Österreich Katzenjammer nicht die Lösung

Von Frank Hellmann, Stegersbach
Österreich versinkt nach dem Ausscheiden nicht in Fassungslosigkeit. Wie aber geht es weiter beim 92. der Fifa-Weltrangliste? Josef Hickersberger ist bereit, Teamchef der Österreicher zu bleiben, weil die Aufbauarbeit in der Alpenrepublik fortgeführt werden soll. stern.de beantwortet die wichtigen Fragen.

Es war am Dienstag zur Mittagstunde das erste Mal, das Friedrich Stickler, der Präsident des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB) im umfunktionierten Thermenpool des Hotels Larimar von Stegersbach im Scheinwerferlicht Platz nahm. Wenn ein Verbandsboss vor Teamchef Josef Hickersberger live im Fernsehen redet, muss Besonderes geschehen sein. Aber war es wirklich überraschend, dass sich Österreich genau wie die Schweiz von der Euro-Bühne nach der Vorrunde verabschiedet hat? Das war es nicht. Und das wusste Stickler auch in schöne Worte zu kleiden.

"Es tut weh und es ist eine Enttäuschung. Aber wir haben uns viel besser verkauft, als uns das viele zugetraut haben. Das Leben geht weiter und wir stehen wieder auf. Die EM kam für unsere entwicklungsfähige, junge Mannschaft ein, zwei Jahre zu früh." Und der ÖFB-Boss vergaß nicht an das Wesentliche der kommenden Tage zu erinnern: "Das Turnier geht weiter und wir wollen ein guter Gastgeber sein." Ab jetzt gelte das Motto: ein Land auf der Tribüne, reduziert auf die Zuschauerrolle. Dann grinste der Mann mit dem gut gebräunten Gesicht und dem sorgsam gekämmten grauen Haar.

Kaum Presse-Schelte

Wer glaubt, da habe ein Funktionär nur wieder Worthülsen fernab der Wirklichkeit produziert, der irrt. Österreich geht wirklich mit erhobenem Haupt und einer Menge Stolz aus diesem Turnier. Erfreulich: Nach der Niederlage gegen Deutschland herrschte kein Wehklagen, kein Katzenjammer vor; gab es kein Nachtreten, kein Nachkatern. "Aus der Traum" titelte "Österreich", "Nur noch Gastgeber" klagte "Die Presse", "Ballacks Blattschuss trifft mitten ins Herz", fand der "Kurier", "Die Wunden von Wien", schrieb "Der Standard".

Aber es gab nichts Gehässiges, eher Gehaltvolles, gar mit hintergründigem Humor gewürzt. Die Nation ist Niederlagen gewohnt. Verlief die EM anders als erwartet? Ergebnistechnisch nicht: 0:1, 1:1, 0:1 – ein Elfmeter, ein Tor, ein Punkt. Kein Gastgeber einer EM war je schlechter als Österreich. Wer die rot-weiß-rote Bilanz auf diese – unumstößlichen - Fakten - reduziert, analysiert zu kurz. Denn die erfreulichen Tendenzen waren unverkennbar - in allen drei Spielen gegen Kroatien, gegen Polen und just gegen Deutschland hatte Österreich gute Chancen - vergab aber alle mehr schlecht als recht.

Das Wunder blieb aus

"Vorne mangelte es an Qualität", sagte Hickersberger. Und wenn ein selbstzufriedener Torjäger wie Roland Linz außer Form, die frech-forschen Angreifer Ümit Korkmaz, Erwin Hoffer oder Martin Harnik im Abschluss noch zu grün sind, dann springt halt nichts anderes heraus. "Uns fehlte ein Schuss Erfahrung, ein Schuss Cleverness, ein Schuss Durchsetzungsvermögen - in der Summe war das ein bisschen viel", sagte Andreas Herzog – gänzlich unverbittert. Das ist die Tonart der Rot-Weiß-Roten.

"Wir haben alle vom Wunder geträumt, davon, dass sich die Jahrhundertsensation noch einmal wiederholt. Aber Cordoba gibt es eben nur einmal", sagte Österreichs Fußball-Ikone Hans Krankl. "Aber wir hatten die Chance des Jahrhunderts gehabt und diese ausgelassen", jammerte Ski-Idol Hermann Maier. Doch den Pessimimus kann Hickersberger nicht verstehen. "Man muss schon konstatieren, dass die Zukunft des österreichischen Fußballs besser sein müsste als die Gegenwart. Das Viertelfinale war unser Ziel. Ich habe unser Ziel mitgetragen, und ein Teamchef muss sich daran messen lassen."

