Britta Steffen Der Triumph über die Qualen

Von Jens Fischer, Peking
Britta Steffen hat Gold über die 100 Meter Freistil gewonnen. Ein Sensations-Erfolg und Balsam auf die Wunden der deutschen Schwimmer. Dass damit nicht zu rechnen war, hatte viele Gründe: Steffen wirkte labil, litt unter dem Druck und zog sich vor Olympia zurück. Nun muss man sagen: Sie hat alles richtig gemacht.

Es ist noch nicht lange her, da war sich die versammelte Presse hier in Peking einig. Es sei völlig unverständlich, wie sich Britta Steffen gegenüber der Öffentlichkeit verhalte. Sie solle sich doch ein Beispiel nehmen an den offenen, selbstbewussten und pressefreundlichen Schwimmern aus den USA oder Australien. Die brächten große Leistungen und blieben dennoch auskunftsfreudig.

Jetzt hat Britta Steffen Gold über die 100 Meter Freistil gewonnen. Das erste Gold für die bei Olympia so geschundenen deutschen Schwimmer. Sensationell und völlig unerwartet. Jetzt werden alle feststellen: Britta Steffens Verhalten gegenüber der Presse und ganz besonders ihre Vorbereitung auf den großen Auftritt im Pekinger Wasserwürfel waren richtig.

Nur auf ein Ziel fokussiert

"Britta hat eben eine ganz besondere Art sich zu motivieren", äußerte der den deutschen Schwimmverband verlassende Sportdirektor Örjan Madsen im Vorfeld der Spiele. "Britta ist eben ganz besonders. Sie fokussiert sich hier nur auf ihre Rituale und ihre Routinen." Auf Deutsch: Britta Steffen kann sich konzentrieren. Sie hat sich hier nicht verrückt machen und auch nicht von den negativen Schlagzeilen in der Presse beeinflussen lassen.

Was wurde nicht alles geschrieben. Mit der späten Franziska van Almsick ist sie verglichen worden. Mit der van Almsick, die vom Boulevard irgendwann einmal "van Speck" genannt wurde. Dazu kamen die vielen Fehlschläge ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen im olympischen Becken. Steffen saß im olympischen Dorf, als die anderen deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer mit hängenden Köpfen von ihren Wettkämpfen zurückkehrten. Der Druck auf sie war enorm, sie musste es schaffen, musste endlich für das erwartete Erfolgserlebnis sorgen. Und ihr ist es gelungen.

"Britta hat heute eine extrem mutige Taktik gewählt. Es war ein riskantes Spiel", sagte Madsen nach dem Gold-Rennen. Steffen war im Halbfinale so geschwommen, dass sie im Finale auf einer der Außenbahnen starten konnte, die ihr deutlich besser liegen. "Die ersten 50 Meter waren schwach, aber ich wusste, dass sie noch kommen wird."

Konkurrentinnen haben sich überschätzt

Dabei profitierte Steffen auch von den Schwächen der Konkurrenz. "Die haben sich überschätzt", so Madsen. Steffen selbst konnte ihr Glück kaum fassen. "Auf den letzten zwei, drei Metern habe ich nur gedacht: Einen Armzug noch, dann hast du es geschafft", erzählte sie immer noch leicht ungläubig auf der Pressekonferenz.

Selbst ihr sonst eher als unterkühlt geltende Trainer Norbert Warnatzsch konnte den Erfolg seines Schützlings kaum fassen: "In mir brodelt es momentan natürlich. Wir haben in der Vorbereitung alles richtig gemacht. Ich empfinde nun natürlich eine große Genugtuung." Gerade Warnatzsch war zuletzt immer wieder in die Kritik geraten. Auch er wurde heute zum großen Sieger.

Eine große Hilfe auf dem Weg zu Gold war ihr Frederike Janofske. Während der Vorbereitung auf die Spiele traf sie sich drei Mal die Woche mit der Psychologin. Immer mit dem einen Ziel: das Positive fördern, alles Negative verdrängen. Sich auf das Wesentliche konzentrieren, alle Begleiterscheinungen ausschalten. Am Freitagmorgen ist ihr das auf eindrucksvolle Art und Weise geglückt.

Riesengroße Erleichterung

Wer sie direkt nach dem Rennen beobachtet hat, hat förmlich gespürt, wie erleichtert sie war. Wie all der Druck jetzt abgefallen war, und sie sich einfach nur aus vollem Herzen freute. "Es ist ein Wahnsinnsgefühl. Ich hätte nie gedacht, dass mir hier der Durchbruch gelingt", jubelte Steffen nach ihrem Triumph.

Mit Tränen in den Augen stand sie bei der Siegerehrung und konnte kaum glauben, was passiert war. Auf der Tribüne jubelte die deutsche Mannschaft, die Goldmedaille von Britta Steffen war für alle eine Erlösung. Auch DOSB-Generaldirektor und Chef de Mission Michael Vesper schüttelte mit dem Kopf: "Ich hatte eine Medaille erhofft. Dass es Gold wurde, ist eine späte Genugtuung für das deutsche Schwimmen". Womit er sicher ein wenig übertrieb. Denn das gesamte Abschneiden des DSV bleibt trotz der einen Goldmedaille desaströs - mit Konsequenzen nach Olympia ist weiter zu rechnen.

Britta Steffen kann das an ihrem großen Tag egal sein. Sie feierte den größten Erfolg ihrer Karriere und gewann eine Goldmedaille, die alle Qualen und psychischen Belastungen rechtfertigte. "Das ist so geil" - viel mehr hatte die 24-jährige Berlinerin im ersten Moment des Glücks nicht zu sagen. Musste sie auch nicht. Denn in diesem Augenblick hatte Deutschland endlich einen neuen Goldfisch. Ab heute ist Britta Steffen endgültig die neue Franziska van Almsick.

Wenn nicht noch mehr: Schließlich ist van Almsick die ersehnte olympische Goldmedaille während ihrer Karriere immer verwehrt geblieben.

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