Mehr politische Brisanz geht bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft kaum – und das war auch wenige vor dem Anpfiff des heiklen WM-Spiels klar zu spüren. In einer denkwürdigen Pressekonferenz versuchten US-Trainer Gregg Berhalter und Kapitän Tyler Adams, den Fokus auf die sportliche Bedeutung des Spiels zu lenken. Dabei wurden die beiden unter anderem zu Rassismus, Visa-Regelungen oder Militärdingen befragt. Er könne nichts zu politischen Dingen sagen, er sei ein Fußball-Trainer, sagte Berhalter.
Erstmals nach 24 Jahren steht die iranische Nationalmannschaft bei einer WM wieder gegen die USA, den Erzfeind des Landes, auf dem Platz. Schon beim Turnier 1998 in Frankreich war das Spiel aufgeladen, das 2:1 in Lyon wird auch heute noch von Funktionären der Islamischen Republik als größter Erfolg der nationalen Fußball-Historie gefeiert. Inmitten der schwersten Proteste seit Jahrzehnten ist der Druck auf Irans Team Melli heute im Fokus der Weltöffentlichkeit um vieles größer. Dabei ist die sportliche Ausgangslage für den Iran aussichtsreich: Der Nationalelf reicht am Dienstag (20 Uhr/MagentaTV und ARD) gegen die US-Auswahl ein Sieg sicher zum Weiterkommen, womöglich genügt auch ein Unentschieden.
Torschützen sind Nationalhelden im Iran
Die Torschützen der WM 1998, Hamid Estili und Mehdi Mahdavikia, wurden nach dem großen Auftritt damals als Nationalhelden gefeiert. Doch heute ist alles anders. Wegen des gewaltsamen Vorgehens iranischer Sicherheitskräfte bei den Protesten haben sich viele prominente Stars vom Staat abgewandt. Mahdavikia legte sein Amt als Trainer nieder. Ali Karimi, der frühere Profi des FC Bayern, richtet seit Wochen scharfe Worte an die iranische Führung.
US-Reporter Wahl starb laut seiner Frau bei WM-Spiel an Aneurysma

Der während seiner WM-Berichterstattung in Katar plötzlich zusammengebrochene bekannte US-Fußballreporter Grant Wahl ist seiner Witwe zufolge an einem Aneurysma gestorben. Eine in New York vorgenommene Autopsie habe ergeben, dass der 49-jährige Sportjournalist am Riss eines "langsam wachsenden, unentdeckten aufsteigenden Aneurysmas der Aorta" gestorben sei, teilte Wahls Witwe Celine Gounder am Mittwoch im Onlinemedium Substack mit.
Wahl war vergangenen Freitag während des WM-Viertelfinalspiels zwischen Argentinien und den Niederlanden auf der Pressetribüne im Stadion Lusail in Doha zusammengebrochen. Sein Leichnam war am Montag nach New York überführt worden, wo auch die Autopsie erfolgte. "Keine Wiederbelebungsmaßnahmen hätten ihn retten können", erklärte Gounder, eine renommierte Epidemiologin. Sein Tod habe weder im Zusammenhang mit dem Coronavirus noch mit dem Impfstatus gestanden. Sie wies damit in Onlinemedien kursierende Spekulationen zur Todesursache zurück.
Bei einem Aorta-Aneurysma, Ausbuchtungen der Blutgefäße der Hauptschlagader, droht im schlimmsten Fall deren Riss. "Der Druck in der Brust, den er kurz vor seinem Tod verspürte, könnte das erste Symptome gewesen sein", erklärte Gounder nun.
Und Ex-Nationalspieler Voria Ghafouri wurde vergangene Woche nach Kritik verhaftet. Zu einer Freilassung gab es am Montagnachmittag widersprüchliche Berichte. Die der Regierung nahestehende Nachrichtenagentur Tasnim berichtete, dass Ghafouri das Gefängnis nach Kautionshinterlegung verlassen habe. Die Mizan Nachrichtenagentur, die ihrerseits der Justiz nahesteht, berichtete hingegen, dass er nicht frei sei.
USA wollen sich auf WM-Spiel konzentrieren
"Wir unterstützen die Menschen in Iran und das Team Irans. Aber wir konzentrieren uns alle auf das Spiel", sagte der ehemalige Leipziger Adams am Montag.
