Drei Jahre lang erzählte sich die Geschichte von Union Berlin im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Märchen: Es war einmal ein kleiner bodenständiger Verein, der aus Köpenick auszog, um die Riesen des Kommerz-Fußballs zu ärgern. Drei Jahre konnten sich die Riesen nicht erwehren, drei Jahre lang schlugen die Eisernen immer im genau richtigen Moment zu. Drei Jahre lang erlebte (Ost)-Berlin ein kleines Fußballwunder auf Raten.
Union Berlin: Die leuchtenden Bilder sind grauer Tristesse gewichen
Jetzt, im November 2023, sind die leuchtenden Bilder von Union grauer Tristesse gewichen. 13 von 14 Pflichtspiele in Folge hat die Mannschaft verloren. Nach der 0:4-Niederlage gegen Bayer Leverkusen steht die Mannschaft auf dem letzten Tabellenplatz. Und in den vergangenen Wochen hat sich ein Wort in Ost-Berlin eingeschlichen, das man in den vergangenen Jahren eigentlich nur aus dem Westend kannte: Krise.
"Realität" nannte (Ex-)Trainer Urs Fischer vor einigen Wochen das, wo die Eisernen angekommen sind. Wohl wissend, dass seine Mannschaft in den vergangenen Jahren deutlich über ihrem Niveau gespielt hat. Man könnte auch sagen: Union ereilt derzeit etwas, das man immer verhindern wollte: Normalität.
Diese an Kitsch grenzende Folklore in Ostberlin: Würstchen, die noch auf echter Holzkohle gegrillt werden, das Stadion an sich, von Fans renoviert als das große Geld noch gar nicht in Sicht war, die – mit Verlaub – geschriene Hymne von Nina Hagen: all das war und ist nicht normal. Der sportliche Werdegang von Union ist es schon.
Es gibt Dinge im Fußball, die sich mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit regelmäßig wiederholen: Bayern wird Meister, der Aufsteiger des einen Jahres ist der Absteiger des nächsten. Und dann gibt es noch diese Geschichte einer Mannschaft, die zu Beginn einer Saison niemand auf dem Zettel hat, die aber durchmarschiert – teilweise bis zum Meistertitel – nur um dann im darauffolgenden Jahr, zumindest international, gnadenlos abzustürzen.
So erging es dem VfB Stuttgart nach dem Meistertitel 2007, genauso wie dem VfL Wolfsburg zwei Jahre später. So erging es auch Borussia Dortmund nach dem Titelgewinn 2011 oder der TSG Hoffenheim nach einem dritten Platz 2018. Nun scheint auch Union in diesen Chor einzustimmen.
Die Ergebniskrise ist längst eine Leistungskrise
Die Ergebniskrise der Köpenicker hat sich längst zu einer Leistungskrise entwickelt. Spiele, die auf der Kippe standen und die die Eisernen in der vergangenen Saison mit einer stoischen Ruhe trotzdem irgendwie gewinnen konnten, gehen nun verloren. Der Lauf scheint zu Ende. Der Traum, ohne viele Mittel trotzdem im Konzert der ganz Großen mitspielen zu können, er ist ausgeträumt.
Beste Argumente dafür bietet das Spiel gegen Leverkusen. In der vergangenen Saison noch auf Augenhöhe mit Union, demontierte die Werkself die Eisernen gnadenlos. 18:2 Torschüsse, mehr gelaufene Kilometer, mehr gespielte Pässe, fast 70 Prozent Ballbesitz, 10:1 Ecken und eben 4:0 Tore. Unions größter Pfand – die Defensive – ist verloren gegangen. Und man muss konstatieren: gerät die Mannschaft in Rückstand, wie auch in Leverkusen, hat sie nicht die Mittel, um zurückzuschlagen. Ein Muster, das sich zu oft wiederholte.
Nun muss man das derzeitige Formtief der Mannschaft sicherlich in Relation zu den fast unglaublichen Erfolgen der letzten Jahre sehen. So ganz wissen die Verantwortlichen sicherlich auch nicht, wie sie es überhaupt geschafft haben, plötzlich gegen Real Madrid oder eben die SSC Neapel zu spielen. Einen großen Anteil daran hatte sicherlich Trainer Urs Fischer.
Und ebenso wie er die Erfolge zu verantworten hatte, verantwortet er auch die Niederlagenserie. Dass er nun seinen Hut nehmen muss, ist im Bundesligageschäft alles andere als unüblich. Auf lange Sicht wird sich der Verein damit aber schwächen. Fischer hat in den vergangenen Jahren die Strukturen aufgebaut, die es überhaupt erst ermöglichten, so große Erfolge zu feiern. Ein neuer Trainer mag vielleicht den Abstieg in dieser Saison noch verhindern, doch ob Union in den kommenden Jahren wieder an erfolgreichere Zeiten anknüpfen können wird, ist ohne Fischer mehr als fraglich.
Was bleibt also nach drei Jahren, in denen die Köpenicker die Bundesliga und Europa aufgemischt haben? Leider entsteht der Eindruck, der nicht nur dem Verein, sondern wohl allen Traditionalisten unter den Fans nicht gefällt: Das kleine gallische Dorf Union Berlin hat auf lange Sicht wohl doch keine Chance, gegen die Riesen mitzuhalten.