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Wohnungsnot Presse zum Thema Enteignungen: "Die Initiative hat Wucht und trifft einen Nerv"

Blick über die Hochhäuser der Gropiusstadt im Süden von Berlin
Blick über die Hochhäuser der Gropiusstadt im Süden von Berlin: Mit Einteignungen will ein Volksbegehren in der Hauptstadt gegen Wohnkonzerne vorgehen
© Britta Pedersen / DPA
Wohnraum ist knapp und wird immer teurer. Ein Volksbegehren in Berlin fordert die Enteignung von Wohnungskonzernen und hat damit eine scharfe Debatte entfacht. So kommentiert die Presse den Streit über Enteignungen.

Das Berliner Volksbegehren über die Enteignung großer Wohnungsunternehmen hat eine heftige Debatte über eine solche Maßnahme ausgelöst. Kaum hatte die Sammlung von Unterschriften am Wochenende begonnen, fuhren die Gegner schwere Geschütze auf. Von "sozialistischen Ideen", sprach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). "Schwachsinnige Debatte von vorgestern" polterte sein Bauminister Hans Reichhart (CSU).

SPD-Bundesvize Ralf Stegner hält im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland dagegen: "Es gibt teilweise halbkriminelles Verhalten, bei dem die Not der Mieter ausgenutzt wird. In diesen Fällen muss der Staat Handlungsfähigkeit beweisen". Und auch Grünenchef Robert Habeck ist für Enteignungen zum Allgemeinwohl gemäß Grundgesetz als letztes Mittel. "Es wäre doch absurd, wenn wir das nur anwenden, um neue Autobahnen zu bauen, aber nicht, um gegen die grassierende Wohnungsnot vorzugehen."

Und so kommentiert die Presse Enteignungen

"Mittelbayerische Zeitung"

"Berlin ist radikaler als der Rest der Republik - das zeigt die Initiative für ein Volksbegehren, die am Wochenende in der Hauptstadt ihren Anfang nahm. Die Aktion will große Wohnungskonzerne im Besitz von mehr als 3000 Wohnungen enteignen. Die Aufregung reicht weit über Berlin hinaus. Zieht der Sozialismus ein? Die Frage sei gleich vorweg beantwortet: Nein, so weit wird es kaum kommen. Trotzdem hat die Initiative Wucht und trifft einen Nerv."

Blick über die Hochhäuser der Gropiusstadt im Süden von Berlin
Blick über die Hochhäuser der Gropiusstadt im Süden von Berlin: Mit Einteignungen will ein Volksbegehren in der Hauptstadt gegen Wohnkonzerne vorgehen
© Britta Pedersen / DPA

"Badische Neueste Nachrichten"

Wo Investoren die Preise in die Höhe treiben und Besitzer ihre freie Wohnungen nicht vermieten, scheint der Ruf nach Enteignungen nur logisch. Es ist aber der falsche Ansatz. Welches Zeichen setzt man damit für Eigentümer, welches für Menschen, die künftig Wohnraum anbieten wollen und es gut meinen? Es braucht Alternativen zur Enteignung - ein ganzes Paket, nicht die eine Lösung. Wer jedoch jede denkbare freie Fläche verbaut, darf sich in einigen Jahren nicht am verheerenden Landschaftsbild stören. Die Politik sollte sich lieber auf andere Instrumente fokussieren. Das Baukindergeld oder die Mietpreisbremse sind gut gemeint, funktionieren aber noch lange nicht wie gewünscht. Der soziale Wohnungsbau müsste deutlich stärker gefördert werden. Auch wenn das Grundgesetz Enteignungen ermöglicht: Gespräche, Anreize und ein deutlich erhöhter Wille der Politik sind in diesem Fall der bessere Weg.

"Nürnberger Nachrichten"

"Viele Vorschläge, die Grünen-Chef Robert Habeck zur Bekämpfung der Wohnungsnot gemacht hat, sind durchaus sinnvoll - einer aber ist brandgefährlich: Eine Partei, die der nächsten Regierung angehören könnte, hält Enteignungen in großem Stil für ein probates Mittel der Politik. Damit kommt man in der Öffentlichkeit vielleicht gut an, bewirkt aber unter Umständen Schlechtes. Dringend benötigte Investitionen würden ins Stocken geraten, wenn sich Unternehmen künftig nicht mehr sicher sein können, ob und wann ihnen ihr Eigentum vom Staat wieder abgenommen wird."

»"Hannoversche Allgemeine Zeitung"

Werden einzelne Großvermieter enteignet, können zwar die betroffenen Mieter entlastet werden. Doch für die Wohnungssuchenden steht keine einzige Bleibe mehr zur Verfügung. Im Gegenteil: Die enteigneten Konzerne müssen schließlich entschädigt werden. Schätzungen gehen davon aus, dass das die Steuerzahler bis zu 36 Milliarden Euro kosten würde - Geld, das dann für den sozialen Wohnungsbau fehlen würde. Mit diesen Mitteln ließen sich Zehntausende Sozialwohnungen bezahlen.

"Rhein-Zeitung"

Natürlich muss die Politik in der sozialen Marktwirtschaft mit Wohngeld und mit Stopp von Auswüchsen eingreifen. Wo sich Vermieter mit fragwürdigen Methoden bereichern, sind Staatsanwalt und Gesetzgeber gefragt. Aber nicht mehr Planwirtschaft führt zur Problemlösung. Experimente mit Enteignungen machen das Problem am Ende nur größer.

