Analyse Vorwärts an die Börse

Wird der Börsengang der Suchmaschine Google noch einmal einen Internetboom auslösen wie in den neunziger Jahren? Schon schätzen Experten, Google sei mehr wert als Daimler-Chrysler. Und die Konkurrenz rüstet mächtig auf.

Andreas von Bechtolsheim hatte schon viel gesehen in diesem Sommer der Dotcoms, als plötzlich jeder eine eigene Internetfirma aufmachen wollte - doch die beiden Stanford-Studenten, denen der Mitgründer des Computerriesen Sun am 26. August 1998 gegenübersaß, stachen heraus: Ihre Software zum Durchforsten der gigantischen Datenmengen im wild wuchernden Web schien ihm "eine der besten Ideen, die ich je gesehen hatte - und an dem Punkt stellt man nicht lange Fragen, da zückt man das Scheckbuch".

Das tat der gebürtige Lindauer dann auch: Scheck Nr. 4642 über 100.000 Dollar stellte er auf die Firma Google, Inc. aus. Die mussten die Studenten zwar erst noch gründen, um an ihr Startkapital zu kommen, aber die Summe erwies sich als gut angelegt. Obwohl Google mit Verspätung ins Rennen ging, sprintete die Suchmaschine vorbei an der Konkurrenz - und steht nun kurz davor, jene üppig zu belohnen, die vom ersten Tag an dabei waren.

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Das Motto der Google-Chefs: "Don't be evil" - sauber bleiben

Denn Google geht an die Börse. Endlich! Nach monatelangem Geraune, wann es so weit sein werde, stellte die Firma am Donnerstag voriger Woche bei der Börsenaufsicht einen 768 Seiten langen Antrag, sich in eine Aktiengesellschaft zu verwandeln. "Das Warten hat ein Ende", seufzte erleichtert das "Wall Street Journal" stellvertretend für das gesamte Silicon Valley, das mit dem Ende des Dotcom-Booms zum Tal der Tränen wurde. Mehr als drei Jahre musste die High-Tech-Branche ohne frische Börsenstars auskommen. Jetzt soll alles wieder gut werden. Die Zahlen, die Google vorlegt, seien "sehr, sehr, sehr beeindruckend", jubelt George Zachary, Risiko-Investor bei Charles River Ventures (und zu seinem Leidwesen nicht an Google beteiligt): "Wachstum und Gewinnspanne sind großartig. Einfach herausragend."

Google, eine notorisch geheimniskrämerische Firma, hat bestätigt, was die meisten vermuteten: Die Suchmaschine ist auch eine Geldmaschine. Im vorigen Jahr blieben von 962 Millionen Dollar Einnahmen 105,6 Millionen Reingewinn. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres kamen abermals 64 Millionen Dollar Gewinn dazu. Was erklärt, warum Zahlen umherschwirren, die an die große Internetsause von 1999 erinnern: Bis zu 50 Milliarden Dollar könnte Google wert sein - mehr als DaimlerChrysler -, sobald fiebrige Anleger Gelegenheit bekommen, mit Aktien der Firma zu handeln, spekulieren Wall-Street-Beobachter.

Ob es am Ende 50 Milliarden werden oder vielleicht doch nur 20 - sicher ist: Sergey Brin, 30, und Larry Page, 31, die beiden Google-Gründer, zählen demnächst zu den reichsten Männern der Welt. Ihnen gehören jeweils etwa 16 Prozent der Firma. Auch von Bechtolsheim, der später noch einmal 100.000 Dollar in Google investierte, darf sich freuen: Seine Schecks könnten ihm mehrere 100 Millionen Dollar einbringen. Wie groß sein Anteil an Google sei, wisse er nicht, behauptet der 48-Jährige - "aber es war sicher eine der besten Investitionen, die ich je gemacht habe".

WEITERSUCHEN!

Google findet nicht alles - Alternativen lohnen sich
yahoo.de: Überladene Website - aber gute Treffer und viele Zusatzinformationen auch für deutsche Nutzer
mooter.com: Innovativer Newcomer aus Australien, fasst Ergebnisse nach Themengebieten zusammen
vivisimo.com: Ähnliches Konzept wie Mooter: Treffer werden nach Themengebieten geordnet, sehr übersichtlich. Mit Vorschau der gefundenen Seiten
ask.com: Liefert Antworten auf Anfragen, die in ganzen Sätzen formuliert sind. Bisher allerdings nur auf Englisch
a9.com: Ein Projekt von Amazom.com. Sucht im Netz und im Text vieler Bücher. Möglichkeit zur Personalisierung
completeplanet.com: Links zu mehr als 70000 Datenbanken aus sehr unterschiedlichen Bereichen

Trotz der Euphorie benimmt sich die gefeierte Firma wie eine Braut, die gegen ihren Willen zum Altar geschleppt wird: "Google ist kein gewöhnliches Unternehmen. Wir haben nicht vor, eines zu werden", schreiben die Gründer in einem Brief an potenzielle Aktionäre. Die Spielregeln der Wall Street wollen sie ignorieren: Analysten sollen nicht umworben werden, es soll kein Quartalsdenken geben, keine ängstlichen Blicke auf den Aktienkurs - stattdessen Mut zum Risiko: "Wundern Sie sich nicht, wenn wir mal auf etwas setzen, das Ihnen spekulativ oder sogar seltsam vorkommt", warnen Brin und Page. "Wir wollen Google zu einer Institution machen, die die Welt verbessert."

