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Die Rückkehr des FC St. Pauli "Die Liga hat uns verdient"

Ein Stadtteil fiebert mit, und besonders ein Mann ist "wahnsinnig heiß auf Samstag, 15.30 Uhr". Holger Stanislawski hat der Bundesliga nach acht langen Jahren den FC St. Pauli zurückgebracht.
Von Daniel Barthold und Dirk Benninghoff

Das "Freudenhaus der Liga" ist nicht tot zu kriegen. Für viele Kommentatoren seit jeher ein prall-ulkiges Synonym für den FC St. Pauli, ist es als nervtötende Floskel einfach unzerstörbar. Der Club war ja schließlich schon immer der "etwas andere Verein". Und in der Tat war einiges anders als bei anderen, was mit Rotlicht aber wenig zu tun hatte. "Wir haben uns vor dem Training mit 25, 28 Mann in einer Schulturnhalle umgezogen. Wer zu spät kam, hat keinen Haken mehr bekommen", erinnert sich Holger Stanislawski an seine Anfänge im Club 1993. So läufts auch bei Freizeitkickern ab, jedoch hatte der Ur-Hamburger bei einem Zweitligisten mit Erstligavergangenheit angeheuert. Heute hat sich nicht nur die Sache mit den Haken geklärt. In vielen Dingen ist der Bundesliga-Aufsteiger nicht mehr "etwas anders", sondern einen Schritt weiter. Der Trainer: "Der Verein ist viel professioneller geworden."

Stanislawski Vater des Erfolges zu nennen, wäre nicht nur ab-, sondern auch zu kurz gegriffen. Er hat den Verein zusammen mit Ex-Präsident Corny Littmann aus seiner Trance geholt. Als Stanislawski im November 2006 vom Manager zum Trainer wurde, steckte der Verein in der dritten Liga fest. Im Pokal hatte man aufhorchen lassen und es bis ins Halbfinale geschafft, doch in der Regionalliga mit der Spitze wenig zu tun gehabt. Den rasanten Aufstieg des FC St. Pauli vom Dritt- zum Erstligisten binnen drei Jahren hätte es ohne Stanislawski, dem das Ganze fast zu schnell ging ("Das war so gar nicht geplant"), nicht gegeben.

Und jetzt sitzt er in der Geschäftsstelle in der neuen Südtribüne, ist aufgedreht und bester Dinge. Der Trainer brennt auf das Spiel in Freiburg – St. Paulis erster Bundesligatermin seit dem 4. Mai 2002. Es "kribbelt" sagt er. Und dass er sich "wahnsinnig auf Samstag, 15.30 Uhr" freue. Präsident Stefan Orth schneit just aus dem Urlaub herein. Umarmung, Schulterklopfen. Man mag sich. Der Vereinsboss geht nur etwas forscher an das Projekt Bundesliga heran. Während für den Trainer Platz 15, also der Nichtabstieg das Ein und Alles ist, setzt Orth sein persönliches Ziel für diese Saison ambitionierter an: "Platz 12." Während Stanislawski wie Manager Helmut Schulte langfristig einen Platz unter den "Top 25" in Deutschland anpeilen, also auch das ein oder andere Jahr Zweite Liga einkalkulieren, schwebt Orth vor: "Ein Platz unter den Top 15, also dauerhaft Bundesliga." Ein Präsident gehe "immer einen Schritt vor", meint der Littmann-Nachfolger. Dauerhaft konnte sich Pauli bei vier Versuchen noch nie in Liga 1 platzieren. Drei Jahre am Stück (1988 bis 1991) waren schon die längste Serie.

Die Probleme der Fan-Akquise

Doch mittlerweile erscheint für einen Verein wie den von Stanislawski und Orth die Zweite Liga nicht mehr angemessen. 19 Millionen Sympathisanten, so ermittelte eine Umfrage, soll der FC St. Pauli in ganz Deutschland haben. Beileibe nicht alles Fans, aber Millionen, die sich das Team vom Hamburger Millerntor dauerhaft als Bundesligisten wünschen. Entsprechend hoch sind die Merchandising-Einnahmen, wo St. Pauli sogar zu den "Top 10" gehört. Die Totenkopf-Artikel verkaufen sich ungebrochen gut. Genau wie die Logen ("Separees") im Stadion: "Nur zwei sind noch zu haben", freut sich der Präsident. Das Stadion insgesamt soll Ende 2012 umgebaut sein. Rekordverdächtige sechs Jahre hat der Verein dann daran gewerkelt. Mehr als 35.000 Zuschauer werden am Millerntor aufgrund der zentralen Lage aber niemals Platz finden, was der Präsident bedauert. Da sei es schwer, neue Fans ins Stadion zu locken. Leute, die ab und an Lust auf ein Spiel haben, aber keine Dauerkarte.

