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Gewalt eskaliert "Es darf nicht den ersten toten Schiedsrichter geben" – Unparteiischer bewusstlos geschlagen

Amateurfußballschiedsrichter
Am Wochenende wurde in Hessen ein Amateurfußballschiedsrichter bewusstlos geschlagen (Symbolbild)
© firo Sportphoto/ Jürgen Fromme / Picture Alliance
Hat der deutsche Amateuerfußabll ein massives Gewaltproblem? Schiedsrichter warnen und treten in den Streik. In Hessen wurde unterdessen ein Unparteiischer bewusstlos geschlagen. Lösungen sind nicht in Sicht.

Sie quälen sich am Sonntagmorgen aus dem Bett, um dann für ein paar Euro auf dem Fußballplatz zu stehen: Über 50.000 ehrenamtliche Schiedsrichter halten in Deutschland den Amateurfußball am laufen, leiten jährlich rund 1,7 Millionen Begegnungen. Ohne sie spielt sich nichts ab.

Doch viele der Unparteiischen zahlen für ihr Hobby einen hohen Preis: Beschimpfungen und Gewalt gehören auf einigen Plätzen offenbar zum Alltag. Am Wochenende sorgte ein weiterer Vorfall für Entsetzen. In der Kreisligapartie zwischen der FSV Münster und dem TV Semd in Hessen wurde der 22-jährige Schiedsrichter von einem 28-jährigen Spieler der FSV bewusstlos geschlagen, nachdem der Referee ihm die Gelb-Rote Karte gezeigt hatte. Das teilte die Polizei mit, zudem kursiert ein Video der Situation im Internet. Der Schiedsrichter kam mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus, das Spiel wurde abgebrochen.

1600 Amateurfußballspiele in Berlin abgesagt

Der drastische Fall – der glücklicherweise noch eine Ausnahme darstellt – ereignete sich ausgerechnet an dem Wochenende, an dem in Berlin fast der komplette Amateurfußball brach lag. Die Unparteiischen in der Hauptstadt hatten einen Streik angekündigt, um auf die zunehmende Gewalt auf den Fußballplätzen aufmerksam zu machen. Rund 1600 Partien im Jugend- und Amateurbereich waren von der Generalabsage des Berliner Fußball-Verbandes betroffen. (Der stern berichtete.)

"Bereits jetzt nach wenigen Spieltagen haben wir 109 Vorfälle von Gewalt und Diskriminierung auf den Berliner Plätzen zu verzeichnen", teilte der Berliner Schiedsrichterausschuss mit. 53 Mal richtete sich die Gewalt nach den Angaben des Ausschusses konkret gegen die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. "Das sind alarmierende Zahlen, hier ist Handlungsbedarf gefordert und ein deutliches Stopp-Zeichen zu setzen." In der kompletten vergangenen Saison hatte es in Berlin rund 150 Vorfälle gegeben, bei denen Schiedsrichter angegangen worden waren. 

Der Berliner Schiedsrichter-Sprecher Ralf Kisting warnte vor einer weiteren Eskalation der Gewalt auf den Fußballplätzen im Amateurbereich und forderte ein sofortiges Umdenken. "Es darf nicht den ersten toten Schiedsrichter in Deutschland geben", bevor sich etwas ändere, sagte der Berliner Schiedsrichter-Sprecher Ralf Kisting dem Deutschlandfunk.

Dass es sich bei den Worten Kistings um mehr als Panikmache handelt, dürfte nach dem Vorfall aus Hessen deutlich geworden sein.

DFB steht vor großer Aufgabe

Zwar gab es Genesungswünsche für den verletzten Schiedsrichter und Verurteilungen der Gewalt von offizieller Seite, ein wirkliches Rezept zur Verhinderung oder Eindämmung solcher Exzesse scheint es jedoch nicht zu geben. In Berlin sollen nun zumindest Sofortmaßnahmen wie ein Runder Tisch, eine Ordner-Pflicht sowie konsequente Strafen auch für Problemvereine für eine schnelle erste Entspannung sorgen. "Es gibt eine hohe Verunsicherung bei den Schiedsrichtern. Das nehme ich sehr ernst", sagte Berlins Fußball-Verbandspräsident Bernd Schultz. Auch er warnte: "Es muss nicht erst zum Schlimmsten kommen."

Dafür zu sorgen, ist auch eine der vordringlichsten Aufgaben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), unter dessen Dach die Fußballspiele in Deutschland stattfinden. Doch aus der Otto-Fleck-Schneise gibt es vorerst nur ohrenbetäubendes Schweigen zu hören. Kein Appell auf der Facebookseite, keine Lösungsvorschläge auf der Homepage, keine Solidarisierung mit den Schiedsrichtern bei Twitter, kein Präsident, der vor die Kameras tritt. (Nachtrag, 19.30 Uhr: Inzwischen hat der DFB ein Interview mit dem DFB-Vizepräsidenten Schiedsrichter, Ronny Zimmermann, veröffentlicht.)

Im Juli veröffentlichte der Verband seinen "Lagebericht Amateurfußball". Demnach wurden 0,05 Prozent aller Fußballspiele in der vergangenen Saison wegen eines Gewaltvorfalls abgebrochen. Ronny Zimmermann sagte seinerzeit: "Wir müssen erstmals einen leichten Anstieg von Fällen verzeichnen, bei denen Schiedsrichter angegriffen wurden. (...) Soziale Konflikte brechen hier auf dem Fußballplatz durch. In der Gesellschaft müssen wir insgesamt registrieren, dass vermehrt Ordnungsinstanzen angegriffen werden, man denke etwa an Rettungskräfte oder Polizeibeamte." Er forderte konsequente Handlungen und strenge Urteile gegen die Täter. "Und wir dürfen nicht nachlassen, gemeinsam mit Vereinen, Landesverbänden und Kreisen darüber nachzudenken, wie wir unsere Schiedsrichter noch besser schützen können." Eine große Aufgabe für den DFB.

Schiedsrichter von Münster bekam 22 Euro

Der Hessische Fußballverband fand nach dem Vorfall von Münster deutliche Worte: Man werde "diese Auswüchse an Gewalt nicht tolerieren, sondern mit aller Härte und allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln sportgerichtlich dagegen vorgehen", erklärte Präsident Stefan Reuß. Er appelliere an alle Clubs, sich bewusst zu machen, "dass wir in eine zunehmend dramatischere Situation kommen und immer weniger Sportfreunde zukünftig bereit sein werden, sich als Schiedsrichter einzubringen".

Der in Hessen verletzte Schiedsrichter müsse indes noch ein paar Tage in der Klinik bleiben, sagte der zuständige Kreisschiedsrichterobmann der "Frankfurter Rundschau". "Wir hoffen, dass er keine Folgeschäden davon trägt und die Geschehnisse irgendwann hinter sich lassen kann."

Für die Leitung des Kreisligaspiels bekam der Schiedsrichter laut Spesenordnung 22 Euro.

Quellen:DFB (1), DFB (2), DFB (3)Polizeipräsidium Südhessen, Berliner Fußball-Verband, Deutschlandfunk"Frankfurter Rundschau", Hessischer Fußball-Verband, Nachrichtenagentur DPA

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