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F. Behrendt: Der Guru der Gelassenheit Ein Abgesang auf 18 Jahre mit Dieter Bohlen

Damals, 2002: Dieter Bohlen und seine Mit-Juroren Shona Fraser und Thomas Bug kündigen ein neues TV-Format an - DSDS ist geboren
Damals, 2002: Dieter Bohlen und seine Mit-Juroren Shona Fraser und Thomas Bug kündigen ein neues TV-Format an - DSDS ist geboren
© Horst Galuschka / Picture Alliance
Vor 18 Jahren haben meine Frau und ich uns kennengelernt. Damals lief die allererste Staffel "Deutschland sucht den Superstar" mit Dieter Bohlen und wir waren immer dabei. Jetzt rollt der Pop-Titan bei RTL auf das Abstellgleis und auch wenn es dafür viele gute Gründe geben mag, fehlen wird uns der Typ aus Tötensen dennoch.

Damals, an Samstagen im Frühjahr 2003, da zelebrierten wir ab 20.15 Uhr gemeinsam mit meiner kleinen Tochter Emily "gemütliche Abende". Zuvor wurde im Supermarkt die passende Ausstattung erworben: Paprika-Chips, Erdnuss-Flips, Limo, Eis von Langnese. Alles aus der Abteilung Hüftgold. Egal. Bei RTL liefen die Motto-Shows mit den verbliebenen zehn KandidatInnen, die zuvor von der Jury im Rahmen der Castings herausgefiltert wurden.

Die Dame und die drei Herren hatten Ahnung von Musik. Thomas M. Stein war sogar ein waschechter Plattenboss, er war beim Label BMG-Ariola unter anderem auch für den Erfolg des Pop-Duos "Modern Talking" mit Dieter Bohlen und seinem langmähnigen Mitstreiter Thomas Anders verantwortlich. Dazu kamen der Radiomoderator Thomas Bug und die Musikjournalistin Shona Fraser. 

Frank Behrendt: Der Guru der Gelassenheit

Frank Behrendt (58) gehört zu den bekanntesten Kommunikationsberatern Deutschlands. Der Absolvent der Deutschen Journalistenschule war Top-Manager in der Musikindustrie, beim Fernsehen und in großen Agenturen. Sein Buch "Liebe dein Leben und NICHT deinen Job" avancierte direkt nach Veröffentlichung zum Wirtschafts-Bestseller. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft zeichnete den Mann, der immer gute Laune hat, als "PR-Kopf des Jahres" aus. Weitere Infos: www.frankzdeluxe.de Direkter Dialog: frankzdeluxe@gmail.com

Wir fieberten unter anderem mit Juliette Schoppmann, die sich spannende Duelle mit dem späteren Sieger Alexander Klaws lieferte. Der glänzte später als erfolgreicher Musical-Darsteller, unter anderem bei "Tarzan". Meine Familie und ich erlebten ihn 2019 als Winnetou bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg. Unsere beiden jüngeren Kinder waren noch gar nicht geboren, als der smarte Bursche 2003 als erster Superstar die Herzen im Sturm eroberte und für Top-Einschaltquoten sorgte. Die Finalshow der ersten deutschen Staffel erreichte Spitzenwerte bis zu 15,01 Millionen ZuschauerInnen. Die TV-Bosse rieben sich die Hände, Dieter Bohlen hatte nach der Pop-Bühne im TV eine neue Heimat gefunden. 

Kindergeburtstag mit "We have a Dream"

Die älteren werden sich zudem erinnern, dass in diesen Zeiten noch jede Menge CDs über die Ladentheken gingen. Alexander Klaws und der leider schon verstorbene Spaßmacher Daniel Küblböck standen im ersten Staffeljahr nacheinander auf Platz 1 der deutschen Charts. Ein Kassenschlager war auch die von allen FinalistInnen eingesungene Single "We have a Dream". Weil meine Frau und ich den Song dauernd im Ohr hatten, feierten wir damals sogar den zehnten Geburtstag meiner Tochter unter dem Motto: "Emily und die Birthday-Stars". Ein Tonstudio in Köln wurde angemietet und zehn glückliche kleine Mädchen wurden am Nachmittag von zwei professionellen Vocal-Coaches trainiert. Am Ende nahmen sie den DSDS-Song auf, jede ging stolz mit einer frisch gepressten Silberscheibe nach Hause. 