Macht "Hicke" weiter?

Es ist allerdings ein Trugschluss, daraus den Rücktritt des Trainers abzuleiten. Dass Hickersberger gestern bereitwillig aufstand, um Gerhard Gucher, den Tourismusdirektor des Burgenlandes, zu Wort kommen zu lassen, war kein symbolischer Akt. Der Studierte aus Amstetten mag nicht für einen anderen Platz machen, der die Früchte seiner anfangs arg umstrittenen Aufbauarbeit erntet. "Ich möchte hiermit kund tun, dass ich weiterarbeiten will", erklärte der 60-Jährige. Neben ihm hockte Stickler, der enge Freund des Teamchefs. "Das nehme ich sehr positiv auf."

Gleichwohl: Fix ist die Verlängerung des bis Jahresende laufenden Vertrages nicht. Das hängt zum einen mit einer für den 24. Juni terminierten Präsidiumssitzung zusammen, zum anderen mit den beschränkten Mitteln des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB). Dabei ist kurioserweise nicht Hickersbergers Gehalt die Kardinalfrage ("Es geht nicht ums Pokern und ums Feilschen: Ich werde hier nicht reich"), sondern die des Konditionstrainers Roger Spry. Der eigenwillige Brite, entscheidend für die physischen Verbesserungen verantwortlich, kann vom ÖFB nicht mehr so bezahlt werden wie bisher, "wir müssen haushalten", sagt Stickler.

Schwere Aufgaben warten

Und Hickersberger muss auch "wegen einiger weiterer Kleinigkeiten noch ein bisschen nachdenken." Denn er weiß rückblickend: "Vor zwei Jahren wurden wir verhöhnt und verspottet, und mir hätten's am liebsten ein Kamel vors Stadion gestellt, damit ich in die Wüste reite." Auch die anstehenden Aufgaben sind ja nicht gerade leicht für eine Nation, "die sich unter normalen Umständen auch für diese EM nicht qualifiziert hätte", wie Hickersberger sagt.

Im August wird in aller Freundschaft gegen Italien gespielt, im September kommt zum ersten WM-Qualifikationsspiel Frankreich nach Wien. Und der Studierte aus Amstetten weiß halt auch zu genau, wie schnell seine Landsleute von der jetzigen Jubelstimmung wieder in abgrundtiefe Verachtung umschlagen. Wie war das noch in seiner ersten Amtszeit als ÖFB-Teamchef, die ja so abrupt endete? Österreich hatte sich erhobenen Hauptes von der WM 1990 verabschiedet (1:2 im letzten Gruppenspiel gegen Italien), dann wartete die EM-Qualifikation und ein ominöses Spiel auf den Färöer Inseln, das bekanntlich 0:1 verloren ging und "Hicke" den Beinamen "Färöer-Pepi" einbrachte.

Viel Arbeit mit den Spielern

"Davon haben wir uns vier, fünf Jahre lang nicht erholt -Trainer und Spieler sind danach wild getauscht worden", erinnert sich Herzog, "das hat unserem Fußball nur geschadet." Kontinuität, verlangt Hickersbergers rechte Hand, sei jetzt vonnöten, um Talenten von Kaliber wie Ümit Korkmaz, Erwin Hoffer, Sebastian Prödl oder auch noch formbaren Kräften wie Christian Fuchs oder Andreas Ivanschitz zu vermitteln, "dass sie weitermachen müssen und wir nicht wieder einschlafen dürfen." Hickersberger glaubt, "dass meine Akteure an Respekt und Turniererfahrung gewonnen haben, das ist das höchste, was ein österreichischer Nationalspieler gewinnen kann."

Man möchte den aufrechten Erneuerern fast wünschen, dass am 11. Oktober dieses Jahres sich die Geschichte nicht wiederholt: Dann wird Österreich auf den Färöern eine dritte Quali-Partie spielen. Und Hickersberger fragte sich gestern schon: "Bin ich mit 60 dafür noch gut genug?" Er wird sich darüber auch auf der Tribüne des Ernst-Happel-Stadions Gedanken machen. "Ich schaue mir in Wien in Ruhe beide Viertelfinals an. Der Spaßfaktor ist bei mir ein bisschen zu kurz gekommen. Ich freue mich auf die weiteren Tage." Es waren Worte eines vorbildlichen Verlierers.

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