Hohe Nachfrage, weniger Neubauten Wohnungsmarkt in der Krise – Studie bringt erneut Enteignungen ins Spiel

Wohnungsmarkt: Wohnungen im Bau in Stuttgart
Der Mieterbund sieht den deutschen Wohnungsmarkt in der größten Krise seit 30 Jahren (Symbolbild)
© Sebastian Gollnow / DPA
Der Wohnungsmarkt in Deutschland steckt laut Mieterbund in der größten Krise seit 30 Jahren. Zum Ende des Jahres fehlten 700.000 Wohnungen. Eine hohe Nachfrage mischt sich mit weniger Bauvorhaben. Nun bringt eine Studie erneut Enteignungen von Wohnungskonzernen ins Spiel.

Der deutsche Wohnungsmarkt erlebt die größte Krise seit 30 Jahren. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Hannoveraner Pestel-Instituts und des schleswig-holsteinischen Instituts Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen Kiel (Arge), die unter anderem der Funke Mediengruppe vorliegt. Demnach habe es zum Ende des Jahres an 700.000 Wohnungen gefehlt. Die dramatische Lage war zum Teil nicht vorhersehbar – zum anderen ist sie aber auch hausgemacht. Und in den kommenden Jahren könnte sich die Situation noch weiter zuspitzen.

Wohnungsmarkt in Deutschland in "dramatischer Lage" – Weniger Neubauten könnten Situation noch verschärfen

Schon seit Jahren übersteigt die Nachfrage insbesondere nach günstigen Wohnungen deutlich das Angebot. Dies gilt vor allem in Ballungsgebieten und in und um große Städte. Im Jahr 2022 kam noch ein Faktor hinzu, der die Lage noch weiter verschärfte: Der Zuzug von Menschen aus der Ukraine, die vor Russlands Angriffskrieg flohen, belastete den ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt in Deutschland. 

Der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, prognostiziert schon jetzt ein "sehr hartes Jahr für Mieterinnen und Mieter", wie die Funke Mediengruppe berichtet. So laut wie derzeit hätten die Alarmglocken des Wohnungsmangels schon lange nicht mehr geschrillt, erklärte Siebenkotten weiter. Vor allem bei geförderten, bezahlbaren Wohnungen erwartet er einen heftigen Einbruch. 

Dies prognostizieren Experten schon seit einigen Jahren. Mahnungen von Initiativen oder Interessenvertretungen, die Regierung müsse mehr Mittel in den sozialen Wohnungsbau stecken, verhallten regelmäßig. Auch in diesem Jahr warnt die Baugewerkschaft IG BAU vor Verwerfungen auf dem Immobilienmarkt. Hierzu passt, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz bereits eingeräumt hat, dass die Bundesregierung ihr Ziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr verfehlen wird. 

Explodierende Kosten, hohe Zinsen, Inflation: Auch Privatleute bauen weniger

Aber nicht nur der staatlich organisierte Wohnungsbau stockt. Durch explodierende Baukosten, stark gestiegene Zinsen und die hohe Inflation können sich viele Privatleute es schlichtweg nicht mehr leisten, zu bauen. Auch sie drücken weiter auf den Wohnungsmarkt. Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG BAU, sieht im Zusammenhang mit dem Wohnungsmangel aber auch eine Gefahr für die Fachkräftepläne der Bundesregierung. 

Ende 2021 erklärte die Regierung, Deutschland brauche 400.000 Migranten pro Jahr, um den Fachkräftemangel aufzufangen. Auch für diese Menschen sei die Lage auf der Wohnungsmarkt entscheidend, erklärte Schaum: "Wohnen und Arbeiten - das gehört zusammen. Keiner wird kommen, wenn er hier nicht oder nur zu horrend hohen Mieten wohnen kann." Der Wohnungsbau sei ein wesentlicher Schlüssel für die Beschäftigungssituation und somit für das Funktionieren der Wirtschaft. 

Auch Siebenkotten erneuert seien Appell an die Bundesregierung, dem Problem des Wohnungsmangel mehr Raum zu geben. Bund und Länder müssten das Ruder jetzt herumreißen. "Oder wir erleben ein ungeahntes Desaster auf dem Wohnungsmarkt."

Letzter Ausweg Enteignungen? Laut Studie könnten Mieten von 200.000 Haushalten allein in Berlin sinken

Ein Defizit von 700.000 Wohnungen bedeutet, dass schon jetzt so viele Wohnungen fehlen, wie in zwei Jahren gebaut werden könnten. Wenn überhaupt ist das Problem also nur langfristig zu lösen. Welche kurz- oder mittelfristigen Möglichkeiten bieten sich aber an, um den Wohnungsmarkt schnell zu stabilisieren und die Mieten zu senken? 

Die Rosa Luxemburg-Stiftung, die parteinahe Stiftung der Linken, bringt mit einer Kurzstudie erneut das Thema Enteignungen beziehungsweise Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen ins Spiel. Die Studie ist auf Berlin bezogen. 

Demnach würde eine Enteignung von Konzernen, die jeweils mehr als 3000 Wohnungen besitzen, zu einer Mietsenkungen von knapp 16 Prozent führen. Das wären im Durchschnitt zwischen 44 und 160 Euro pro Monat, je nach Größe und Lage der Wohnungen. Voraussetzung wäre eine Anpassung der Mieten an den Mietspiegel der landeseigenen Wohnungsunternehmen. 

Verfassungsrechtler Ulrich Battis sah schon 2021 keine Chance für Enteignung von Wohnungskonzernen

Zudem betonen die Autoren der Studie, dass Wohnungssuchende mit mittlerem oder geringen Einkommen höhere Chancen auf dem Wohnungsmarkt hätten und so der sozialräumlichen Spaltung entgegengewirkt werden könnte.

So sinnvoll die Enteignung von Wohnungskonzernen also scheint, so unwahrscheinlich ist sie auch, erklärte der Verfassungsrechtler Ulrich Battis bereits im September 2021 gegenüber dem stern.

Demnach sei es theoretisch möglich, über das Gesetz zur "Sozialisierung" in Artikel 15 des Grundgesetzes Konzerne zu vergesellschaften. Battis gibt aber zu bedenken, dass auch in einem solchen Fall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gelte. Zudem verstieße es gegen die Kapitalmarktfreiheit – eine der Grundfreiheiten der EU, so Battis. 

Quellen: Rosa Luxemburg-Stiftung, Deutsche Welle, mit Material von DPA

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