GESPERRT! Nationalmannschaft Alter Chef, neuer Stil

Die Revolution ist abgesagt: Bundestrainer Löw stärkt Kapitän Ballack - der Chelsea-Profi muss dafür den jungen Spielern mehr helfen.

Irgendwann im Gespräch lässt der Nationalspieler Bastian Schweinsteiger diesen Satz fallen. Er klingt selbstverständlich, doch genau darin liegt seine Botschaft. "Wir wissen, dass Michael Ballack unser Führungsspieler Nummer eins ist", sagt Schweinsteiger mit der gedämpften Stimme eines Mannes, der über die Naturgesetze seines Sports referiert. Der Stürmer Mario Gomez, derzeit die heißeste Ware auf dem deutschen Transfermarkt, bekennt beiläufig, prägende Spieler wie Ballack könne man "nicht so einfach wegnehmen. Der hat sich das über Jahre erarbeitet". Die Hierarchien müssten schließlich gewahrt bleiben.

Aber war da nicht was im vorigen Herbst - ein Streit zwischen Bundestrainer und Kapitän, der eskalierte und fast zu Ballacks Rauswurf führte? Angeblich alles vergessen. Als habe es die Zweifel an Ballacks Zukunft in der Fußball-Nationalmannschaft nie gegeben.

Wenn Deutschland nach zwei Niederlagen in Folge am 28. März gegen Liechtenstein und vier Tage darauf in Wales das ernste Geschäft der WM-Qualifikation wieder aufnimmt, ist die alte Galionsfigur auch die neue. Doch hinter den Kulissen wird eifrig an der Verbesserung des Klimas gearbeitet. Heimlich, still und leise haben sich Ballack und Bundestrainer Joachim Löw daran gemacht, ihre Beziehung zu kitten. Beide senden dieser Tage klare Signale: Die Zeit des Misstrauens soll vorbei sein. In aller Deutlichkeit bekennt sich Löw wieder zu seinem Kapitän. Zusammen mit dem Münchner Miroslav Klose komme Ballack die zentrale Rolle bei der Führung der Mannschaft in den nächsten Monaten zu. "Man braucht in schwierigen Situationen Spieler, die schon drei, vier große Turniere bestritten haben", sagt Löw dem stern. "Michael Ballack ist auf dem Platz aktiv, ständig präsent, geht immer in die Verantwortung. Er ist für uns ganz wichtig." Fragt man Ballack, wie er zu Löw stehe, antwortet der ohne zu zögern: "Ich spüre das Vertrauen des Trainers."

Die Wogen sind geglättet

Noch im Oktober standen sich beide öffentlich wie zwei Duellanten gegenüber; die anderen Nationalspieler verfolgten den Krach gebannt, ohne einzugreifen. Würde Ballack gestürzt? Mit Sorge hatte der Boss auf dem Feld registriert, wie Löw von ihm abrückte. Die Degradierung des Routiniers Torsten Frings wertete Ballack als Vorzeichen des eigenen Endes und stellte in einem Interview Personalentscheidungen des Coaches infrage. Löw seinerseits hatte Vertrauen in den Führungsstil seines Kapitäns verloren und sah sich nach dessen Schelte bestätigt. Zu barsch, zu herrisch war ihm Ballack, Jahrgang 1976, während der Europameisterschaft mit den zarter besaiteten Gemütern des Kaders umgegangen. Er schien nicht mehr zur Löw'schen Kultur zu passen.

Am Ende eilte Ballack schließlich zum DFB nach Frankfurt, um die Wogen zu glätten. "Wir haben alle Fehler gemacht", sagt Löw heute. "Es wäre klüger gewesen, diese Dinge schon früher intern anzusprechen." Sein gutes Verhältnis zu Ballack sei fundamental nie erschüttert gewesen. "Ich arbeite mit ihm seit 2004 eng zusammen. Er war und ist immer ein wichtiger Ansprechpartner für mich. Die Differenzen sind beigelegt, da bleibt nichts zurück."

Allein, der Neuanfang ist an Auflagen geknüpft. "Ich weiß, was er von mir verlangt", sagt Ballack. Nichts weniger als einen Kurswechsel. Der Kapitän, so ist aus dem Trainerstab zu vernehmen, soll geduldiger werden mit den Jungen, freundlicher. Kritik müsse stets positiv verpackt werden, das ist Löws Credo.

Ballacks Wandel

Das dürfte Ballack nicht unbedingt leicht fallen. Bei seinem Arbeitgeber FC Chelsea muss er sich ständig selbst beweisen, unter den mehr als 20 Stars tobt "ein täglicher Kampf ", wie er es nennt. Kommt er aus dem Londoner Haifischbecken zur sanftmütigen deutschen Nationalmannschaft, muss er sich da nicht umstellen? "Ja, das ist schon ein wenig so", sagt Ballack. "Bei einem Klub wie Chelsea musst du eben täglich Reibung aushalten, es sind viele Weltstars da, die sich ihres Status bewusst sind, und natürlich muss man da auch mal die Ellenbogen ausfahren."

