Mit dem Sommer in Deutschland ist das so eine Sache. Und mit dem Sommermärchen erst recht. Deshalb verlangt auch niemand, dass die bevorstehende Frauen-WM das Fußballland wieder in solche Aufregung versetzt wie 2006, als die Partystimmung davon befeuert wurde, dass die Sonne fast ein ganzes Turnier lang von Hamburg bis München, zwischen Gelsenkirchen und Berlin vom Himmel schien. Immerhin: Die ersten Vorhersagen fürs weibliche Championat, das am Sonntag beginnt, sind ebenso erfreulich. Doch selbst wenn es fortan tatsächlich wieder jeden WM-Tag Sonne satt geben sollten, würde ein Vertreter wohl noch immer frieren: die Fußballerinnen aus Äquatorialguinea.
"Viele von uns empfinden es noch bei 25 Grad als sehr kalt hier. Ich sagen denen immer: Ach, das ist nur der Wind", erzählt die Spielführerin Genoveva Anonma, gerade vom USV Jena zum deutschen Meister Turbine Potsdam transferiert. Die warmen Worte nützen allerdings nur bedingt: Während des Trainingslagers in der Sportschule Bitburg, gelegen mitten in einem ehemaligen Militärgelände in der wetteranfälligen Eifel, haben sich einige Spielerinnen einfach im Trainingsanzug in die 40-Grad-Wärmekabine gesetzt. Und irgendwann entdeckten andere die Sauna zum Aufwärmen zwischendurch. Außergewöhnlich auch die Essenszubereitung für die weiblichen Abgesandten aus dem Zwergenstaat: Nicht nur großen Hunger haben die Afrikanerinnen mitgebracht, sondern auch riesige Lust auf Scharfes - gewaltige Mengen an Tabasco mussten her, um die Huhngerichte zu würzen.
Wie in Deutschland geübt wird, bleibt im Verborgenen
Die Anekdoten verraten einiges über den Exoten unter den 16 Teilnehmern. Äquatorialguinea, 61. der Fifa-Weltrangliste, ist in einer Gruppe mit Brasilien, Norwegen und Australien der größte Außenseiter es Turniers. Wohl auch deshalb hatten die Westafrikaner eine wochenlange Vorbereitungszeit in Deutschland eingeplant; bereits Mitte Mai begann der Tross aus dem diktatorisch geführten Staat - Äquatorialguinea ist so groß wie Brandenburg und liegt zwischen Gabun und Kamerun - mit der Vorbereitung in Bitburg. Daheim ist gerade Regenzeit und die Bedingungen nicht ideal fürs Training.
Wie in Deutschland geübt wird, blieb weitgehend im Verborgenen: Drei Testspiele wollte Äquatorialguinea bestreiten, der Verband hat sie alle storniert. Presseanfragen werden vom Verband kategorisch abgelehnt. In Bitburg wurde der Trainingsplatz blickdicht mit Planen verhängt - die kunterbunten Rastazöpfe, ulkige Wollmützen oder Kopfhörer im Zebradesign waren trotzdem zu erkennen. Ansonsten holt sich das Team des brasilianischen Cheftrainers Marcelo Frigerio hier nicht nur den Feinschliff, sondern tritt auch energisch dem Vorwurf entgegen, die WM-Qualifikation sei nur gelungen, weil zwei oder drei Spielerinnen in Wahrheit Männer oder zumindest Transsexuelle seien. Dies hatte die nigerianische Nationaltrainerin Eucharia Uche behauptet, die damals sagte: "Wie schon 2008 spielen bei Äquatorialguinea zwei Männer mit. Wenn das alles erst in Deutschland auffliegt, wird es für Afrika furchtbar peinlich." Zumal ein jeder noch die Affäre um die 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semanya aus Südafrika in Erinnerung hat.
Damit konfrontiert, spricht Frigeiro stets von "neidischen Lügen". Zumal ja auch die Stürmerin Anonma schon verdächtigt worden ist, die wahrlich nicht aussieht und auftritt wie ein Mann. "Schon 2006 und 2008 kam das auf, da habe ich Tests gemacht, obwohl ich sie verletzend finde." Sie sei eben eine Frau, die stark und schnell ist und recht gut Fußball spiele. Nichts anderes ist auch aus ihrer Umgebung in Jena zu hören. Einerseits. Andererseits ist der Vorwurf wohl so suspekt nicht, sonst hätte Äquatorialguinea nicht darauf verzichtet, die Geschwister Salimata und Bilguisa Simpore zu nominieren - beide sind nicht mit nach Deutschland gekommen. Gerade gegen die breitschultrige Salimata Simpore, eine entscheidende Stütze beim Qualifikationsturnier, richtete sich der Verdacht. Die Delegationsleitung verweist auf Verletzungen dieser Akteure - und bleibt irgendwie im Nebulösen. Man schottet sich halt nicht nur in Nordkorea gerne ab.
Hälfte des Kaders eingebürgert
Auch der Weltverband Fifa war mal wieder nicht wirklich tätig: Routinemäßige Tests wie in anderen Sportarten gibt es nicht, dazu bedarf es schon eines begründeten Antrags. Immerhin verabschiedete das Fifa-Exekutivkomitee in seinen turbulenten Tagen Ende Mai noch ein überfälliges Reglement für Geschlechtskontrollen im Frauenfußball. Dabei wird aber die Verantwortung zunächst nur an den Nationalverband abgegeben, wie Fifa-Frauenchefin Tatjana Haenni jüngst erklärt hat. Bei einer Geschlechtsüberprüfung müsse zunächst der Teamarzt alle Dokumente zur Krankengeschichte und zum Geschlechterhormonspiegel vorlegen. Genügt das nicht, werde ein unabhängiger Gutachter bestellt, notfalls auch ein Gutachterausschuss zur "umfassenden Untersuchung" eingesetzt. Wie diese aber exakt aussieht, gibt die Fifa nicht an - das Thema ist halt delikat.
Und noch etwas erzeugt Unbehagen. Fast die Hälfte des Kaders ist offenbar eingebürgert worden, insgesamt sieben naturalisierte Brasilianerinnen sollen mitspielen, teils mit Nationaltrainer Frigerio aus gemeinsamen Zeiten am Zuckerhut bekannt. "Sie haben einen Pass von Äquatorialguinea. Damit ist die Sache erledigt", sagt der zwar, doch es schürt Verdacht, dass schon die Trainingspläne zweisprachig ausgegeben werden. Noch schwerer fällt die Recherche in dem Land mit den reichen Öl- und Gasvorkommen und den knapp 700.000 Einwohnern selbst, denn ein ZDF-Team wurde jüngst in Äquatorialguinea Opfer staatlicher Zensur. Am letzten Drehtag in der Hauptstadt Malabo löschten Mitarbeiter des Staatssenders TVGE und Sicherheitsbeamte rund die Hälfte des gedrehten Materials. Unter anderem waren Interviews mit dem Oppositionellen Plácido Mico und Menschenrechtsanwalt Fabian Nsue Nguema geführt worden. Das Staatsfernsehen forderte die Herausgabe des Filmmaterials und behauptete, dem Team fehle die nötige Akkreditierung des Ministeriums. Die Journalisten berichteten, sie seien wie Gefangene behandelt worden. Nun hat sogar das Auswärtige Amt gegen diese Zensur protestiert. "So geht das nicht", sagte Staatsministerin Cornelia Pieper, "im Grunde genommen ist das ein Anschlag auf den Geist der Frauenfußball-WM."