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Mietpreise in Deutschland Wohnungskonzerne enteignen? Warum das nicht die Lösung ist

Am Samstag sind in vielen Städten Menschen auf die Straße gegangen. Sie sorgen sich um ständig steigende Mietpreise. Wer kann sich das Wohnen in Städten bald noch leisten? Eine Initiative fordert die Enteignung privatwirtschaftlicher Wohnungsbaukonzerne. 

Zehntausende Menschen waren am Samstag auf der Straße. In Berlin, in München, in Hamburg, insgesamt in 19 deutschen Städten - und alle eint eine Sorge: Die Verdrängung aus den Städten, weil sich die Bewohner die Mieten nicht mehr leisten können. Die Mietpreise kennen seit Jahren nur eine Richtung: Steil nach oben. In Frankfurt und München werden heute schon Wahnsinnsmieten aufgerufen. Wer sich das nicht leisten kann, muss wegziehen. Das macht Angst. In Berlin blieb es nicht nur bei einer Demo, gleichzeitig startete ein bislang einmaliges Volksbegehren: Wohnungskonzerne, die mehr als 3000 Wohnungen halten, sollen enteignet werden.

Auf der Demo bekommen die Initiatoren starken Zuspruch. "Man sieht ja, was hier los ist", sagte eine Frau in einer lila Weste der Initiative des Volksbegehrens. "Die Menschen stehen hier Schlange und unterschreiben die ganze Zeit." Ein 50-Jähriger sagte nach seiner Unterschrift: "Wir müssen Druck machen auf die Politik. Die hat es ja probiert mit der Mietpreisbremse. Aber das hat ja nicht geklappt."

Berliner Wohnungsmarkt zieht Investoren an

In Berlin haben sich die Mieten zwischen 2011 und 2018 fast verdoppelt, die Hauptstadt gilt in der Immobilienwelt als lohnendes Investment. Denn die Stadt boomt und die Preise sind - verglichen mit anderen europäischen Metropolen - noch niedrig. Selbst der US-Starinvestor Warren Buffet ist in den Berliner Wohnungsmarkt eingestiegen. Dass er sich mit Mini-Renditen zugunsten von Mieterschutz einlassen wird, ist unwahrscheinlich.

Es ist die Gemengelage der deutschen Städte, die das Thema so komplex macht: Allein nach Berlin ziehen jedes Jahr Zehntausende Menschen. Die innenstadtnahen Lagen sind nachgefragt, also explodieren die Mieten. Aber nicht nur die Nachfrage ist hoch - sondern auch das Angebot gering. In Frankfurt, Deutschlands Finanzmetropole, liegt die Leerstandsquote bei 0,5 Prozent. "Die Tanzfläche ist voll", so Experten des Zentralen Immobilienausschusses (ZIA).

Enteignung als Mittel zum Zweck?

Den Berlinern ist diese Entwicklung genug, sie wollen den großen Wohnungsfirmen nun die Bestände abknöpfen. Enteignung ist ihre Lösung. Doch die hübsche Robin-Hood-Illusion - es den Reichen nehmen, um es den Armen zu geben - wird kaum funktionieren. 

Zum einen sind da die hohen Kosten. Bis zu 40 Milliarden Euro würde es die Stadt Berlin kosten, wenn sie die Konzerne enteignet. Damit würden rund 242.000 Wohnungen wieder in Berlins Bestand zurückfließen. Eine neue Wohnung gebaut wurde dann noch nicht. Und: Es wäre utopisch zu glauben, dass das ewig klamme Berlin diese Wohnungen für einen Mini-Mietpreis anbieten würde. Denn auch die kommunalen Wohnungsunternehmen langen inzwischen bei der Neuvermietung saftig zu. 

