Lothar Matthäus hatte in all seiner unergründlichen Weisheit das Unheil für die Mannschaft von Borussia Dortmund kommen sehen. In seiner "kicker"-Kolumne hatte der Rekordnationalspieler gewarnt, dass die Münchner "gereizt" seien. Und das sei selten gut für einen Gegner. Dass es aber im angeblichen Spitzenspiel so kam, wie es kam, war dann doch überraschend. Mit 4:2 schlugen die Bayern einen desolaten BVB, der dabei noch Glück hatte, dass das Ergebnis am Ende nicht so eindeutig war, wie die Kräfteverhältnisse vorher auf dem Rasen der Münchner Allianz Arena.
Dort führte der Rekordmeister die Gäste brutal vor und stellte die gewohnte Machtordnung in der Liga wieder her. Immerhin hatte der BVB sich mit einer Siegesserie seit Januar an die Ligaspitze gekämpft. Jetzt thronen dort wieder die Bayern und man ahnt: Sie werden sich da oben nicht noch einmal verdrängen lassen, die 11. Meisterschaft in Folge fest im Blick. Es spricht viel dafür, dass sich die Hoffnung auf einen spannenden Titelkampf schon wieder erledigt hat.
Kahn und Matthäus liefern sich Wortgefecht
Dass die Bayern manchmal ein gewisses Reizklima brauchen, um ihre ganze Leistung abzurufen, erlebte man an diesem Abend wie in einem Lehrstück. Da war zum einen die aus Bayern Sicht kaum zu ertragende Tatsache, dass man die Tabellenführung an Dortmund verloren hatte. Und es gab den Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel vor einer Woche. Den hatten der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic recht ruppig und für viele überraschend (auch für die Mannschaft) vorgenommen.
Besonders die Kommunikation, die die Personalrochade begleitete, rief viel Kritik hervor. Die Entlassung Nagelsmanns sickerte durch, bevor der Betroffene selbst von den Verantwortlichen informiert wurde. Vor der Partie lieferten sich Kahn und Matthäus deshalb vor den Kameras von "Sky" ein Redegefecht. Kahn gab zu, dass die Kommunikation eine "Katastrophe" und "nicht gut" war. Gleichzeitig konterte er der Kritik von Matthäus und blaffte: "Immer diese Unterstellung, wir würden den Stil des FC Bayern nicht wahren, also da wäre ich mal ganz, ganz vorsichtig."
Es gab also mehr als genug Reizthemen. Für den Neuen an der Seitenlinie war das kein Problem. Thomas Tuchel fühlte sich nach dem Sieg erst einmal "besser", weil er "sehr nervös" vor dem Spiel gewesen sei, wie er danach zugab. Zwar sei es insgesamt "ein sehr guter Start" gewesen, aber der neue Bayern-Coach kritisierte gleichzeitig, die Partie sei "ein bisschen zu offen und zu wild" gewesen. Es sei "noch viel Luft nach oben".
Bayern gegen BVB endlich wieder echtes Spitzenspiel – ein Vergleich der beiden Teams

Tuchels taktische Maßnahmen zeigen Wirkung bei Bayern
Führungsspieler wie Thomas Müller und Joshua Kimmich brachen ebenfalls nicht in Triumphgeheul aus, sondern gaben sich angesichts der Nagelsmann-Entlassung angemessen zerknirscht ("Muss man sich auch als Mannschaft hinterfragen") und bestätigten ihren neuen Coach in dem Urteil, dass noch "viel Arbeit auf uns wartet" (Müller), als hätten sie sich abgesprochen.
Was Tuchel bemängelte, waren der nervöse Start, einige unnötige Ballverluste und Abstimmungsprobleme. "Sehr schlampig" sei das gewesen. Dennoch zeigten die taktischen Maßnahmen des neuen Trainers Wirkung. Tuchel hatte die Mannschaft defensiv eingestellt. Ihm ging es erst einmal um Sicherheit und Stabilität. Dafür sorgte in der Defensive eine Viererkette, was der Mannschaft offenbar gut gefiel. Das nicht alles klappte, hatte für die Bayern an diesem Abend keine Konsequenzen, weil der Gegner zu schwach war.
Und weil sich schon sehr früh im Spiel diese eine Szene ereignete, die für Erheiterung bei den Bayern-Fans und für Grausen beim BVB-Anhang sorgte. In der 13. Minute rauschte ein langer Ball von Bayern-Verteidiger Dayot Upamecano durchs Mittelfeld, den BVB-Keeper Gregor Kobel außerhalb des Sechzehners mit dem Fuß wollte. Klappte nicht. Zu seinem Leidwesen produzierte er eine Luftnummer und verfehlte das Spielgerät, das danach von Leroy Sané begleitet ins Tor rollte.
Kobel schlägt Hände vor das Gesicht
Sofort schlug sich der BVB-Keeper die Hände vor das Gesicht und schaute dem Ball gar nicht mehr hinterher. "Wie der Ball da durchgerutscht ist, weiß ich nicht. Das ist eine schöne Scheiße gewesen, das muss man einfach so sagen", sagte er über seine Slapstick-Nummer in der 13. Minute, die zum 1:0 für der Bayern führte und den BVB ins Mark traf.
Tuchel reagierte an der Seitenlinie fast ungläubig, bevor er aufsprang und seine Spieler Kommandos zurief. Fünf Minuten später fiel nach einem Eckball das 2:0 durch Thomas Müller, der einen Kopfball von Matthijs de Ligt, so sah es aus, mit dem Unterleib ins Tor bugsierte. Noch einmal fünf Minuten später ließ die BVB-Defensive Leroy Sané nahezu ungehindert zum Schuss kommen, Kobel wehrte nur unzureichend ab und wieder war Müller zur Stelle. Nach 23 Minuten stand es 3:0, das Spiel war mehr oder weniger gelaufen.
Sollten die Dortmunder zu diesem Zeitpunkt auf die zweite Halbzeit gehofft haben, mussten sie diese schnell aufgeben. Kingsley Coman, der von Beginn auf seiner geliebten linken Seite begann (Sané musste rechts übernehmen) machte sofort nach Wiederanpfiff schließlich sämtliche Dortmunder Hoffnungen zunichte, vielleicht mit einer beherzten zweiten Hälfte doch noch was zu reißen. Der Rest des bemerkenswerten Spiels bestand aus zwei Abseitstreffern von Eric Maxim Choupo-Moting und dem später eingewechselten Serge Gnabry. Dass Emre Can noch einen Strafstoß verwandelte und Donyell Malen schließlich auf 4:2 verkürzte, hatten keine Bedeutung mehr an diesem denkwürdigen Abend.