Fünf Jahre Hartz-Reformen Das Bürokratiemonster

Peter Hartz ist mittlerweile aus der Öffentlichkeit verschwunden, doch sein Name ist allgegenwärtig. Für die einen steht er für größte Sozialreform Deutschlands, für die anderen für die Verdammung ganzer Gesellschaftsschichten in die Armut. stern.de blickt auf fünf Reform-Jahre zurück.

Ursprünglich enthielten die Vorschläge 13 Module. Erstes Ziel war es die Arbeitslosigkeit innerhalb von drei Jahren zu halbieren. Herzstück der Reformen waren die so genannten Personal-Service-Agenturen (PSA). Mit Hilfe von Zeitarbeitsfirmen sollten Arbeitslose schneller vermittelt und dauerhaft beschäftigt werden. Die PSA scheiterten allerdings völlig. Von den ursprünglich geplanten 350.000 Vermittlungen pro Jahr kamen gerade einmal ein Drittel wieder in Lohn und Brot und das nicht einmal dauerhaft. Ein Flop waren auch die so genannten Job-Floater: Unternehmen, die Arbeitslose einstellen, sollten günstige Kredite erhalten. Das entsprechende Programm wurde aber Im Frühjahr 2004 eingestellt. Statt den erhofften 50.000 neuen Jobs wurden nur rund 12.000 geschaffen.

Peter Hartz, der wegen seiner Verwicklung in die VW-Affäre als Vorstand zurücktreten musste, hatte sich letztlich von der Umsetzung seiner eigenen Reform distanziert und die "Mutlosigkeit der politischen Eliten" beklagt. Im Gesetzentwurf fehlten wichtige Teile des Konzeptes, das damit - anders als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder angekündigt hatte - nicht eins zu eins umgesetzt worden sei. Zwar habe Schröder die Reform-Ideen "tapfer verteidigt". Allerdings sei aber viel mehr Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Interessengruppen genommen worden, als für die Reform gut sei.

Wohl kaum eine Reform hat das Land so gespalten wie die Arbeitsmarktreform nach Peter Hartz. Der ehemalige VW-Manager legte am 16. August 2002 der Bundesregierung sein Konzept zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit vor. Nicht weniger als den ganz großen Wurf sollte sie werden. Doch erst wurden elementare Reformteile zwischen den Parteien und Interessenvertretern zerrieben, es folgten Stürme der Entrüstung, Montagsdemos und die Gründung der Linkspartei.

Den verkrusteten Arbeitsmarkt aufbrechen

Mit den "Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" wollte die damalige rot-grüne Regierung nichts anderes, als den verkrusteten deutschen Arbeitsmarkt aufbrechen und vor allem die Menschen wieder in Lohn und Brot bringen. Die Durchsetzung der sogenannten Hartz-Gesetze I bis IV war ein politischer Kraftakt. stern.de lässt die letzten fünf Jahre Hartz-Reform Revue passieren und erklärt wer überhaupt Arbeitslosengeld II bekommt, und wieviel der Staat bisher für das Bürokratie-Monster ausgegeben hat.

pir

Chronik der Hartz-Reform

16. August 2002: Der VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz übergibt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Reformvorschläge einer 15-köpfigen Kommission.

15. November 2002:

Der Bundestag stimmt Hartz I und II mit den Stimmen von Rot-Grün gegen die Opposition zu. Die Neuregelungen sehen verschärfte Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose, mehr Leih- und Zeitarbeit sowie mehr Minijobs vor.

20. Dezember 2002:

Die unionsdominierte Länderkammer billigt den Vermittlungskompromiss zur Ausweitung der steuer- und abgabenfreien Minijobs. Das Gesetzespaket Hartz I und II tritt am 1. Januar 2003 in Kraft.

17. Oktober 2003:

Hartz III und IV werden im Parlament mit rot- grüner Mehrheit angenommen. Die Union kündigt die Ablehnung der Gesetze im Bundesrat an.

19. Dezember 2003:

Nach einem aufreibenden Vermittlungsverfahren beschließen Bundestag und Bundesrat Hartz III und IV. In einer Sondersitzung zu etlichen Reformgesetzen muss das Parlament zehn Mal namentlich abstimmen und fünf Einsprüche des Bundesrates abweisen.

1. Januar 2004:

Hartz III tritt in Kraft, Hartz IV verschiebt sich um ein Jahr wegen ungeklärter Finanzierungsfragen.

2. Juni 2004:

Hartz IV nimmt die letzte Hürde. Der Bundestag nimmt einen Vermittlungskompromiss an. Am 9. Juli billigt ihn der Bundesrat gegen die Stimmen der ostdeutschen Länder und Berlins.

