Eigentlich ist bei Herrn P.* gar nichts los. Herr P. ist 49 Jahre alt, hat eine Frau und einen Sohn. Seit sieben Jahren ist er als Angestellter für einen großen renommierten Herrenausstatter tätig. Sein Vorgesetzter hatte gerade erst versichert, dass es trotz Einschränkungen durch Corona keinen Grund zur Sorge gäbe, die Eigentümer hätten noch Reserven, die Arbeitsplätze seien vorerst sicher.
Und dennoch – in unseren ersten zehn Minuten sprudelt es nur so aus Herrn P. heraus: Die Ware lässt sich kaum verkaufen, der Umsatz ist massiv eingebrochen und sogar auf politischer Ebene gebe es doch keine klare Linie, geschweige denn ein planbares Ende. Das macht Herrn P. solche Angst, dass er nicht mehr richtig schlafen kann. Er ist zu Hause dünnhäutig geworden und, wenn er überhaupt zur Arbeit gehen darf, unkonzentriert.
Es quält ihn eine innere Unruhe und das ständige Gedankenkreisen um einen eventuellen Arbeitsplatzverlust. Er will seinen Job doch unbedingt behalten! Er ist dort absolut zufrieden, es bringt ihm finanzielle Absicherung. Er hat geregelte Arbeitszeiten, geregeltes Geld und auch ein geregeltes Privatleben. Außerdem gibt es keine Jobs wie seinen mehr auf dem Arbeitsmarkt, schon gar nicht in seinem Alter.

Wie umgehen mit der Angst?
Ich bleibe dran und möchte wissen, wovor er genau Angst hat? Nicht mehr für sich und seine Familie sorgen zu können. An seine kleinen Ersparnisse fürs Alter ran zu müssen – oder wie sein Freund genötigt zu sein, die Lebensversicherung aufzulösen. Den Halt zu verlieren. Herr P. sinkt immer weiter in seinem Sessel ein. Dabei wird deutlich, wie wenig Sicherheit er gerade im Außen findet. Das Ziel für unsere Sitzung ist damit klar: Sicherheit aus sich selbst heraus wiederzufinden, damit Herr P. ohne lähmende Angst weiter konzentriert seinen Job machen kann.
Dazu gilt es erstmal, diese Angst zu würdigen: Angst will uns absichern. Angst ist so gesehen gut. Sie ist nur dann nicht mehr gut, wenn sie beginnt, uns zu lähmen. Und sie beginnt, uns zu lähmen, wenn andere hilfreiche Gefühle wie Vertrauen, Mut und Hoffnung verstummen. Herr P. hat viel erlebt und so lässt eine diffuse existenzielle Angst ihn sogar ohne konkreten Anlass unsicher zurück. Das Gefühl der Angst braucht Sicherheit durch Wissen. Dann zeigen sich in der Regel auch andere positive Gefühle wieder. Deswegen erarbeite ich mit Herrn P. ein inneres Gefühl der Sicherheit und mache einen Realitätscheck: Im Außen droht augenscheinlich aktuell trotz Corona keine reelle Gefahr. Er hätte allen Grund für Dankbarkeit, Hoffnung und Zuversicht. Herr P. bestätigt vorsichtig.
Daraufhin notiert Herr P. all seine Qualifikationen, die er in seinem Leben erworben hat. Da kommt doch einiges zusammen: Herr P. ist ausgebildeter Fachverkäufer, hat ein Knigge-Buch im Selbstverlag herausgebracht und spricht fließend deutsch, französisch und englisch. Ein BWL-Studium hatte er nach dem Grundstudium abgebrochen. Dazwischen viele Zeiten der Selbstfindung, wie wir seine Lücken im Lebenslauf nennen. Aber auch hier habe er viel gelernt, zum Beispiel über seine eigenen Grenzen.
