schritt verstärkt, seit der frühere Nationaltorwart im Sommer 2021 zum Vorstandsvorsitzenden ernannt wurde. Seither hat der FC Bayern nur zwei Meistertitel gewonnen, In diesem Jahr droht gar eine titellose Saison. Eine Art Ursünde im Selbstverständnis des Vereins.
Besonders ein Vorwurf wiegt schwer: Der einstige Titan verströme zu wenig Herzenswärme, dass "Mia-san-mia" Gefühl habe schwer gelitten, mit Kahn sei die Kälte eines nüchternden Zahlenmenschen in die Flure der Geschäftsstelle eingezogen. Als letzter Beleg dafür gilt die Art der Nagelsmann-Entlassung, die Kahn abgenickt hat. Zusätzlich hat sich der Zeitpunkt der Entlassung vor den entscheidenden Spielen des Frühjahrs als gewaltiger Fehler erwiesen, von der miserablen Kommunikation nach innen und außen gar nicht zu reden. Da kommt einiges an Kritik zusammen.

Selbstverständlich ist allen Kritikern der aktuellen Lage bewusst, dass zahlreiche Gründe für die Misere existieren, für die Kahn alleine nichts kann. Die Arbeit von Sportvorstand Hasan Salihamidzic wird von vielen noch schlechter bewertet. Er ist es schließlich, der als Hauptverantwortlicher für die Zusammenstellung der Mannschaft zuständig ist. Der "Kicker" weiß zu berichten, dass intern viele den Sportvorstand für schlicht überfordert halten.
Auch das ist richtig: Kahn ist nicht an allem Schuld
Dass zahlreiche Spieler in einer akuten Formkrise sind, auch dafür kann Kahn nichts. Er kann nichts dafür, das die Mannschaft nach zehn Meistertiteln in Folge und dem Gewinn des Triples 2020 vielleicht ein wenig satt ist. Es soll Spieler geben, für die eine Saison ohne Titel nicht "eine Katastrophe" ist, so wie es Kahn behauptet.
Dennoch ist die Lage ernst, und zwar sehr ernst. Das lässt sich nicht nur an den Gerüchten ablesen, sondern auch am Verhalten der Verantwortlichen. Uli Hoeneß, der große Schattenmann des FC Bayern, besuchte am Mittwoch das Training der Mannschaft. Er ließ sich gern dabei fotografieren, wie er mit Trainer Thomas Tuchel 15 Minuten gestenreich redete.
Die Botschaft nach innen und außen ist deutlich: Hoeneß steht zu Tuchel, der nach dem Aus in Pokal und Champions League und dem Verlust der Tabellenführung bereits angeschlagen ist. Mannschaft und Trainer dürfen sich der vollen Unterstützung sicher sein, um den elften Meistertitel zu holen und die Saison einigermaßen zu retten. Es sind ja noch fünf Spiele zu absolvieren. Darüberhinaus darf man Hoeneß' öffentlichen Besuch als Botschaft an Kahn und Salihamidzic verstehen. Seht her, genau das ist es, was jetzt zählt: Einigkeit demonstrieren und sich gegenseitig unterstützen. Genau dafür sollte ein Vorstandsvorsitzender bei aller professionellen Kühle auch zuständig sein, wollte Hoeneß wohl sagen.
Hoeneß weiß, dass man nicht mal eben einen Vorstandsvorsitzenden austauscht. Kahn sollte, als er vor knapp zwei Jahren den Job angetreten hat, die große Lösung sein. Man hat ihn und Salihamidzic installiert, weil ihnen zugetraut wurde, das große Erbe von Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge weiterzuführen. Im Moment bestehen daran erhebliche Zweifel. Dass Kahn mehr als Salihamidzic Ziel der Kritik ist, hat auch damit zu tun, dass der Sportvorstand (noch) unter dem Schutz seines Förderers Hoeneß steht. Doch auch das kann sich schnell ändern.
Die Personalie Kahn wird Thema der nächsten Aufsichtsratssitzung sein. Die findet am 22. Mai statt. Bis dahin ist viel Zeit für Gerüchte und weitere Hoeneß-Auftritte. Entschieden ist nichts.
Quellen: "kicker", "Süddeutsche Zeitung", "Zeit", "t-online"