2. August 2004:

Mit dem Slogan "Wir sind das Volk" fordern in Magdeburg und Dessau Zehntausende den Stopp von Hartz IV. Vor allem in Ostdeutschland gehen Woche für Woche bis zu 100.000 Menschen auf die Straße. Mitte Oktober laufen die Protestmärsche aus.

1. Januar 2005:

Mit der Einführung von Hartz IV erhalten insgesamt 2,8 Millionen Menschen ALG II. Es entspricht dem Niveau der Sozialhilfe. Im Westen liegt der Grundbetrag bei monatlich 345 Euro, im Osten bei 331 Euro.

17. Februar 2006:

Das Parlament beschließt, dass AlG II von Juli 2006 an in Ostdeutschland dem Westniveau angeglichen wird.

1. Juni 2006:

Der Bundestag beschließt, Arbeitslosen künftig Leistungen zu streichen, wenn sie Job- oder Schulungsangebote drei Mal innerhalb eines Jahres ausschlagen.

23. November 2006:

Das Bundessozialgericht in Kassel urteilt, dass der monatliche Regelsatz von 345 Euro nicht verfassungswidrig ist.

1. Juli 2007:

Der Hartz-IV-Regelsatz steigt um 0,54 Prozent auf 347 Euro. DPA

Hartz I bis IV im Überblick

Hartz I: 1. Januar 2003

Die Arbeitsagentur fördert fortan die berufliche Weiterbildung und führt den sogenannten Bildungsgutschein ein. Außerdem zahl die Arbeitsagentur Unterhaltsgeld und empfiehlt die Zeitarbeit mit Personal-Service-Agenturen

Hartz II: 1. Januar 2003

Die Ich-AG war der Ansatz der zweiten Hartz-Verordnung. Es bezeichnet ein Einzelunternehmen, das von einem Arbeitslosen gegründet worden ist, der für diese Existenzgründung einen Existenzgründungszuschuss (EXGZ) erhält. Der EXGZ war ein Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Mit ihm sollte dem Arbeitslosen der Einstieg in die Selbständigkeit erleichtert werden. Vom 1. Juli 2006 an wird diese Subvention nur noch gezahlt, wenn der Anspruch auf Förderung vor diesem Tag bestanden hat.

Hartz III: 1. Januar 2004

Die ehemalige Bundesanstalt für Arbeit - besser bekannt unter dem Begriff "Arbeitsamt" - wird restrukturiert und heißt fortan "Bundesagentur für Arbeit" oder schlicht "Agentur für Arbeit"

Hartz IV: 1. Januar 2005

Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe wurden zum "Arbeitslosengeld II" zusammengeführt. Im Volksmund schlicht "Hartz IV" genannt, liegt auf einem Niveau unterhalb der bisherigen Sozialhilfe. Die Agentur für Arbeit verwaltet die Sozialleitungen für alle erwerbsfähigen Arbeitslosen. Die bisherige Arbeitslosenunterstützung, das Arbeitslosengeld I; wird auf die Hälfte der bisherigen Laufzeit reduziert - maximal ein Jahr. Wer dann kein Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld I ist dann "Hartz-IV-Empfänger" und erhält Arbeitslosengeld II.

Wer bekommt Hartz IV?

Leistungen des Arbeitslosengeldes II (ALG II) erhalten grundsätzlich alle erwerbsfähigen und hilfsbedürftigen Personen. Daraus ergibt sich, dass die jeweilige Person dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehen muss, um Leistungen zu erhalten.

Keine Leistungen im Sinne der Hartz IV-Verordnung erhalten demnach Personen unter 15 und über 65 Jahren sowie Altersrentner. Für die erstgenannten erhalten die Erziehungsberechtigten Sozialgeld, Sozialhilfe oder einen Kinderzuschlag. Die Personen über 65 sowie Altersrentner erhalten gegebenenfalls Leistungen aus der Sozialhilfe neben der Rente.

Auch nicht erwerbsfähig Personen werden nicht mit Arbeitslosengeld II unterstützt. Das sind Personen, die unter den normalen Bedingungen des Arbeitsmarkts auf Grund von Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit nicht mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten können. Ebenfalls keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben Personen, die länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sind.

Dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen auch Menschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland haben. Diese Regelung gilt sowohl für Deutsche, als auch für Ausländer, die in Deutschland eine Arbeitserlaubnis haben oder bekommen könnten. EU Bürger, die zur Arbeitssuche nach Deutschland einreisen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf Leistungen des ALG II. Kurzfristige Abwesenheit aus Deutschland (z.B. Urlaub) steht einem Anspruch allerdings nicht entgegen. Ebenfalls keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben Asylbewerber. Diese erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Was wird gefördert?

Die Leistung des ALG II setz sich im Wesentlichen aus der so genannten Regelleistung und den Kosten der Unterkunft (KdU) zusammen.