Zwischendurch frage ich immer wieder Mut, Vertrauen und Hoffnung ab: Was meinen diese Anteile zu dem Gesagten? Zu Herrn P.s Überraschung sind die Antworten jedes Mal grundverschieden. Sein Vertrauen sagt ihm, dass er seinem Vorgesetzten glauben darf. Seine Hoffnung sagt, dass mit den Impfungen und dem Frühling der schlimmste Teil der großen Krise vorbei sein wird. Und sein Mut? Der wird ganz rebellisch und sagt: Wenn es so kommen sollte wie er befürchtet und er seinen Arbeitsplatz verliert, dann macht er eben was anderes! Das habe er schon oft genug im Leben bewiesen. Interessant…
Dann möchte ich sechs Dinge wissen, die Herr P. schon immer gerne getan hat. Auch hier ist er von sich selbst überrascht: Er hat schon als Kind gerne zugearbeitet, war lieber in der zweiten als in der ersten Reihe. Er hat immer gerne mit den Händen etwas erschaffen, da sieht man so schön den Erfolg, meint Herr P. Besonders gern hat er immer mit Stoffen gearbeitet, schon als Kind habe er mit verschiedenen Dekoren seine Kinderzimmerwand verziert. Er ist gerne für sich und tut die Dinge in seinem Tempo. Wie das zusammenpasst mit seiner Arbeit, möchte ich wissen? Er könne innerhalb seiner Schichten seine Arbeit in seinem Tempo erledigen, gleichzeitig mag er aber auch die Struktur, die ihm das Angestelltendasein gibt. Und der Kontakt zu seinen Kunden, zu Menschen insgesamt, tue ihm immer gut. So machen wir weiter.
Die restliche Zeit lasse ich mir von Herrn P. von seinen überwundenen Krisen erzählen und welche tollen Ressourcen und Fähigkeiten ihm diesen Erfolg ermöglicht haben. Herr P. sitzt im Laufe der Zeit immer aufrechter, seine Augen leuchten – das ist selbst über den Bildschirm in unserer Online-Beratung deutlich zu erkennen. Und immer wieder muss Herr P. lachen, so überrascht ist er von sich selbst.
Wir verabreden uns dennoch für eine weitere Stunde. Als Hausaufgabe bitte ich Herrn P., sich zur nächsten Stunde Stellenanzeigen anzuschauen, einfach nur unter dem Aspekt, was ihn überhaupt ansprechen würde. Auch soll er einmal genau durchrechnen, wieviel Geld er für den Lebensunterhalt mindestens braucht. Mit diesen Aufgaben kann Herr P. etwas tun, kann sich als aktiv handelnd erleben. Oft ist dies schon der Schlüssel, um wieder Sicherheit und Halt in sich selbst zu finden und sich nicht ausgeliefert zu fühlen.
Zum Abschluss frage ich Herrn P., welches Gefühl er denn jetzt mitnimmt? Etwas mehr Zuversicht, meint Herr P. – und Halt. Etwas mehr Ruhe. Ich sehe es ihm tatsächlich auch an. Vor allem hat er ein Gefühl dafür bekommen, nicht ohnmächtig und hilflos zu sein, sondern in jedem Moment die Wahl zu haben. Und diese Wahl, diese Möglichkeiten, sind ebenfalls eine wunderbare Quelle der Sicherheit.
Hier meine Tipps bei Angst vor Arbeitsplatzverlust:
- Machen Sie einen Realitätscheck: Wie reell ist Ihre Angst?
- Überlegen Sie sich drei Krisen in Ihrem Leben, die Sie überwunden haben und überlegen Sie, welche ganz persönlichen individuellen Fähigkeiten ihnen geholfen haben, diese Krisen letztlich zu überwinden.
- Erweitern Sie Ihren Horizont: Welche Möglichkeiten haben Sie noch? Wahlfreiheit ist zentral, um aus der Ohnmacht herauszukommen.
- Sie sind nicht Angst, Sie haben Angst. Was haben Sie noch? Befragen Sie gerne auch mal Ihre Sicherheit, Ihr Vertrauen, Ihre Hoffnung oder Ihren Mut. Seien Sie gespannt, wie unterschiedlich die Antworten ausfallen.
- Gehen Sie mit Ihrem Vorgesetzten ins Gespräch. Nicht im Sinne von: Ich habe Angst, sondern ganz im Sinne von: Wie sind die Perspektiven? Was kann ich tun? So bekommen Sie klare Hinweise, wie Sie sich einbringen können und Handeln bringt uns immer raus aus der Ohnmacht.
- Und zögern Sie nicht, sich bei Bedarf Hilfe zu holen. Wenn z. B. Angst oder Niedergestimmtheit unaushaltbar werden, wenden Sie sich an das Patiententelefon der kassenärztlichen Vereinigung (116117) oder die Telefonseelsorge (0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222). Sollten Sie akute Suizidgedanken haben, nehmen Sie sofort Kontakt mit dem Notdienst Ihrer örtlichen psychiatrischen Klinik oder dem Rettungsdienst (112) auf.
* Anonymisiertes Fallbeispiel aus der Beratungspraxis des Fürstenberg Instituts. Der Fall wurde mit dem Einverständnis des Betroffenen anonymisiert
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