Ruchlose Lobbyisten gehen im Ministerium ein und aus, flüstern den Beamten ein, was sie den gewählten Abgeordneten antworten könnten. An wen denkt man da, außer an Autokonzerne und Pharmariesen?
Falsch geraten, es geht um das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Eigentlich ist der Verband zuständig für das Gute, für Hilfe bei Katastrophen, Rettung für Verletzte, Blutspenden für Kranke. Doch zugleich legt die Hilfsorganisation großen Wert auf ihre Drähte in die deutsche Politik.
Wie gut vernetzt die Rotkreuzler im CDU-geführten Gesundheitsministerium sind, zeigte sich dieser Tage. Abgeordnete der Linkspartei hatten eine Anfrage über Fördermittel und Steuervorteile für das Rote Kreuz an die Bundesregierung gerichtet. Noch bevor die offiziell reagiert hatte, ließ DRK-Generalsekretär Christian Reuter den Ministerialen mögliche Antworten schicken. Am 22. März informierte eine Mitarbeiterin die Rot-Kreuz-Spitze über die Sache: Sie leite hiermit im Auftrag von Reuter "die Antworten des Generalsekretariats auf die Kleine Anfrage der Linken im Bundestag zu den Blutspendediensten zu Ihrer Information weiter".
Vor einigen Tagen berichtete der stern, wie die Geschäfte der großen Blutspendedienste florieren, die das Rote Kreuz in Deutschland unterhält. Interne Papiere belegen, wie die Manager des Sozialverbands Vorteile von zwei Welten kombinieren: Gemeinnützigkeit wegen der Steuerfreiheit, Kapitalismus für die Umsatzmaximierung.
Deutsches Rotes Kreuz dominiert Rettungsdienste
Ein Markt, der dank der Politik vom Roten Kreuz dominiert wird, betrifft die Rettungsdienste - also die Autos, die kommen, wenn der Bürger die 112 wählt. Gegen den ursprünglichen Willen der Politiker in Brüssel und Berlin setzte das Rote Kreuz hier gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen unlängst eigene Interessen durch. Eigentlich, so wollte es die EU-Kommission, sollten die Städte und Gemeinde künftig die lukrative Arbeit der örtlichen Rettungsdienste per Ausschreibung vergeben. Für die Notfälle sollten die besten und preiswertesten Anbieter gefunden werden. Jetzt, nach der Intervention von Rotem Kreuz, Johanniter und Co. behalten die Gemeinden die Möglichkeit, den Auftrag ohne Ausschreibung direkt zu vergeben. Das erhöht die Chancen, dass die Aufträge auch künftig bei denjenigen landen, die sie auch bisher in den meisten Fällen bekamen, im Wert von geschätzt einer Milliarde Euro pro Jahr: Den Rettern vom Roten Kreuz.
Die Rotkreuzler gingen dabei Schritt für Schritt vor. Zunächst setzten sie sich in Brüssel für Änderungen am Entwurf einer Richtlinie ein - mit Erfolg. Dann kümmerten sie sich um die Umsetzung in deutsches Recht. Im März 2015 beschwerte sich ein DRK-Mann im Wirtschaftsministerium: Sigmar Gabriel – damals zuständiger Minister - habe doch zusagt, "dass ihm der Dialog mit den Hilfsorganisationen bei der anstehenden Umsetzung der Vergaberichtlinien und deren Erfahrungen bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen wichtig sind". Doch nun sei man sehr "erstaunt", weil "der begonnene Dialog offensichtlich ins Stocken geraten ist".
Das Stocken ließ sich offenbar beheben, die Probleme lösten sich auf. Im Februar 2017 vermeldete DRK-Generalsekretär Christian Reuter zur Frage der Rettungsdienste: "Die Initiative war erfolgreich." Das Vorhaben sei "damit abgeschlossen".
Dank für "erfolgreiche lobbyistische Arbeit"
Auf einer Versammlung seines Verbands Ende 2014 hatte der damalige DRK-Präsident Präsident Rudolf Seiters viel Lob übrig für die Freunde der Hilfsorganisation in der Politik. Man danke EU-Abgeordneten der CDU wie der Grünen "für ihre erfolgreiche lobbyistische Arbeit" im Sinne des DRK, bekannte Seiters laut Protokoll. Sogar "auf zum Teil höchster politischer Ebene" habe man interveniert, um die Rettungsdienste nicht den Marktkräften auszusetzen, hielt der langjährige Verbandschef bei seinem Abschied im Dezember 2017 in einem Rückblick auf seine Arbeit fest. "Ein echter Durchbruch" sei hier gelungen. Anfangs habe diesen Erfolg, so Seiters, "außer dem DRK und den anderen Hilfsorganisationen im politischen Bereich niemand wirklich gewollt".
