Nach der positiven Überraschung im Vormonat werden die Erwartungen für den deutschen Arbeitsmarkt jetzt wieder gedämpft: Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juli saisonal bedingt um 94.500 auf 4.352.000 gestiegen. Das waren 305.000 mehr als vor einem Jahr, gab die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bekannt.
Der Ferienmonat Juli sorge traditionell für einen Auftrieb bei den Arbeitslosenzahlen, gab Gerster zu bedenken. So meldeten sich im Juli regelmäßig viele Jugendliche nach Abschluss ihrer schulischen oder betrieblichen Ausbildung arbeitslos, ergänzte Vorstandsmitglied Frank-Jürgen Weise. In diesem Jahr habe ihre Zahl im Vergleich zum Juni um 29 Prozent auf 130.500 zugenommen. Aber auch erfahrene Arbeitskräfte litten zunehmend unter dem anhaltenden Beschäftigungsabbau. Hier seien die Arbeitslosenmeldungen um 17 Prozent auf 246.900 gestiegen. Für die Arbeitslosenquote bedeutet das einen Anstieg auf 10,4 Prozent. Damit liegt die Quote wieder beim Mai-Wert, die 10,2 Prozent vom Juni waren nur ein kurzer Glücksmoment. In Westdeutschland zählten die Arbeitsämter 2,734 Millionen Stellenlose. Die Quote lag dort nun bei 8,3 Prozent. In Ostdeutschland waren 1,617 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz. Die Quote beträgt dort 18,5 Prozent.
Besserung lässt auf sich warten
Und auch saisonbereinigt sehen die Zahlen nicht besser aus: der Juli brachte eine Steigerung. Im Vergleich zum Vormonat nahm die um jahreszeitliche Einflüsse bereinigte Erwerbslosenzahl um 7000 auf 4,408 Millionen zu, so die Bundesanstalt für Arbeit. Im Westen stieg sie um 8000, im Osten sank sie um 1000. Die Steigerung kam unerwartet, nachdem im letzten Monat saisonbereinigt ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen um 33.000 erfolgt war.
Als Hinweise auf die unverändert dramatische Lage auf dem Stellenmarkt werteten Fachleute die Trendumkehr bei den saisonbereinigten Zahlen: Nach zwei Monaten rückläufiger Entwicklung seien die um jahreszeitliche Einflüsse bereinigten Zahlen im Juli erstmals wieder gestiegen. Gerster sagte, dies sei dennoch "vergleichsweise günstig". Ohne die jüngsten Reformgesetze wäre die Entwicklung wahrscheinlich wesentlich schlechter.
Florian Gerster, Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt, sagte, die grundlegende Besserung auf dem Arbeitsmarkt lasse weiter auf sich warten. Die gesamtwirtschaftliche Schwäche belaste den Arbeitsmarkt. Doch er wollte auch Hoffnung säen - die verstärkten Bemühungen zur Aktivierung von Arbeitslosen und die Reformgesetze seien dennoch zunehmend spürbar.
Keine Korrektur der Finanzplanung nötig
BA-Finanzvorstand Weise sieht trotz der unverändert schwierigen Lage keinen Anlass für eine Korrektur seiner Finanzplanung. Er gehe für 2003 unverändert von einem Bundeszuschuss von 6,5 bis 7,5 Milliarden Euro zum BA-Haushalt aus. Angaben der rot-grünen Bundesregierung von einem angeblichen Zuschussbedarf in Höhe von 10 Milliarden Euro halte er für zu hoch, sagte er der dpa. Zum Ende Juli hatte im Haushalt der Nürnberger Bundesanstalt nach seinen Angaben eine Finanzlücke von 4,87 Milliarden Euro geklafft.
Medienberichte, wonach die Bundesanstalt im Zuge der geplanten Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe einen zusätzlichen Personalbedarf von 30.000 Vollzeit-Mitarbeitern angemeldet habe, dementierte Gerster. In dem entsprechenden Gesetzentwurf seien zur Bewältigung zusätzlicher Aufgaben lediglich 11.800 Stellen vorgesehen. "Ich habe allerdings den Ehrgeiz, diese Zahl zu unterschreiten", sagte Gerster.
IWH:"Vieles nur Flickschusterei"
Nach Ansicht des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) gehen Arbeitsmarkt-Reformvorhaben der Bundesregierung am Kern der Probleme vorbei. "Vieles ist nur Flickschusterei. Wenn die Vorschläge endlich auf dem Tisch liegen, wird sofort lauthals über die Reform zur Reform nachgedacht", sagte IWH-Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher in einem dpa-Gespräch.
Das Grundproblem sei, dass es in Deutschland ein unzureichendes Angebot an Arbeitsstellen gebe, die besetzt werden könnten. In Ostdeutschland ist die Situation angesichts gravierender wirtschaftlicher Strukturprobleme nach Buschers Auffassung "besonders delikat". "Ich kann einem Langzeitarbeitslosen in einem Dorf weit hinten in Mecklenburg-Vorpommern nicht sagen, er müsse jetzt jede Arbeit annehmen, wenn es für ihn gar keine gibt", sagte Buscher. Zum anderen könne die Bundesregierung nicht den Bau von Eigenheimen fördern, im gleichen Atemzuge generell von jedem mehr Mobilität bei der Wahl des Arbeitsortes fordern. "Das passt nicht zusammen", sagte Buscher.
Ohne langfristiges Wirtschaftswachstum geht es nicht
Um angesichts von rund 4,5 Millionen Arbeitslosen die gravierenden Arbeitsmarktprobleme verlässlich in den Griff zu bekommen, "brauchen wir in Deutschland Bedingungen für ein langfristiges Wirtschaftswachstum wie es uns zum Beispiel die USA vormachen" sagte er. Dazu gehöre es, den Standort Deutschland für ausländische Investoren interessanter zu machen. Investitionen in Sachkapital müssten sich für Unternehmer wieder lohen. "So lange er an der Börse bei Aktien höhere Renditen bekommt, wird er nicht weiter in seine Firma investieren", sagte Buscher.
Verbesserte Steuergesetzgebung
Dies sei eine wesentliche Ursache für zu wenig Arbeitsplätze in Deutschland. Eine einfache Steuergesetzgebung, "die auch morgen noch Bestand hat", sei ebenso wichtig wie ein Abbau an bürokratischen Hemmnissen, beispielsweise bei Baugenehmigungen. "Wir brauchen eine in sich konsequente staatliche Steuerpolitik zu Gunsten der Unternehmen und der Kommunen, dann wären unabhängig von der Konjunkturlage 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze in Deutschland drin", sagte Buscher.
Für die Kommunen, die auch die größten öffentlichen Auftraggeber für Handwerk und Mittelstand seien, sei es überlebenswichtig, "konjunkturunabhängige verlässliche Steuereinnahmen" zu haben. "Einmalige Zuwendungen vom Bund nützen ihnen gar nichts, sie brauchen dauerhafte, solide, verlässliche Einnahmen", sagte Buscher mit Blick auf die jüngsten Reformvorschläge zu den Kommunalfinanzen.
Welle der Kritik aus den Oppositionsbänken
Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahl sah sich die rot-grüne Bundesregierung am Mittwoch erneut einer Welle der Kritik aus den Reihen der Oppositionsparteien gegenüber. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer machte die Bundesregierung für die schwierige Lage verantwortlich. «Bundeskanzler Schröder und seine Chaostruppe sind die größtmögliche psychologische Blockade für Investitionen und Arbeitsplätze in diesem Land», sagte der CDU-Politiker.