Gib uns einen Tipp", bat die ZDF-Sportmoderatorin Kathrin Müller-Hohenstein die Moskaukorrespondentin des Senders, Anne Gellinek. Da war es am Freitag noch mehr als eine Stunde hin bis zum Beginn der Eröffnungsfeier und Kathrin Mülller-Hohenstein thematisierte, dass die olympischen Winterspiele ja unter der Hand zu "Putin-Spielen" verkommen seien. "Ganz unverkrampft" müsse man das sehen, empfahl die politische Korrespondentin und "trennen" zwischen den freundlichen russischen Gastgebern und tollen Sportlern einerseits und der "politischen Klasse" andererseits. Wenn es nur so einfach wäre! Als würde das in eine Gigantomanie verliebte Internationale Olympische Komitee (IOC) durch seine Vergabe der Spiele in die Hände autoritärer Regime das gesamte Sportsystem nicht tatsächlich in ein Dilemma stürzen.
Die Eröffnungsfeier
Nach der Werbepause, die uns die "Zahnbürste der Olympiamannschaft" ebenso darbot wie "das offizielle Shampoo der deutschen Olympiamannschaft" war es dann wieder Anne Gellinek, die uns als Co-Kommentatorin rührend den Russen erklärte – samt sämtlicher Märchen und Volksweisheiten. Die veritable Versammlung eurasischer Diktatoren mit Lukaschenko (Weißrussland), Nasarbajew (Kasachstan), Alijew (Aserbeitschan) und Chinas Xi Jinping auf der Tribüne und einem fröhlichen Albert von Monaco und niederländischen König mittenmang, streifte sie nur kurz. Der erste Teil der bombastischen Inszenierung gipfelte dann in einer Orgie des Nationalstolzes in weiß-blau-rot, den der Chef des heimischen Organisationskomitees in seiner Rede nahtlos fortsetzte.
Später deutet die ZDF-Expertin das Auslassen des Zweiten Weltkriegs in der musicalartigen Geschichtsdarstellung als freundliche Geste, dabei zeigte dies nur, wie viel lieber sich Putin als Erbe Peter des Großen in Szene setzt denn als Nachfahre der Bolschewiki. Seine Propaganda vereint zwei Elemente: den extremen Nationalismus eines angeblich "neuen Russlands" und die Behauptung größerer Effektivität, als sie in den chaotischen Demokratien möglich ist. Das zieht sich durch die zwar sehr aufwendig, aber weitgehend humorfrei inszenierte Eröffnungsfeier. Dechiffrieren tun es die ZDF-Kommentatoren nicht. Stattdessen ergeht sich Wolf-Dieter Poschmann in verklemmten Andeutungen zum regenbogenfarbenen Outfit der deutschen Mannschaft: "Der Modemacher wird es damals nicht gewusst haben, jetzt hat es eine andere Bedeutung bekommen." Ach, Gottchen!
Die Eröffnungsfeier nutzt auch Thomas Bach, der neue IOC-Chef aus Deutschland, zu einer ersten großen Rede und verbeugt sich vor Putin, dem russischen NOK, lobt deren "Verbundenheit mit dem olympischen Sport" und greift sogar die Propagandafloskel vom "neuen Russland" dankbar auf. In schöner Allgemeinheit ist er dann für "Tolerenz" und gegen "Diskriminierung, aus welchem Grund auch immer". Soll das die klare Absage an Homophobie sein? Unsere Kommentatoren schweigen. Am Ende folgt das übliche Gestammel: "bunt und eindrucksvoll", "unbeschreiblich", "Gänsehautgefühl", wenn sich Pomp und Kitsch wieder einmal großartig vermählt haben.
Endlich Sport!
Ab Samstagfrüh dann fühlen sich alle pudelwohl. Schon schwadroniert Metaphern-Rastelli Gerhard Delling über die "brennende Flamme" und "brennende Oberschenkel". In der Fülle der Disziplinen, zu denen nun auch Team-Eiskunstlauf, Mixed Biathlon und Skiathlon gehören, kann man sich schon mal verheddern, so dass Delling über das Wort Slopestyle stolpert, aber sobald es auf Loipen und Pisten, in Stadien und Arenen geht, entfaltet sich in ARD wie ZDF enorme fachliche Kompetenz.
Jan Wieken (ARD) kennt bis zum „nose-grab“ alle Slopestyle-Fachbegriffe, Ralf Scholt klärt en detail über die Beschaffenheit des Eises auf, Peter Leissl (ZDF) kennt jeden Langläufer und Peter Grube (ARD) weiß, dass "ein paar Hundertstel" beim Rodeln "Welten" sind. Alle kennen sich aus, da kann man nicht meckern. Die stundenlangen Berichte wirken wie ein einziger Seufzer: "Ach, wäre er doch nur ganz harmlos, unser lieber Sport!"“
Verkrampft, hilflos, peinlich
Die armen öffentlich-rechtlichen Sportenthusiasten ahnen aber, dass es allein mit Metern und Sekunden, Heroen und Helden diesmal nicht getan ist. Der Anspruch ist größer. Wie aber wird er erfüllt? Meist durch ein paar eigenartige Bemerkungen, Randnotizen zu "heiklen" Themen oder wild eingestreute Beiträge. Es ist ein einziger Eiertanz. So murmelt Skisprungexperte Dieter Thoma nach seinem überschwänglichen Lob für die Schanzen, die 200 statt der geplanten 30 Millionen Euro kosteten, noch schnell etwas von "Nachhaltigkeit" hinterher.
Ein Hörfunkreporter lobt euphorisch die freundlichen Sicherheitskräfte, als hätte er Heere von grimmigen Kalaschnikow-Trägern erwartet. Der Biathlon-Reporter sieht sich gezwungen zu erklären, warum plötzlich völlig unmotiviert Beifall aufbrandet und spricht vom "Olympia-Schirmherren" Putin, der das Stadion betreten habe, und wieder einmal ist es Wolf-Dieter Poschmann, der meint, er müsse uns unbedingt aufdringlich darlegen, dass die niederländische Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Ireen Wüst "offen lesbisch" lebe. Mitten im Sport redet auch Kathrin Müller-Hohenstein im ZDF am Sonntagmittag plötzlich über "Homophobie". Zu dem, was Klein-Fritzchen zu Homosexualität assoziiert, kommt dann ein Beitrag: Selbst in Sotschi gibt es einen Nachtclub mit einer Travestieshow! Hui, wer hätte das gedacht? "Oase oder Feigenblatt?", raunt die Reporterin. Tja, was denn nun?
Runter von Putins Linie!
Verkrampft wirken fast alle Versuche, über den "reinen Sport" hinauszugehen. Insbesondere tragen sie überhaupt nicht dazu bei, Putin auf die Schliche zu kommen. Denn komischerweise empfiehlt der russische Staatschef genau dasselbe wie die eingangs zitierte Moskau-Korrespondentin: Man solle doch die Fragen des Sports nicht mit denen der Politik vermischen.
Doch! Die politischen Propaganda mit dem Sport funktioniert nur, weil der Sport, der seine Unschuld längst verloren hat, immer noch ganz unschuldig tut. Das zu kritisieren aber scheint die Sportreporter von ARD und ZDF zu überfordern.