Es war eine mutige, eine frische, eine spannende Entscheidung, als die Verantwortlichen des Deutschen Handball-Bundes (DHB) Christian Prokop 2017 zum Bundestrainer machten. Er trat in große Fußstapfen. Dagur Sigurdsson, sein Vorgänger, hatte den EM-Titel und Olympia-Bronze nach Deutschland geholt.
Drei Jahre (und drei Turniere) später muss man feststellen: Deutschlands Handballsport wurde für diese Entscheidung nicht belohnt. Im Gegenteil. Prokop ist ein Trainer ohne Fortune. Bob Hanning, der mächtige Vizepräsident des Verbands und große Förderer Prokops, wollte am Samstag, nach der enttäuschenden Niederlage gegen Kroatien und dem damit verbundenen gefühlten EM-Aus, "keinen Anlass dazu" sehen, den Coach in Frage zu stellen. Stattdessen forderte er eine Reaktion der Mannschaft ein. Gegen Österreich. "Am Montagabend wird sich zeigen: Was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer?", sagte und fragte er.
Ein Sieg gegen Österreich täuscht nicht über die Probleme hinweg
Diese Lesart ist zumindest gewagt. Denn sie impliziert, dass die Mannschaft mit einem überzeugenden Sieg gegen Österreich jegliche Zweifel am Trainer vom Tisch wischen könnte.
Doch das wäre zu kurz gedacht.
Fakt ist: Es fällt schwer, in Prokops Amtszeit eine spielerische, taktische oder sportliche Weiterentwicklung zu erkennen. Die Mannschaft hatte in der Vorrunde gegen Spanien (26:33) verloren, sie wirkte ähnlich chancenlos wie vor zwei Jahren, als man bei der EM 2018 als Neunter regelrecht unterging. Auch beim hauchdünnen 28:27-Sieg gegen Lettland konnte man nur wenig Gutes erkennen. In dieses Bild passte dann die Art und Weise, wie man gegen Kroatien einen bereits sicher geglaubten Sieg noch verspielte.
Fürsprecher Prokops führen an dieser Stelle gerne die Heim-WM im Vorjahr an. Und ja, dieses Argument kann man vortragen, schließlich stand das Team, beflügelt von der Euphorie in den heimischen Hallen, im Halbfinale. Ging dann jedoch zuerst gegen Norwegen unter und verlor dann auch noch das Spiel um Platz drei. Auch damals beschlich einen das Gefühl, das sich bei der so bitteren Niederlage gegen Kroatien bestätigte: Wenn es richtig eng wird, schafft es Prokop nicht, seiner Mannschaft einen Plan mit auf den Weg zu geben, der im Zweifel besser ist als die Idee seines Gegenübers. Im Gegenteil.
Man kann darüber lachen, dass Prokop in der Vorrunde in einer Auszeit nicht mehr wusste, dass Timo Kastening Timo Kastening heißt. Man kann aber auch fragen, welchen Plan er seinem Team gegen Kroatien in den Unterbrechungen mit auf den Weg geben wollte. Als es in der Schlussphase richtig heiß wurde, hatte Prokop noch zwei Auszeiten. Er nahm sie. Sagte etwas an. Doch die Pläne verpufften.

Wer Weltklasse sein will, braucht auch einen Weltklasse-Trainer
Gerade im so schnellen Handballsport braucht ein Team, das den Anspruch hat, zur Weltklasse zu gehören, einen Trainer, der selbst Weltklasse ist. Von einem solchen erwartet man, dass er in den hitzigsten Momenten den kühlsten Kopf bewahrt. Und Prokop muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das bisher nicht zu schaffen. Gegen Kroatien wurde das, einmal mehr, deutlich und manifestierte sich an der Personalie Julius Kühn. Man kann dem Spieler nicht vorwerfen, einen rabenschwarzen Tag erwischt zu haben. Das passiert den Besten. Doch man muss den Trainer hinterher schon fragen, warum er einen Spieler auf der Platte lässt, der alle drei Minuten einen Ball wegwirft.
Daniel Stephan, der ehemalige Welthandballer und seit einiger Zeit Prokop-Kritiker, brachte es am Wochenende auf den Punkt: "In der Vorrunde und in den letzten 15 Minuten gegen Kroatien brauchten wir einen starken Trainer und starke Führungsspieler, beides hatten wir nicht“, sagte er. Prokop sei "nicht der Richtige". Auch Kreisläufer-Legende Christian Schwarzer kritisierte, dass Prokop zu wenig aus dem Potenzial des Kaders mache.
Genau das jedoch wäre notwendig, wenn man weiterhin von einer Olympia-Medaille im Sommer träumen möchte. Aktuell ist jedoch noch nicht einmal gesichert, dass man sich für das Turnier in Tokio wird qualifizieren können. Die Verantwortlichen des DHB wären deshalb gut beraten, nun noch einmal zu überprüfen, ob sie wirklich den bestmöglichen Trainer auf der Bank sitzen haben. Es wäre fahrlässig und fatal, diese Frage nicht zu stellen. Schließlich stehen die sportlichen Ziele über allem.
So bitter die möglichen Konsequenzen für Christian Prokop auch wären: Es fällt schwer zu glauben, dass diese Frage aktuell jemand guten Gewissens mit Ja beantworten könnte.