Enteignung ist "verfassungswidrig"

Zum anderen sind da Gesetze. Denn kommt der Volksentscheid durch, heißt das noch lange nicht, dass die Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. plötzlich ihre Bestände abgeben müssen. Vielmehr besagt es nur, dass sich der Berliner Senat mit dem Thema beschäftigen muss. Ein Blick ins Gesetzbuch zeigt, dass es mit einer Enteignung schwierig werden könnte. Denn als Grundlage der Enteignung zieht die Initiative den Artikel 15 des Grundgesetzes heran, der vorsieht, dass Eigentum vergesellschaftetet werden kann. Der gilt natürlich - doch praktisch wurde der Artikel noch nie angewendet, meint Jürgen Kühling, Professor für Immobilienrecht an der Universität Regensburg. Der Experte findet den Entwurf der Initiative zwar rechtlich nicht für völlig undenkbar, "aber im Ergebnis verfassungswidrig". Die Sozialisierung des Wohnungsmarktes dürfe nur die letzte Eskalationsstufe sein. Ob die Stadt Berlin dies im großen Stil auf sich laden will? Eher nicht.

Und ein weiterer Aspekt, der gerne aus dem liberalen Lagen angeführt wird: Nimmt man jetzt den Konzernen ihr Eigentum, verprellt man die private Wohnungswirtschaft. Doch deren Knowhow, aber vor allem deren Kohle brauchen die Städte, um neue Wohnungen zu bauen. 

Doch die Demos, das Volksbegehren sind dennoch wichtig. Denn politisch scheint bislang wenig unternommen worden zu sein, um die Wohnungswirtschaft in ihrer Gierigkeit zu stoppen. Ausgerechnet in der Prä-Demo-Phase veröffentlichte die Deutsche Wohnen ihre Zahlen aus dem Vorjahr und bejubelte einen operativen Gewinn von 480 Millionen Euro. 

Neubau ist die einzige Lösung

Die Fehler der Vergangenheit, nämlich der Ausverkauf des städtischen Tafelsilbers in Form von riesigen Wohnungsbeständen in der klammen Zeiten, werden sich nicht von heute auf morgen tilgen lassen. Was jetzt nur noch helfen kann, ist Neubau, Neubau, Neubau. Auch Nachverdichtung wäre denkbar. Dafür werden Deutschlands Städte auch die privaten Wohnungskonzerne brauchen. Allerdings sollte man ihnen das Feld nicht allein überlassen. Auch der Staat wird aktiv werden müssen, um den Mietern nicht irgendwann Londoner Mietverhältnisse zumuten zu müssen. Strengere staatliche Regulierung wäre eine Option, und das nicht nur für die Wohnungsfirmen, sondern schon für die Investoren. Die kommunalen Wohnungsbaufirmen wieder aktiver werden lassen, Baugenossenschaften fördern - das wäre auch eine Idee. Und sich politisch wieder einmischen, denn das Sich-selbst-Überlassen dieses Sektors ist gescheitert.

In kleinen Schritten passiert dies schon: Berlins Bürgermeister hat angekündigt, die ehemalig landeseigenen Wohnungen von Konzernen zurückzukaufen. Ein ärgerlicher Schritt, denn Berlin hatte diese Wohnungen zum Schnäppchenpreis verschleudert, als die Kassen besonders leer waren. Aber vielleicht auch ein lehrreicher Schritt für Städte und Kommunen, so nie wieder den Ausverkauf der Städte voranzutreiben. 

In Hamburg werden gerade Immobilienbesitzer enteignet, die sich nicht an die gesetzlichen Spielregeln halten wollen. So wurde ein Wohnungseigentümer von der Stadt enteignet, der vorsätzlich seine Wohnungen hat leer stehen lassen. Jüngst wurde ein ganzes Haus von der Stadt übernommen, weil der Besitzer sich nicht an die soziale Erhaltungsverordnung halten wollte. Also nutzte die Stadt ihr dadurch geltendes Vorkaufsrecht. Dabei ging es zwar nur um ein Haus mit 32 Wohnungen. Doch das Zeichen ist klar: Wer sich beim Thema Wohnen nur die Taschen vollmachen will, ist raus. 

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