Gerade hatte der FC Bayern bei Eintracht Frankfurt mit 1:5 die höchste Niederlage seit einem Jahrzehnt kassiert, da trat Niko Kovac vor die Presse und konstatierte: "Ich weiß, wie das in diesem Geschäft läuft. Ich bin nicht naiv!" Der Bayern-Coach umschrieb damit die ohnehin schon seit Wochen schwelende Diskussion um seinen Verbleib bei den Bayern, die durch die Kombination aus zwei desaströsen Auftritten im Pokal in Bochum und nun in Frankfurt mächtig an Tempo aufgenommen hat und schon rasch zu Kovacs Freistellung führen könnte. Am Sonntag berichten "Bild" und "tz", dass der Trainer noch mindestens am Mittwoch in der Champions League auf der Bank sitzen wird. Sollte sein Team sich dort nicht blamieren, werde Kovac auch noch am Samstag gegen Dortmund im Amt sein, so die beiden Blätter.
Dass zuvor intensiv über einen Trainerwechsel nachgedacht wurde, ist klar. Hätte sich die Bayern-Spitze sofort nach dem Spiel informell auf ein Weitermachen mit Kovac verständigt, wäre das öffentliche Training am Sonntag nicht abgesagt worden, um jeden Anschein einer manifesten Klubkrise zu vermeiden. Und Manuel Neuers Prophezeiung, es werde in den nächsten Tagen "sehr unruhig", trug ebenfalls nicht zu größerer Gelassenheit bei.
Die erregte Diskussion im Klub hat natürlich nicht nur mit den letzten beiden Spielen zu tun, sondern mit einer längerfristigen spielerischen und taktischen Entwicklung. Kovac hat es in den eineinhalb Jahren als Bayern-Coach nicht geschafft, der Mannschaft eine stabile Statik zu geben, die Dominanz auf dem Platz entwickeln und sich zugleich spielerisch aus intensivem Gegenpressing befreien kann. Dazu benötigt eine Mannschaft nämlich funktionierende Relaisstationen im Mittelfeld, ständige Anspielmöglichkeiten, die für Druck auf den Gegner sorgen. Bei den Bayern klaffen oft große Lücken zwischen defensivem und offensivem Mittelfeld, trotz großer individueller Qualität, sei es bei Thiago oder Javi Martínez oder erst recht bei Neuzugang Coutinho. Was wiederum dazu führt, dass Angriffe des FC Bayern oft fast schablonenhaft über die Flügel geführt werden, wo die Attacken deutlich leichter zu verteidigen sind als im Zentrum.
Nur vereinzelte Galaauftritte
Diese Probleme plagen den FC Bayern schon seit Saisonbeginn, zwischenzeitliche Galaauftritte wie das 7:2 in der Champions League bei Tottenham haben nur kurz den Blick auf die schmerzhafte Erkenntnis verstellt, dass Niko Kovac gescheitert ist, den Dominanzfußball der Guardiola-Zeit mit eigenen Ideen anzureichern. Statt defensiver Kompaktheit, die Kovac immer wichtig war, wirkt die Mannschaft fahrig und desorientiert. Statt Dynamik und Agressivität, auch ein Kernelement der Kovac-Philosophie, kommt die Mannschaft verzagt und abwartend daher. Und das so sehr, dass die Bayern-Führung ganz offensichtlich ihren Entschluss über den Haufen geworfen hat, erst nach dem Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund am nächsten Samstag ein Zwischenfazit zu ziehen.
Es wird also mit Nachfolgern gesprochen. Zuallererst wird natürlich Amsterdams Erfolgstrainer Erik ten Hag genannt, der bis 2015 die Bayern-Reserve trainiert hat und eine rauschhafte Champions-League-Saison hingelegt hat. Soviel Jugend, soviel Dynamik, soviel Lust am Fußballspiel wie bei Ajax, das hätten sie auch gern in München. Andererseits wird sich ten Hag nicht in Nacht und Nebel aus Amsterdam wegstehlen, schwer vorstellbar, dass er kurzfristig zu bekommen ist.

Gleiches gilt für den ebenfalls gerne als Kandidaten bemühten Argentinier Mauricio Pochettino, der Tottenham in den letzten Jahren von Grund auf renoviert hat. Aus der Premier League spontan hinüber nach München zu wechseln, dafür bräuchte es schon einen starken finanziellen Anreiz und eine kühne sportliche Perspektive, die die Bayern dem Coach in der Kürze der Zeit sicher nicht präsentieren können. Mal abgesehen davon, dass beide Klubs einen Teufel tun werden und ihre Coachs nach Deutschland ziehen lassen. Nicht völlig auszuschließen ist schließlich Ralf Rangnick, aber eher unwahrscheinlich, angesichts der Vielzahl an verbalen Scharmützeln, die sich der Red-Bull-Mann in der Vergangenheit immer wieder vor allem mit Uli Hoeneß geliefert hat.
Zwischenlösung steht bevor
Und so läuft es am Ende wohl auf eine Interimslösung mit Perspektive hinaus. Als im Juli 2019 Hansi Flick als Co-Trainer installiert wurde, war damit bereits eine interne Nachfolgelösung vorbereitet worden, Denn für den Job des Assistenten ist Flick eigentlich überqualifiziert, schwer vorstellbar, dass es bei den Vertragsgesprächen nicht zumindest Andeutungen über einen Karrieresprung gab. Um die Aufgabe als Chefcoach wäre er nicht zu beneiden: Er muss die Mannschaft stabilisieren und zugleich ein Gefühl des Neuanfangs und Aufbruchs vermitteln - als altbekanntes Gesicht auf dem Trainingsplatz eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.
Ganz gleich übrigens, ob sich der Klub rasch zu einem Trainerwechsel durchringt oder nicht, einen anderen Posten müssen die Bayern rasch neu besetzen. Die Aufgabe eines Sportdirektors ist gerade in Krisenzeiten, Orientierung zu geben und Ruhe zu bewahren. Hassan Salihamidzic wirkt derzeit so, als sei er das Epizentrum der Hektik, der Konfusität. Sein Auftritt nach dem Pokalspiel in Bochum, wo er minutenlang Nonsens in die Mikrofone schwatzte, war nur das öffentliche sichtbare Symbol dafür, dass von Kontrolle und Überblick nichts mehr übrig geblieben ist. Er ist auch dem Trainer derzeit keine Hilfe.
Niko Kovac hat in der Pressekonferenz gesagt, er würde um seinen Job kämpfen. "Ich gebe niemals auf". Es sieht so aus, als wäre dieser Kampf diesmal vergeblich.
Update: Am Sonntagabend meldete der FC Bayern München, dass Niko Kovac ab sofort nicht mehr Trainer des Klubs sei. Co-Trainer Hansi Flick übernimmt vorerst das Team.