Mit 39 Millionen Euro ist der Etat für die Bundesliga mehr als doppelt so hoch wie in der Saison zuvor. Mit einem halben Dutzend Bundesligisten könne man finanziell schon mithalten, frohlockt der stolze Präsident, der überhaupt kein Problem darin sieht, Kultur und Kommerz zu vereinen. St. Pauli ist hip wie nie zuvor. Gerade wird ein Film gedreht über Viertel und Verein, "Gegengerade" heißt er, und selbst der große Mario Adorf spielt mit. Entsprechend groß sind Orths Vorstellungen von der Zukunft: "Wir sind ein schlafender Riese, der geweckt wurde. Der FC St. Pauli ist das, was viele Menschen mit Fußball assoziieren."

Stanislawski würde erst einmal ein zweites Jahr genügen. Schüchtern geht auch er nicht an das Projekt heran. "Die Bundesliga hat es verdient, den FC St. Pauli ein weiteres Jahr zu genießen." Um diesen Genuss der Liga zu ermöglichen, hat er die Mannschaft nur dezent verstärkt. Wichtigster der fünf Neuzugänge: Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah, der von Schalke kam und beste Chancen hat, zum Kiez-Sympathieträger zu werden. Der Coach setzt auf Kontinuität, hat aus der bislang letzten Bundesligasaison der Kiezkicker 2001/02 Lehren gezogen. Damals war der halbe Kader ausgetauscht worden. "Es bringt nichts, wenn Du es vor einer neuen Saison plötzlich mit zwölf neuen Spielern zu tun hast", meint Stanislawski jetzt. "Dann sprichst Du denen, die aufgestiegen sind, die Qualität ab. Wenn eine Mannschaft in einer Saison so viel Tore schießt wie Bayern München und genauso oft gewinnt, dann wird diese Mannschaft auch in der Bundesliga funktionieren." Er schließt aber nicht aus, "dass man gegen die Bayern auch mal fünf Stück kassieren kann".

Vorbild Bayern München

Und so stehen noch zehn Leute im Kader, die 2007 aus der dritten Liga aufgestiegen sind. Loyalität, Kameradschaft – wichtige Werte in einer Truppe, die es auch durch ihren Zusammenhalt so weit gebracht hat. Allerdings, so betont der Trainer, "wir vergeben keine Verträge aus Dankbarkeit". Das können sie sich auch kaum leisten, wenn die Gegner nicht mehr Ahlen oder Oberhausen, sondern Bayern und Werder heißen. Zwei Klubs übrigens, die für St. Pauli als Vorbilder stehen. Werder ist für Manager Helmut Schulte das Optimum an Kontinuität, die Bayern wiederum – zu Hafenstraßenzeiten für viele Fans so etwas wie ein Klassenfeind – nimmt sich Orth vor allem als soziales Vorbild. Schließlich haben die Bayern St. Pauli in Krisenzeiten geholfen. Entsprechend bescheinigt der dankbare Orth dem Kollegen Hoeneß "riesige Sozialkompetenz".

Riesig muss sie vielleicht nicht sein, aber ein wenig davon will Stanislawski auch bei seiner Mannschaft spüren. "Die Spieler müssen wissen, dass es auf St. Pauli neben Kiez und Reeperbahn auch Armut, Hartz IV und soziale Projekte gibt." Die Bindung zum Stadtteil sei ihm wichtig, sagt der Coach, der jetzt ins 18. Jahr auf St. Pauli geht. Wir können nicht nur nach außen sagen, dass Fans und Mannschaft eine Einheit sind - man muss das auch leben."

Wider die Defensive

Ebenso glaubwürdig soll auch die Spielweise seiner Mannschaft sein. Angriff ist angesagt. "Frech" will Stanislawski spielen lassen. Untypisch für einen Aufsteiger, und da ist St. Pauli dann doch "etwas anders". Doch der Trainer ist zur Offensive geradezu gezwungen. "Ich kann den Spielern nach drei Jahren Offensivfußball jetzt nicht sagen: 'Jungs, wir spielen jetzt Bundesliga, vergesst alles, was ich Euch die Jahre eingeimpft habe: Wir stellen uns jetzt hinten rein.' Dann werde ich unglaubwürdig, dann kriege ich die Spieler nicht mehr aktiviert. Ich habe auch gar nicht die Spieler, die sich einfach hinten rein stellen können."

Und so will er stürmisch und unbeschwert in die Saison gehen. Stanislawski platzt fast vor Vorfreude. "Wenn Du in Dortmund einläufst und da stehen beim Warmmachen schon 25.000 auf der Südtribüne - das ist atemberaubend. In der Zweiten Liga kommst Du in das ein oder andere Stadion und denkst: Das Spiel fällt aus." Für ihn muss es jetzt nur noch "endlich losgehen". Dass seine Mannschaft die Klasse hält, ergibt sich für Stanislawski aus der "wahnsinnigen Unterstützung, unserer Ruhe und unserem Selbstvertrauen". Sein Präsident wünscht sich noch etwas anderes als den Klassenerhalt: weg mit dem "Freudenhaus"! Das Gerede vom "Kult-Club" nerve ihn, bekennt Orth. Warum? "Man fühlt sich nicht ernst genommen."

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