Den Grundstock der Leistungen nach dem ALG II bildet die so genannte Regelleistung. Diese wird monatlich gezahlt und beträgt grundsätzlich in den allen Bundesländern € 347. Partner einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft erhalten jeweils 90 % der Regelleistung, was € 311 entspricht. Kinder bis 14 Jahre erhalten pauschale Leistungen in Höhe von € 207, Jugendliche bis 18 Jahre € 276. Weiterhin besteht für Alleinerziehende ein Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von € 138.

Wohnen und Heizung

Neben der Regelleistung haben die Erwerbslosen außerdem Anspruch auf die Erstattung von angemessenen Wohnungs- und Heizungskosten. Da es in diesem Bereich eine Menge zu beachten gibt ist erfolgt eine Gliederung in folgende Bereiche:

Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld

Darüber hinaus besteht für ehemalige Arbeitslosengeldempfänger die Möglichkeit einen Zuschuss von bis zu € 160 (€ 320 für Verheiratete) pro Monat für die Dauer von maximal zwei Jahren zu beziehen. Ehemalige Arbeitslosengeldempfänger erhalten diesen Zuschuss für die Dauer eines Jahres und im folgenden Jahr wird der monatliche Zuschuss nur noch zur Hälfte gewährt.

Beiträge zur Rentenversicherung

Der Staat leistet weiterhin Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von € 40 monatlich

Wieviele Hartz IV-Empfänger gibt es?

Nach den letzten Daten der Agentur für Arbeit vom März 2007 gibt es im Moment 7.422.650 Leistungsempfänger im Sinne des Sozialgesetzbuches II (SGB II). Die Zahl ist stark gestiegen, denn im März 2006 waren es 5.468.813 Erwerbslose, die Hartz IV beantragt haben.

Als Hartz seine "Radikalkur gegen Arbeitslosigkeit" vorlegte, gab es 3,8 Millionen Arbeitslose - bei steigender Tendenz. Heute, fünf Jahre und vier Hartz-Reformen später, sind es immer noch gut 3,7 Millionen. Dazwischen - im Februar 2005 - kletterte die Zahl der Arbeitssuchenden sogar auf den Nachkriegs-Rekord von 5,2 Millionen. Mehr als 350.000 Arbeitssuchende waren zuvor als Sozialhilfeempfänger nicht mitgezählt worden. Für sie brachte die Reform unstreitig Verbesserungen. Derzeit umfasst die Gruppe der Langzeitarbeitslosen noch etwa 2,5 Millionen Menschen.

Wieviel gibt der Staat aus?

Für Grundsicherung für Arbeitsuchende insgesamt (Arbeitslosengeld II, Sozialversicherungsbeiträge und Einmalleistungen bis Kosten der Unterkunft, Verwaltungskosten und Arbeitsförderungsinstrumente) wurden ausgegeben:

2005: 35,169 Milliarden Euro 2006 38, 677 Milliarden Euro Haushaltsansatz 2007: 35, 92 Milliarden Euro

Davon Kosten der Unterkunft

Der Bund beteiligte sich an den Kosten der Unterkunft, die die Kommunen tragen, in 2005 und 2006 zu 29,1 Prozent. 2006 machte das 4, 017 Milliarden Euro aus; 2005 waren es 3,533 Milliarden Euro.

Seit 2007 liegt der Bundesanteil zur Kostenerstattung höher. Auf Wunsch der Länder gab es eine länderspezifische Differenzierung: Bundesregierung und die Bundesländer haben entschieden, dass die Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft für das Jahr 2007 auf für 14 Länder 31,2 Prozent beträgt, sowie für Baden-Württemberg 35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz 41,2 Prozent .

Durchschnittlich beträgt der Bundesanteil für 2007 insgesamt 31,8 Prozent und damit liegt der Haushaltsansatz für 2007 liegt bei 4,3 Milliarden Euro.

Wie berechnet sich der Regelsatz?

Alle 5 Jahre befragt das Bundesamtes für Statistik Bürger, die mit weniger als 20 Prozent der Durchschnittseinkünfte auskommen müssen nach ihren Bedürfnissen und ermittelt so die "Einkommens- und Verbraucherstichprobe" (EVS). Diese ist Grundlage für die Berechnungen des Hartz IV-Regelsatzes der bundeszentrale für Arbeit und Soziales. Momentan liegt der Regelsatz bei 347 Euro. Die letzte EVS wurde 2003 durchgeführt.

Aus diesen prozentualen Werten lassen sich die genauen Euro-Werte ermitteln, die für die einzelnen Abteilungen wie Kleidung und Schuhe oder Bildung dem Arbeitslosengeld II Empfänger zur Verfügung stehen. Organisationen wie der Paritätische Wohlfahrtsverband oder wie hier die Hans-Böckler-Stiftung, eine Organisation des deutschen Gewerkschaftsbundes, veröffentlichen eigene Berechnungen.

Pia Röder