Wie zum Beweis, dass sie es ernst meinen mit ihrem Motto "Don't be evil!" (sauber bleiben), wählen die Google-Gründer für den Börsengang den ungewöhnlichen Weg einer Versteigerung: Statt die Aktien nach dem üblichen Prinzip zu verkaufen, bei dem Investmentbanken meist sich selbst und ihre besten Kunden bereichern, sollen auch Privatanleger eine faire Chance bekommen, vom Goldrausch zu profitieren. Als Erlös der Auktion strebt Google 2,718281828 Milliarden Dollar an.

Das Geld wird Google brauchen, um sich gegen eine Vielzahl kleiner und großer Konkurrenten zu wehren, die dem Primus verspätet auf die Pelle rücken - kaum jemand glaubte, dass sich mit Suchmaschinen ein Vermögen verdienen lässt, bis Google anfing, sehr profitabel "nützliche Anzeigen" zu vermarkten, die abhängig vom Suchbegriff neben dem eigentlichen Ergebnis aufgeführt sind. Wer "Jeans" eingibt, bekommt Treffer wie "levis.com" zu sehen und bezahlte Links zu Onlinehändlern, die Jeans verkaufen.

Dieses Werbemodell funktioniert so gut, dass Suchmaschinen in diesem Jahr mit Einnahmen von 2,7 Milliarden Dollar rechnen dürfen, schätzt der Marktforscher Forrester Research. Bis 2008 sollen es sogar 5,6 Milliarden werden. Kein Wunder, dass sich im Internet plötzlich alles ums Suchen und Finden dreht. Yahoo, noch bis vor kurzem Google-Partner, investiert nun Millionen in eigene, konkurrierende Technik; Microsoft will eine Suchmaschine in die nächste Windows-Version integrieren; obendrein versuchen diverse kleinere Firmen, neue Wege zu finden, das Netz zu durchforsten (siehe Kasten). Denn "Suchmaschinen sind zwar schon viel besser geworden", sagt Chris Sherman, Redakteur bei "Searchenginewatch.com", "aber wir stehen noch ganz am Anfang".

Das Konzept zum Beispiel, dass man Begriffe in ein Suchfeld eintippt und dann der PC einen Haufen Treffer ausspuckt - "das ist noch ziemlich schlicht", sagt Sherman: "Bisher bedienen Suchmaschinen den kleinsten gemeinsamen Nenner." Sie wissen ja nicht, wer da vor dem PC sitzt. Meint jemand, der "Jaguar" eingibt, die Raubkatze? Das Auto? Deshalb streben Google & Co. jetzt nach Personalisierung: Je besser die Suchmaschine den Nutzer kennt, umso effektiver kann sie ihn bedienen. Google testet einen Service, bei dem Suchende bestimmte Interessengebiete eingeben können. Doch ein Konkurrent wie Yahoo mit Informationen über 140 Millionen registrierte Nutzer hat da womöglich vom Start weg einen Vorsprung.

Das gilt auch für den Trend, dass Suchmaschinen nicht nur Verweise zu Websites liefern, sondern gleich die Informationen selbst - Wettervorhersagen zum Beispiel, Telefonnummern oder Kinoprogramme. "Yahoo besitzt viele dieser Informationen selbst", sagt Charlene Li von Forrester Research, "das ist ein klarer Vorteil." Googles Konter: "Gmail", ein kostenloser E-Mail-Service, der mit viel Speicherplatz lockt. Wer den Dienst nutzen will, muss sich registrieren - und einverstanden sein, dass Google mitliest: Finanziert wird der Service über die gleichen kontextbezogenen Anzeigen wie die Suchfunktion. Das bringt zurzeit Datenschützer auf die Barrikaden, die fürchten, dass Google aus den "Gmails" Profile seiner Nutzer erstellen könnte.

Das Rennen ist eröffnet, und zu suchen gibt es eine Menge: Bisher nämlich ist vieles im Internet - vielleicht sogar der größte Teil - für Suchmaschinen unsichtbar. Das liegt an ihrer Arbeitsweise: Google etwa beschäftigt über 30.000 Computer damit, Tag und Nacht die Online-Welt zu erkunden, in die hintersten Winkel zu krabbeln und den Inhalt von gut vier Milliarden Seiten zu erfassen. Was die Software nicht sieht, sind Infos, die nicht offen im Netz stehen - zum Beispiel der Inhalt Tausender Datenbanken: Erst wenn jemand die Seite der Bahn besucht, um eine Verbindung nachzuschlagen, wird der Fahrplan erstellt. Das Gleiche gilt für Daten, die sich ständig ändern: Hat der Flug Verspätung? Wo steckt mein UPS-Paket?

"Google, Yahoo und all die anderen Suchmaschinen sind großartige Hilfsmittel, aber vieles entgeht ihnen", sagt Gary Price, Co-Autor des Buchs "The Invisible Web". Dieses "unsichtbare Internet" könnte laut einer Studie der Universität Berkeley mehr als 500-mal größer sein als das sichtbare. Doch selbst wenn Suchmaschinen all diese Informationen fänden - Patentanmeldungen, Konstruktionszeichnungen, Nachschlagewerke und vieles mehr: Was wäre damit gewonnen? "Der Heuhaufen wird so groß, dass die Nadel nur noch schwieriger zu finden ist", sagt Sherman.

Die Situation ist also ähnlich wie damals, als die Google-Gründer auf die Idee kamen, die Suchergebnisse nach Popularität zu gewichten: Wenn eine Website auf vielen anderen als Link auftaucht, muss sie wohl gut sein, so ihre Logik, und deshalb rutscht die Seite in der Trefferliste nach oben. Das war clever. Aber was kommt als Nächstes? "Wahrscheinlich", sagt Sherman, "sitzen gerade wieder irgendwo ein paar Jungs vorm PC und erfinden die Suchmaschine der Zukunft." Wunderbar - solange sie auch jemanden finden, der ihnen einen Scheck mit Startkapital zusteckt.

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von Karsten Lemm