Er ist in Chemnitz groß geworden, seine erste Profi-Saison erlebte er im Abstiegskampf der zweiten Bundesliga. "Im Fußball herrschte früher insgesamt ein viel rauerer Ton", sagt Ballack, "das ist heute sicher etwas anders. Ich muss mich als Kapitän der Nationalmannschaft dieser Herausforderung stellen und den richtigen Zugang zu den jungen Spielern finden."

Löws Botschaft ist offenbar angekommen, und zufrieden registriert der Trainer, dass Ballack sich tatsächlich bewegt. "Beim letzten Spiel hatte ich das Gefühl, dass er mit den Spielern mehr kommuniziert. Das ist gut", sagt Löw. Außenverteidiger Philipp Lahm ist aufgefallen, dass "der Michael sich etwas geändert hat. Er geht mehr auf Spieler zu, das hat er vorher nicht so häufig gemacht, wie man das von einem Kapitän gewohnt ist". Simon Rolfes sagt: "Man merkt das im alltäglichen Umgang. Die Nationalmannschaft hat eine andere Struktur als Chelsea."

Wildes Auf und Ab

Und doch lässt sich erahnen, welch Kluft da zu überbrücken ist, wenn man Klose zuhört. "Man hat gemerkt, dass Michael sich wieder mehr einzugliedern versucht", sagt er. "Aber das muss er auch auf dem Platz tun. Das wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber das muss er lernen, und das schafft er auch."

Löws Friedensschluss mit Ballack dürfte auch einem Mangel an Persönlichkeiten geschuldet sein, die das verkörpern, was Fußballer "Führungsspieler" nennen. Torwart Jens Lehmann gehört ebenso nicht mehr zur DFB-Auswahl wie Christoph Metzelder. Torsten Frings darf derzeit froh sein, wenn er von Löw überhaupt eine Einladung erhält.

Streift man durch die einzelnen Abteilungen der Mannschaft, fällt auf, dass gerade die jüngeren Spieler Löws Aufforderung, sich in Szene zu setzen, zu selten Herausragendes folgen ließen. Mit dem wilden Auf und Ab ihrer Klubs in der Tabelle wechselt auch ihre Form.

Fast wöchentlich überbieten sich Bayern, Hamburger oder Leverkusener in ihrer Unberechenbarkeit. Prompt greift der Bayer-Torwart René Adler an Bällen vorbei. Dessen Kollegen Rolfes bescheinigt Löw zwar "eine gute Entwicklung", dennoch konnte der Abräumer das Abrutschen seiner Elf nicht verhindern. Leverkusen hat sich ins Mittelfeld verabschiedet. Bei den tief gefallenen Bremern leitet der Innenverteidiger Per Mertesacker eine Abwehr, die bisweilen einer Schießbude gleicht. In Stuttgart verarbeitet der Kapitän Thomas Hitzlsperger noch immer seine Beförderung im eigenen Verein: "Die Sichtweise auf mich hat sich geändert, seit ich Kapitän bin. Die Ansprüche sind größer, dabei bin ich kein anderer Spieler."

Wer ist ein "Führungsspieler"?

Wer aber die Nationalmannschaft prägen will, muss den größten Ansprüchen genügen: Das ist die Messlatte. Selbst einem erfahrenen Akteur wie Arne Friedrich, 29, bleibt allenfalls die Rolle eines robusten Schattengewächses. Für eine exponierte Stellung in der Auswahl fehlt dem Verteidiger schlicht die Qualität. Bastian Schweinsteiger, von Löw ebenfalls seit der EM immer wieder gelobt, kam beim FC Bayern zuletzt einige Mal der Bank wieder bedrohlich nahe.

Lediglich Philipp Lahm spielt dort konstant auf Weltklasseniveau. Löw spricht bei Schweinsteiger und Lahm von Profis, die "Führungsaufgaben übernehmen wollen. Aber das ist eine Frage der Erfahrung, das kann ich von einem 25-Jährigen so nicht verlangen". Bleibt ihm, außer Ballack, nur noch Klose. Der garantiere Jahr für Jahr Tore, lobt Löw, und Kloses ausgleichende, ruhige Art kommt dem Naturell des wohltemperierten Löw am nächsten: "Er ist einer, der andere immer mit einbezieht und in seinen Äußerungen gut und vernünftig argumentiert."

Tatsächlich erlebte der Pfälzer bis zu seiner Verletzung bei den Münchnern wieder mal ein Hoch. Dass er trotz seines Jobs als Stürmer frei von Egoismus ist, bringt ihm sowohl in der Nationalmannschaft als auch im Verein viel Sympathie ein. Zyklisch auftretende Schaffenskrisen, in denen er wie abwesend wirkt, prädestinieren ihn allerdings nur bedingt dafür, andere anzuleiten.

Die Stunde null hatte Löw im September 2008 ausgerufen. Ein halbes Jahr später sind es die bekannten Namen, die er aufzählt: "Ballack, Klose, Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker, Podolski, Friedrich, Frings - diese Spieler sind unser Stamm seit 2005." Das neue Deutschland sieht dem alten also täuschend ähnlich, nun, da sich der Pulverdampf gelichtet hat. "Wir haben unsere Mannschaft, vom Grundgerüst passt das", sagt Schweinsteiger, und er scheint ganz froh darüber zu sein.

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