Schon vor Ausbruch der Proteste war mit der WM-Auslosung klar: Bei den Spielen gegen politische Rivalen wie England oder die USA steht nicht nur der Fußball im Fokus. Für den iranischen Fußballverband ging es nicht um Tore und Punkte, sondern vor allem um das Abschneiden gegen den "Großen Satan" USA. Dieses Spiel darf nicht verloren werden, hieß es aus Teheran.
Harter Kampf ums Weiterkommen
"Ich habe in verschiedenen Ländern gespielt und trainiert. Du triffst so viele Menschen und der Fußball verbindet. Das Spiel wird hart umkämpft sein – weil beide weiterkommen wollen und nicht, weil es um Politik geht. Wir wollen ums Weiterkommen kämpfen, das ist es", sagte der US-Nationaltrainer Berhalter und wies demonstrativ auf den sportlichen Fokus des Spiels hin. "Das Spiel gegen Iran ist wie ein K.o.-Spiel - siegen oder nach Hause fahren."

Wie hoch der Druck auf die Auswahl des Iran ist, bekam schon der frühere Nationaltrainer Dragan Skocic zu spüren, der das Team souverän zur WM geführt hatte. Nach Ansicht des iranischen Fußballverbands sowie der politischen Elite hatte er aber "nicht das Zeug" zu mehr. Wenige Zeit später wurde bekannt, dass der Portugiese Carlos Queiroz diesen Job übernehmen soll. Der 69-Jährige war schon zwischen 2011 und 2019 Chefcoach und führte das Land zu den Weltmeisterschaften 2014 und 2018, scheiterte aber beide Male in der Vorrunde.
"Ein sehr, sehr spezielles Spiel"
Dieser blickt dem Duell mit besonderen Gefühlen und großem Respekt vor dem Gegner entgegen. "Es ist ein sehr, sehr spezielles Spiel für uns", betonte der 69-Jährige am Montag, nachdem er von einigen Journalisten im Pressekonferenzraum mit Applaus begrüßt worden war. Das gelte auch für ihn persönlich, da er einst auch als Coach in den USA gearbeitet hat. Er war sichtlich darum bemüht war, den Fokus vor dem Duell der beiden politischen Erzfeinde auf den Sport zu richten. "Wir wissen alle, wie wichtig das Spiel ist. Es könnte ein neuer historischer Tag für unser Land werden", sagte der iranische Stürmer Karim Ansarifard.
Die Erwartungen an die Nationalelf sind riesig. Während sich die Führung der Islamischen Republik mit einem Einzug ins Achtelfinale Rückenwind in der Innenpolitik verspricht, fordern die Anhänger der Proteste auf der Weltbühne ein Zeichen der Solidarität. Während das Team Melli gegen England noch mit dem Nicht-Singen der Nationalhymne ein Zeichen setzte, gaben die Spieler nach Druck gegen Wales nach und stimmten die Hymne an – wenn auch recht leidenschaftslos.
Iran steht Tür ins WM-Achtelfinale offen
Nach der beschämenden Niederlage mit 2:6 im Auftaktspiel gegen England rechneten alle Fußballexperten mit einem Debakel. Cheftrainer Queiroz und Funktionäre sollen den Spielern klargemacht haben, dass ihre Solidarität mit ihren protestierenden Landsleuten bei einer WM nichts zu suchen haben. In einem dramatischen Spiel siegte der Iran gegen Wales mit zwei Toren in der Nachspielzeit. Plötzlich steht auch die Tür ins Achtelfinale wieder ganz weit offen.
Mit einem Sieg gegen die USA hofft auch die politische Führung in Teheran auf ein neues Nationalgefühl. Gleichzeitig birgt eine Niederlage auch die Gefahr des genauen Gegenteils. Ohnehin sind viele Iranerinnen und Iraner gespalten in der Frage, ob sie sich an einem Erfolg der Mannschaft freuen können, während Hunderte Menschen in der Heimat getötet und Tausende verhaftet wurden. Die Anspannung ist groß, auch deshalb sagt ein Sportjournalist in Teheran wenige Tage vor Anpfiff: "Das ist die Mutter aller Spiele."