Sieben Wochen sind eine lange Zeit. Am 13. Mai besuchten die deutschen Profis Ilkay Gündogan und Mesut Özil eine Veranstaltung in London, ließen sich bei der Gelegenheit lächelnd mit dem türkischen Autokraten Erdogan fotografieren und schenkten ihm jeweils ein Vereinstrikot.
Sieben Wochen lang haben DFB-Präsident Reinhard Grindel und der Manager der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff, ein ums andere Mal beteuert, dass der unappetitliche PR-Termin der beiden Nationalspieler abgehakt, inzwischen kein Thema und intern geklärt sei. "Glauben Sie ernsthaft, Mesut Özil und Ilkay Gündoğan seien unser wahres Problem in Deutschland?" barmte Grindel Mitte Juni in einem Interview mit der "Zeit" , Bierhoff zog derweil fleißig Schlussstriche ("Was ich den beiden Spielern sage, ist, hakt es ab.") und moserte vor laufender Kamera: "Ich bin der Meinung, wir haben sehr viel gemacht – und jetzt reicht es dann auch."
Bierhoff und Grindel: das zentrale Eingeständnis fehlt
Letzte Woche fiel offenbar beiden plötzlich auf, dass es doch nicht reicht und Mesut Özil offenbar doch das wahre Problem in Deutschland ist. Bierhoff fabulierte in der "Welt" unsortiert drauflos, man hätte im Falle Özil vor der WM darüber nachdenken sollen, "ob man sportlich auf ihn verzichtet". Was angesichts der zentralen Bedeutung Özils für das deutsche Aufbauspiel derartiger Unfug war, dass Bierhoff gleich am nächsten Tag hektisch im ZDF-Studio in Baden-Baden aufschlug, um sich zu korrigieren. Was ihm schon deshalb nicht gelang, weil ihm wieder einmal die billigsten Selbstverständlichkeiten nicht über die Lippen kamen. Das Eingeständnis nämlich, die Affäre auf sensationell fahrlässige Weise unterschätzt zu haben.
Und nach all den Wochen voller rassistisch konnotierter Anfeindungen dem Nationalspieler Mesut Özil wenigstens ein bisschen Rückendeckung zu geben und eine klare Grenze zu ziehen, zwischen berechtigter Kritik an den Fotos mit dem Autokraten und den menschenfeindlichen Attacken aus dem rechten Lager.

Wer aber nun glaubte, Bierhoffs Herumgeeier sei nun aber wirklich der tiefste Tiefpunkt der ohnehin unseligen Debatte, der hatte DFB-Präsident Reinhard Grindel sträflich unterschätzt. Der fordert nun von Mesut Özil eine öffentliche Äußerung, "wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt", das sei "völlig klar". Hier sprach wohlgemerkt jener Funktionär, der sich zuvor sieben Wochen lang dadurch ausgezeichnet hatte, die Diskussion um die Erdogan-Fotos möglichst kleinzureden und energisch darauf zu dringen, dass "wir uns jetzt auf das Sportliche konzentrieren müssen". Und natürlich verlor Grindel auch diesmal kein einziges Wort über die Kampagne, der sich Özil seit Wochen ausgesetzt sieht und der er nun neue Nahrung liefert.
DFB und "die Mannschaft": Es gibt nur einen Weg, damit umzugehen
Die Attacken aus der DFB-Führung machen es derzeit schwer vorstellbar, dass Mesut Özil in die Nationalmannschaft zurückkehrt, nicht nur, weil Grindel im Subtext eher einen demütigen Kniefall als eine Erklärung verlangt. Fakt ist ja: Hätte Özil sich zu den Fotos erklären wollen, hätte er es längst getan. Und die Erklärung für die Fotos dürfte weitaus komplexer ausfallen als Grindel das gern hätte.
Den einzigen Weg zurück für den Arsenal-Mittelfeldmann müssten deshalb der Bundestrainer und die Mitspieler ebnen. Sie müssten klar machen, dass Özil ein unverzichtbarer Teil dieser so oft publikumswirksam beschworenen "Mannschaft" ist. Sie müssten ihn in Schutz nehmen, gegen ausländerfeindliche Hetze und ungerechte sportliche Beurteilungen. Und sie könnten dann auch die Erwartung an Özil formulieren, dass er sich ausführlicher erklärt, seine Beweggründe plausibler macht.
So hingegen verlieren alle, am meisten die Nationalelf. Das ist "völlig klar". Um es mit Reinhard Grindel zu sagen.