Wenn wir uns das Werk heute anhören, kommen wir aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. "Echt MEGA", hätte der Pop-Titan gesagt. Aktuell sagt er eher weniger, zumindest zu seinem vom Sender beschlossenen Aus. Den Mann, der gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Carina auf Instagram fortlaufend für gute Laune sorgt, hat das Ende "seiner" Show mit Sicherheit tief getroffen. Natürlich polarisiert er, natürlich hat er mit seinen Sprüchen oft überzogen, natürlich war er nicht immer gerecht und natürlich hat er auch mal genervt. 

Aber seien wir ehrlich: Hat nicht genau das auch zum Gesamtpaket dazugehört? Hätten Millionen - hätte ich - 18 Jahre lang zugeschaut, wenn vier hochanständige Juroren in gewählten Worten über die musikalischen Fähigkeiten von lauter echten Gesangstalenten geurteilt hätten? Ich glaube nicht. Das Empörungspotenzial gehörte und gehört dazu, so wie strittige Entscheidungen im Fußballzirkus.  

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Politisch unkorrekt sind auch andere

Daher ist es aus meiner Sicht zu einfach, Dieter Bohlen jetzt vorzuwerfen, seine Art wäre nicht mehr zeitgemäß. Klar, das Format bedarf der einen oder anderen Renovierung, vielleicht ist die Show in dieser Form auch irgendwann mal durch. Ein früherer Straßenfeger wie Wetten dass??? wurde auch nicht wiederbelebt, ganz egal, wen man als Zauberer nach Thomas Gottschalk auf die Bühne geschickt hatte. "Alles hat seine Zeit", pflegte meine Oma immer zu sagen, wenn Karrieren von zuvor gefeierten Stars im Sande verliefen oder Serien abgesetzt wurden.

Wir sollten ehrlich sein und nicht so tun, als ob die aktuelle Medienwelt eine bessere geworden ist. Moderne Quoten-Gladiatoren wie etwa Joko und Klaas überschreiten regelmäßig Grenzen, auch die des guten Geschmacks. Mit politisch korrekten Schlagertexten kriegt man zudem heute junge Leute auch nicht mehr zum Sales-Klick auf dem Smartphone. Die Rap-Heroen des Streamings hauen Zeilen raus, da verschlägt es Eltern schon mal die gepflegte deutsche Sprache im Jugendzimmer. Ob das eine nicht aufzuhaltende Entwicklung ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Fakt ist, dass Geschmäcker verschieden waren, sind und bleiben. 

Wir sitzen aktuell noch gemeinsam mit unseren Kindern am Samstagabend vor DSDS und erleben Zirkusdirektor Bohlen auf seiner Abschiedstour. Zu knabbern gibt es immer noch was, allerdings ist die Auswahl deutlich gesünder als damals. Als wir bei den Castings erstmals den schreienden Shada Ali erlebten, waren wir uns alle einig, dass der bestimmt vieles kann, aber sicherlich nicht singen.

Anyway, es ist immer noch unterhaltsam, dem "verrückt gewordenen Bohlen", wie einer auf Facebook schrieb, auch mal kopfschüttelnd zuzuhören, wie er seine Urteile fällt. Was immer nun genau der Grund gewesen sein mag, der zum Bruch der Beziehung zwischen Bohlen und RTL geführt hat: Wir sagen "Danke Dieter", für viele witzige Abende, die du uns bereitet hast. Du gehörtest irgendwie zu unserem Leben und wenn wir künftig ein weiteres Jahr unserer glücklichen Ehe feiern, trinken wir auch einen auf dich mit. Prost!

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