Noch bevor Cristiano Ronaldo überhaupt die sportliche Bühne bei der Fußball-Europameisterschaft betrat, hatte er seinen ersten großen Auftritt. Bei einer Pressekonferenz vor dem ersten Spiel der portugiesischen Nationalmannschaft gegen Ungarn schob der fünffache Weltfußballer die Flaschen des Sponsors Coca-Cola, die auf dem Podium standen, zur Seite – und stellte eine Flasche Wasser vor sich: "Wasser, nicht Coca-Cola".
Die Szene wurde in ganz Europa und darüber hinaus beachtet, im Internet schauten sich Millionen Fans Ronaldos Statement an. Und die Aktion des Europameisters von 2016 fand schnell Nachahmer: Der Franzose Paul Pogba ließ auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Deutschland eine Flasche des Bierherstellers Heineken, ebenfalls EM-Sponsor, verschwinden. Pogba ist überzeugter Muslim und trinkt keinen Alkohol. Auch der Italiener Manuel Locatelli folgte nach seinem Doppelpack gegen die Schweiz Ronaldos Beispiel.

Anders als Ronaldo: Russlands Trainer schwört auf Cola
Schon in der ersten Turnierwoche hat sich das Spielchen mit den Cola- und Bierflaschen auf dem Podium zum Running Gag der EM entwickelt. Normalerweise stehen die Flaschen bei Pressekonferenzen lediglich zu Werbezwecken vor den Akteuren – bewusst wahrgenommen werden sie selten. Das hat sich jetzt geändert.
Zu Ronaldo, Pogba und Locatelli hat sich nämlich auch eine Art Gegenbewegung entwickelt: Spieler und Trainer, die sich jetzt erst recht mit den Turniersponsoren identifizieren können. Oft mit einem Augenzwinkern, Humor hilft, wenn die Nervosität in den Tagen vor einem Spiel steigt oder nach einem Sieg abfällt. Der russische Trainer Stanislaw Tschertschessow beispielsweise öffnete sich bei seinem Pressetermin eine Flasche Cola – da ihm ein Flaschenöffner fehlte, nutzte er dafür kurzerhand eine andere Flasche. Anschließend trank Tschertschessow die halbe Flasche in einem Zug aus, auch dieses Video wurde zum Hit in den sozialen Netzwerken.
Der ukrainische Spieler Andrij Yarmolenko erlaubte sich einen kleinen Spaß. Im Gegensatz zu Cristiano Ronaldo rückte er die Cola- und Heineken-Flaschen demonstrativ näher an sich heran: "Ich habe Cristiano Ronaldo gesehen, wie er das gemacht hat. Aber ich will es hierher stellen." Scherzhaft hoffte er auf einen neuen Werbevertrag mit den Getränkefirmen: "Kontaktiert mich! Coca-Cola und Heineken, bitte meldet euch." Ähnlich äußerte sich der belgische Stürmer Romelu Lukaku, der die Sponsoren lachend dazu aufforderte, sich bei seinem Manager zu melden: "Wir könnten zusammenarbeiten."
Verlust von Coca-Cola-Aktie hatte nichts mit Ronaldo zu tun
Cristiano Ronaldo, der den Stein ins Rollen gebracht hat, dürfte es hingegen sehr ernst gewesen sein. Der Juve-Star ist für seine geradezu fanatisch gesunde Lebensweise bekannt, zuckerhaltige Softdrinks und Alkohol haben darin keinen Platz. Auch deshalb spielt Ronaldo noch mit 36 Jahren auf Weltklasse-Niveau. Für viele junge Menschen auf der ganzen Welt hat er eine Vorbildfunktion, sein öffentlichkeitswirksamer Aufruf zu einer gesunden Ernährung dürfte nicht ungehört bleiben. Allerdings hat er damit dem Getränkeriesen Coca-Cola wohl weniger geschadet als zunächst gedacht.
Nach Ronaldos Flaschenschieber auf der Pressekonferenz sackte der Kurs der Aktie von Coca-Cola kurz ab, das Unternehmen verlor vier Milliarden an Wert. Schnell wurde das von Beobachtern dem Fußballstar zugeschrieben – im Nachhinein eine klassische Verwechslung von Korrelation und Kausalität. Der zeitliche Zusammenhang existierte zwar, der Kursverlust war jedoch in Wirklichkeit darauf zurückzuführen, dass die Aktie ausgerechnet am Tag von Ronaldos Pressekonferenz ohne Bezugsrecht für die bevorstehende Dividende geführt wurde. Das ist ein normaler Vorgang an der Börse, mit Cristiano Ronaldo und seiner Botschaft hat das wenig zu tun. Mittlerweile hat sich der Kurs wieder erholt.
So bleibt die Frage, was hinter den Aktionen mit den Cola- und Heineken-Flaschen steckt – und wer wirklich davon profitiert. Dass Softdrinks und Alkohol für Sportler nicht ratsam sind, wird wohl jeder Trainer bestätigen. Im Falle von Heineken gehört auch zur Wahrheit, dass bei den Pressekonferenzen lediglich Flaschen mit alkoholfreiem Bier auf dem Podium stehen. Während viele Fans das Hin und Her der Stars eher amüsiert verfolgen, machen sich andere Gedanken um die Hintergründe und Folgen.
Mündige Spieler – oder doch nur ein Werbegag?
Manche wollten erkannt haben, wie sich das Machtgefüge im modernen Fußball langsam zu verschieben beginnt: Die Spieler beginnen, gegen die Sponsoren aufzubegehren und ihre eigenen Werte zu vertreten. Dazu passt, dass diese EM so sehr von politischen und persönlichen Gesten geprägt ist wie wohl noch keine zuvor. So knieten sich mehrere Mannschaften vor dem Anpfiff aus Solidarität mit der "Black Lives Matter"-Bewegung hin, DFB-Kapitän Manuel Neuer lief mit einer Regenbogen-Binde auf.
Gleichzeitig liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine konzertierte Aktion der Getränkehersteller handeln könnte, eine Ausweitung der Werbekampagne. Denn nun wird über Coca-Cola und Heineken gesprochen und diskutiert, die Marken stehen noch stärker in der Öffentlichkeit als durch Bandenwerbung oder andere Sponsorenverträge. "Jede PR ist gute PR", lautet eine alte Weisheit in der Branche. Und auch bei Cristiano Ronaldo sind die Grenzen fließend: Der so gesundheitsbewusste Superstar hat in früheren Jahren selbst schon Werbefilme für Coca-Cola und andere Fast-Food-Ketten gedreht.
Die Uefa geht diesbezüglich lieber auf Nummer sicher: Der europäische Fußballverband verbittet es sich in Zukunft, dass Produkte von Turniersponsoren vom Podium entfernt werden. "Wir haben mit den Mannschaften gesprochen. Die Einnahmen sind wichtig für das Turnier und den europäischen Fußball. Daran haben wir erinnert", sagte Turnierdirektor Martin Kallen.