Die Leidtragenden sind womöglich nun die Bürger. Denn die Kosten der Rettungsdienste für die gesetzlichen Krankenkassen haben sich in den vergangenen acht Jahren laut eines Berichts der "Welt am Sonntag" fast verdoppelt. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Manche führen die Kostensteigerungen auch auf eine gestiegene Anspruchshaltung der Anrufer zurück. Aber sicher ist: Diese Kosten müssen auch in Zukunft von den Krankenkassen getragen werden. Doch die haben ihrerseits keinen Einfluss auf die Auftragsvergabe. Diese Entscheidungen treffen auch künftig die Städte und Gemeinden - die sich um den Preis aber nicht allzu sehr sorgen müssen. Den zahlen ja die Kassen. Fragen des stern dazu ließ der DRK-Bundesverband unbeantwortet.
Die Sozialorganisation holt sich regelmäßig prominente Ex-Politiker an die Spitze und kann dann deren gute Beziehungen in die Bundesregierung nutzen. Bis Ende 2017 war es Ex-Innenminister Seiters von der CDU. Seitdem leitet die CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt die "liebe Rotkreuz-Familie". So nannte sie sie bei ihrem Antritt im Dezember in Berlin.
So wie mächtige Konzerne oder Behördenkolosse ereilt aber auch Hilfsorganisationen das Problem, dass sie sich immer schwerer steuern lassen, je mehr sie wachsen. Untd es greifen die ehernen Geseze der Organisationslogik: Je größer der Apparat, desto mehr wird es zum Selbstzweck, dass er überlebt. Das Rote Kreuz braucht dafür neben Subsidien vom Staat immer auch Geld von Mitgliedern und Spendern.
Katastrophen-PR für den "Spendenmarkt"
Aus Sicht der DRK-Spitze operiert man auch hier schlicht auf einem Markt. Wie die Entwicklung des "Spendenmarktes 2016" verlief, das teilte der Generalsekretär seinen Verbandsoberen im Jahr 2017 per Bericht mit: Das Durchschnittsalter des DRK-Spenders bleibe "über Gesamtdeutschland hinweg bei stabilen 63 Jahren", schrieb der Manager. "Insbesondere Frauen mit katholischem Glauben spenden dem DRK über die Maßen häufig", fügte er hinzu. Der Durchschnittsspender des DRK zeichne sich überdies "durch eine unterdurchschnittliche Internet-Nutzung, eine hohe Affinität zu großen Organisationen und durch regelmäßige Besuche von Gottesdiensten aus". Also eine Kientel, die ebenso alt und altmodisch scheint - beides keine Eigenschaften, die dem Roten Kreuz eine sichere Zukunft auf dem "Spendenmarkt" garantieren könnten. Man kaufe "Fremdadressen", um neue Spender zu werben und damit "einem möglichen Anstieg des Durchschnittsalters entgegenzuwirken", beruhigte Reuter folgerichtig sein Präsidium. Und er fügte noch eine Info hinzu: Natürlich wirke sich auch "das Ausbleiben von großen, medial begleiteten humanitären Katastrophen" auf die Bereitschaft zu Spenden aus.
Übrigens helfen die Katastrophen im Ausland auch, falls die Geschäfte in Deutschland allzu negative Schlagzeilen machen. "Um Imageverluste aus DRK-Krisen im Inland auszugleichen, werden positive Nachrichten zu DRK-Katastropheneinsätzen von der ersten Stunde an genutzt", hieß es Ende 2015 in einem internen Bericht zum Risikomanagement. In solchen Fällen müsse man "sofort" die "Bereitstellung von Gesprächspartnern und Experten für Interviews und Studiogespräche" sicherstellen und eine "konsequente 'Vermarktung' der Einsatzkräfte vor Abreise und als Kontaktpersonen für Medienvertreter während des Einsatzes" betreiben. Denn was wäre eine Katastrophe ohne ihre konsequente Vermarktung?
Und wie war das eigentlich mit der parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion, für die das Rote Kreuz der Bundesregierung jüngst Antworten zuliefern durfte? Ja, man habe das DRK-Generalsekretariat um Stellungnahme zu vier Fragen gebeten, bestätigte das Gesundheitsministerium dem stern. Solch eine Praxis sei auch im Umgang mit anderen Verbänden "nicht unüblich". Und nein, die Bundesregierung habe "aus der Stellungnahme des DRK-Generalsekretariats keine Textteile in ihre Antwort übernommen".