Sorge um Energieversorgung Gasspeicher in Polen fast vollständig gefüllt – kommt das Gas tatsächlich aus Deutschland?

LNG Swinemünde
LNG-Tanker vor Swinemünde. Dort kommt Gas für Polen aus Katar an.
© Lukasz Szelemej/AP / DPA
Sind die Gasspeicher in Polen im Gegensatz zu den deutschen tatsächlich "fast zu 100 Prozent" gefüllt? Und kommt das Gas wirklich aus Deutschland? Diese Behauptungen kursieren im Netz. Was an den Gerüchten dran ist und, ob das Gas tatsächlich aus Deutschland kommt.

Die Abhängigkeit vom russischen Gas bereitet Deutschland Sorgen. In Anbetracht der reduzierten Gaslieferungen aus Russland und des bevorstehenden Winters geht es darum, alternative Energiequellen zu nutzen und sparsam mit der verfügbaren Gasmenge umzugehen. Die Behauptung, deutsches Gas würde nach Polen weitergeleitet werden, sorgt daher auf Facebook für Aufruhr.

"Polens Gasspeicher sind jetzt zu fast 100 Prozent voll", heißt es in einem Anfang Juli veröffentlichten Beitrag, der dazu auch ein Video des russischen Präsidenten Wladimir Putin während einer Ansprache zeigt. Weiter behauptet der Verfasser, dass Polen jenes Gas aus deutschen Speichern beziehen würde. Auch in einem anderen Facebook-Beitrag ist die Rede davon, dass die polnischen Speicher mit Gas aus Deutschland gefüllt worden wären. Tatsächlich sind die Gasspeicher in Polen aktuell zu gut 98 Prozent voll, wie aus Daten der Plattform AGSI hervorgeht. Allerdings stammt nur ein vergleichsweise kleiner Teil des Gases aus Deutschland.

Polen bezieht Gas vor allem aus Katar, den USA und dem Spotmarkt

Im Jahr 2020 importierte Polen mit 55 Prozent über die Hälfte seines Erdgases aus Russland. Rund 21 Prozent kamen aus Deutschland, 13 Prozent aus Katar. Außerdem produziert das Land eigenes Erdgas, welches sich auf etwa vier Milliarden Kubikmeter (40 Terawattstunden) pro Jahr beläuft. Wie groß der Anteil des Gases aus Deutschland in polnischen Speichern ist, lässt sich nicht genau sagen.

Das polnische Klima- und Umweltministerium sagte dem Recherchezentrum "Correctiv" zu der aktuellen Situation, dass das Gas aus unterschiedlichen Quellen stamme: "Aus LNG-Terminals, aus eigener Produktion und von Käufen, die wir auf dem europäischen Gasmarkt tätigen – darunter auch Käufe aus Deutschland." Ein Großteil des Gases komme aus dem polnischen Terminal für Flüssiggas (LNG) Swinemünde östlich der Insel Usedom. Dort erhalte man vor allem Lieferungen aus Katar, den USA und vom Spotmarkt, einem internationalen Markt, auf dem Rohöl und -Gas versteigert wird.

Länder können Gas frei einkaufen

Deutschland bezieht Gas über die Jamal-Pipeline aus Russland, welche über Polen nach Deutschland führt. Dieses gehört aber nicht zwingend Deutschland. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte gegenüber ZDFheute die Funktionsweise des europäischen Gasnetzes: "Das Gas kann von polnischen, italienischen oder Firmen eines anderen Landes genutzt werden, wird aber über die Leitung transportiert."

Auf dem deutschen Gasmarkt kann das Gas schließlich frei gehandelt werden – und somit von da aus in andere Länder weiter- oder zurückgeleitet werden, wenn etwa polnische Gashändler im deutschen Netz Gas einkaufen. "Wer genau welche Gasmengen wo kauft und an wen liefert, kann man von außen kaum nachvollziehen. Die globalen Märkte laufen meist anonym ab", sagte Tobias Federico, Geschäftsführer der Beratungsagentur "Energy Brainpool" dem ZDFheute. Eine Sprecherin des deutschen Netzbetreiber-Unternehmens erklärte gegenüber der dpa: "Wir transportieren das Gas, was im System ist, das kann aus Russland kommen, aus den Niederlanden oder aus Norwegen." 

Es sei weder rechtlich noch praktisch machbar, deutschen Unternehmen ein Weiterverkaufsverbot etwa an Polen aufzuerlegen, so Federico. "Das sind privatwirtschaftliche Unternehmen." Darüber hinaus lässt sich nicht sagen, ob das aus Deutschland nach Polen geleitete Gas ausschließlich aus Speichern stammt.

Deutsche Gasspeicher mehr als sechs Mal so groß wie polnische

Aktuell sind die Gasspeicher in Deutschland durchschnittlich zu rund 67 Prozent gefüllt (Stand: 26. Juli). Das geht aus Daten der AGSI-Datenbank der Interessenvereinigung Gas Infrastructure Europe (GIE) hervor. Vor einem Jahr lag der Füllstand hingegen lediglich bei etwa 46 Prozent. Susanne Ungrad vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erklärte gegenüber "Correctiv": "Die deutschen Gasspeicher wurden von Händlern im letzten Sommer nicht gefüllt, weil die Preise für Sommermonate verhältnismäßig hoch waren und deshalb wohl gewartet wurde, bis sich die Preise wieder senken."

Momentan sei die Mehrheit der Speicher zu 80 Prozent bis 90 Prozent gefüllt. Der Gasspeicher im niedersächsischen Rehden, welcher der größte Deutschlands ist, kommt derzeit jedoch lediglich auf einen Füllstand von 34 Prozent. Aktuell messen Gasspeicher in Deutschland trotzdem in der Zahl mehr als vier Mal so viel Gas wie in den Speichern Polens – 163.000 Terawattstunden (TWh ) Gas zu 35.900 TWh Gas.

Deutschland verfügt in Mittel- und Westeuropa über die größten Speicher für Erdgas. Sie können derzeit maximal rund 242,98 TWh Gas speichern, Polen lediglich maximal 36,41 TWh Gas. Damit ist der deutsche Gasspeicher etwa 6,67 mal so groß wie der polnische und entsprechend nicht so schnell voll.

nk

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