"Wiesbadener Kurier"

Sinnvoller als Enteignungsträume wäre ein Bündel von sozialen Auflagen für Investoren und steuerlichen Anreizen für Neubauten. Die Unterstützung von gemeinnützigen Baugesellschaften wäre ebenso notwendig wie die Infrastrukturförderung und bessere Verkehrsanbindung ländlicher Räume. Denn dort gibt es die bezahlbaren Wohnungen, die in den Städten fehlen.

"Reutlinger General-Anzeiger"

Politik wie auch Wirtschaft sollten mit Investitionen die ländlichen Räume stärken, damit Wohnen und Arbeiten dort attraktiver wird. All diese Maßnahmen dauern länger als Enteignungen, bis sie Wirkung zeigen. Sie tragen dann aber nicht nur zur Lösung der Wohnungsnot bei: Wohnen und arbeiten mehr Menschen in ländlichen Regionen, hilft das auch den vom Verkehrsinfarkt bedrohten Innenstädten.

"Mitteldeutsche Zeitung"

Ein derart rabiater Zugriff auf das vom Grundgesetz besonders geschützte Eigentum bedarf einer umfassenden Begründung. Hier kommt es vor allem auf die Frage an, ob durch eine Verstaatlichung die Missstände tatsächlich behoben werden können. Das muss aber stark bezweifelt werden. Die Initiative ist dennoch wichtig und richtig. Sie fördert eine breite gesellschaftliche Debatte und zwingt die Politik dazu, endlich nach gangbaren Wegen zu suchen, die Wohnungsmisere zu lösen. Dazu gehört neben dem Bau von Sozialwohnungen eine Mietpreisbremse, die den Namen auch verdient.

"Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung"

Es ist ein Irrtum anzunehmen, mit Enteignungen die Lage verbessern zu können. Selbst wenn Berlin 242.000 Wohnungen zurückkaufen würde, wäre dadurch nicht eine einzige Wohnung zusätzlich gebaut. Investoren, ohne die die Wohnungsnot sich nicht lindern lässt, würden verprellt. Und die Mieten würden nicht unbedingt sinken: Auch kommunale Vermieter haben in den vergangenen Jahren kräftig zugelangt.

"Frankfurter Allgemeine"

Aufgeregte Zeiten führen zu aufgeregter Politik. Auch Grünen-Chef Robert Habeck ist jetzt für Enteignungen, die SPD möchte eine Mietobergrenze einführen, am besten gleich für fünf Jahre. Das alles kommt bei den Wählern gut an. Das Wohnungsproblem lösen wird es nicht. Es mag ermüdend klingen, aber nur der Bau neuer Wohnungen kann den Preisauftrieb durchbrechen. Doch wann immer es darum geht, eine Grünfläche zu bebauen - Berlin hätte da sogar eine ziemlich große, das alte Tempelhofer Flugfeld -, verstummen alle. Längst geht es um eine Grundsatzfrage: Wem gehört die Stadt? Eine Politik, die sich nur den Interessen der Alteingesessenen verpflichtet fühlt, mag kurzfristig erfolgreich sein. Langfristig aber gefährdet sie das, was die Städte überhaupt erst zu solchen Anziehungspunkten gemacht hat: ihr steter Wandel.

Wohnungen in Wolfsburg werden trotz akuten Mangels abgerissen

"Die Welt"

Nicht nur das Wort "Enteignung" ist in aller Munde, so als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, obwohl es das Dümmste und Veranwortungsloseste überhaupt ist. Auch Begriffe wie Mietpreisbremse und Mietendeckel werden herumgereicht wie warmes Brot. Allesamt Negativbegriffe, Kampfbegriffe. Geht es wirklich um Lösungen, Innovation und Fairness? Der Boden des Unfriedens ist also auch hier beackert. Die Gesellschaft schiebt alle Schuld auf die Unternehmer, statt sie auch bei sich oder der Politik zu suchen. Man will energetisch sanierte und altersgerechte Wohnungen, die aber nicht viel kosten sollen. Und in der Nachbarschaft bitte bloß keine Verdichtung! Man kann auch in den Markt eingreifen, ohne ihn zu zerstören. Unternehmer wollen hohe Margen, sie sind aber auch bereit, sich an sicheren Vorgaben zu orientieren. Die Baubranche ist ähnlich ausgelastet wie Anfang der 2000 Jahre. Damals wurden aber jährlich 100.000 Wohnungen mehr gebaut. Warum das heute nicht geht, das soll uns doch bitte mal die Politik erklären.

"Münchner Merkur"

Haben wir richtig gehört? 30 Jahre nach dem Untergang der DDR ruft der Chef der Grünen wieder nach Enteignungen großer Wohnungskonzerne in Deutschland. Diesmal ist es nicht irgendein verirrter Berliner Provinzpolitiker, der sich da mit einer radikalen Parole Gehör zu verschaffen sucht. Sondern der Vorsitzende der laut Umfragen zweitgrößten deutschen Partei. Dass die Wohnungsnot andere Antworten braucht als den Griff in die Mottenkiste des Sozialismus, müssten eigentlich auch die Grünen wissen, die sich viel auf ihren hohen Bildungsgrad einbilden. Aber darum geht es in Wahrheit gar nicht: Für Teile der Linken ist die Wohnungsnot das, was die Asylpolitik für die AfD ist - ein fruchtbarer Acker, um mit populistischen Parolen die gesellschaftliche Spaltung zum eigenen Vorteil zu vertiefen.

mad AFP DPA

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