Joshuas Künstlername glitzert ein bisschen wie die Pailletten an Elvis Presleys weißem Vegas-Anzug. Außerdem teilt er sich mit dem Soulsänger und Songwriter Van McCoy ein paar Buchstaben: Josh Maccoy. Josh, 22, ist aus Bremen angereist und hat die Nacht am Neckar campiert. Er ist die Nummer eins an diesem Morgen - Nummer eins von 80, die zum Vorspiel an der Popakademie in Mannheim eingeladen wurden. Knapp ein Drittel wird genommen.
Er ist so weit zufrieden mit sich, als ihn die Jury nach einer halben Stunde entlässt. Mit den Fingern kämmt er sich durchs nassgeschwitzte Haar, schultert die Gitarre. "Die sind richtig okay da drin", beruhigt Josh die Wartenden vor der Tür. Dass er hier in Mannheim gerade eine Aufnahmeprüfung für den Studiengang Popdesign hinter sich hat, darf sein Vater gar nicht wissen. Der denkt nämlich, sein Sohn büffelt in Bremen Jura. Vom Klampfen hält er nichts. Josh trotzig: "Aber ich muss Musik machen, einfach Musik machen. Eine Plastikkarriere interessiert mich gar nicht. Nur die Musik." Das sagen alle, die in diesen Tagen zum Vorspiel anrücken, das ist der Popakademie-Blues.
Prominente Sponsoren wie Xavier Naidoo
Die Mannheimer Pop-aka ist bundesweit die erste ihrer Art. In den USA gibt es professionelle Ausbildungsangebote für angehende Popprofis schon lang, in Deutschland erst vom kommenden Wintersemester an. Die Akademie will angehende Musikprofis in den Studiengängen Popmusikdesign und Musikbusiness ausbilden. Selbst die Regierung des kehrwochengestählten Baden-Württemberg wittert in der Akademie eine Chance, das hausbackene Image des Ländle etwas abzustreifen, und unterstützt die neue Hochschule finanziell. Geld bekommen die Macher unter anderem von der Stadt Mannheim, dem Südwestrundfunk, der Landesanstalt für Kommunikation, dem Konzern Universal Music - und von so prominenten Sponsoren wie Xavier Naidoo und seiner Band "Söhne Mannheims", die die Popnovizen mit 75.000 Euro im Jahr unterstützen wollen.
Der Andrang für das erste Semester ist enorm: 700 junge Leute bewerben sich um 55 Studienplätze. Vor der Tür des Vorspielraums warten die nächsten, die übernächsten, die überüberübernächsten. David Maier ist bereits quer durch die Republik getourt. Kürzlich war er schon mal in Mannheim, in der Musikhochschule nebenan. Als David dort sein Vorspiel beendet hatte, lächelte ihm der Professor maliziös ins Gesicht: "Eine Frage noch, Herr Maier: Verraten Sie mir mal, wie ich jemanden wie Sie in vier Jahren zum Musikprofi machen soll?" Das war bitter, gesteht David. "Ich hatte mich dort beworben, um mehrgleisig zu fahren - falls es an der Popakademie nicht klappt." Er erzählt, dass er gern im alten VW-Bus herumfahren würde, um auf kleinen Bühnen seine melancholischen Lieder zu singen. Die Jury an der Pop-aka ist anders als die nebenan: Sie duzen David. Und jetzt, als er so dasteht, die Gitarre sanft umfasst und von der Liebe singt mit einer Stimme wie ein Glas Baileys, da lässt sich die Jury glatt bezirzen: Sie will ihn binnen drei Jahren zum Musikprofi machen.
Stars sind "rare Pflanzen"
Akademieleiter Udo Dahmen steht auf solche Freaks. "Ein Star muss am Anfang polarisieren. Denn ein Star ist einer, der den Pop neu erfindet." Natürlich weiß der Kopf der Akademie, dass er die Stars nicht rudelweise rekrutieren kann. "Das sind ja rare Pflanzen." Umgekehrt ist die Akademie keine Retorte und er nicht der Direktor einer Klinik für Popklone. Dennoch müssen sich die Leute verkaufen können. "Die sollen später ja von der Musik leben." Das ist der Spagat zwischen Originalität und Kommerz, den er den Pop-Azubis abverlangt. Dafür muss die Mischung stimmen: "Wir brauchen ein paar Verrückte, ein paar Macher und solche, die dazwischen vermitteln können." An der Akademie soll nicht bloß Fachliches vermittelt werden, sie soll zugleich Kontaktbörse und Bandschmiede sein. Udo Dahmen hat während seiner Karriere als Schlagzeuger selbst auch kaum Kontakte gescheut. Er spielte mit so unterschiedlichen Musikern wie Sting, Nina Hagen, James Last und Roger Whittaker.
Dass bei der Auswahl der Kandidaten Optik und Attitüde eine Rolle spielen, gibt der 52-jährige Professor unumwunden zu. "Eine Sängerin muss gut aussehen, sonst hat sie später keine Chance. Und ein Grunger, der Ausfallschritte macht, fällt beim Publikum durch. Bloß beim Songwriter ist es egal, wie er aussieht."
Wer nicht heimgeschickt wird, hat gute Karten
Ornella DeSantis ist zierlich und zäh. Seit dem Morgen wartet sie auf dem kargen Korridor aufs Vorspiel. Mit ihrer Mutter an der Seite bangt sie stumm dem Auftritt entgegen. Da hockt sich eine Rotte Eminems aus irgendeinem badischen Naherholungsort zu ihnen und textet die beiden im Freestyle an. Die tragen wollige Mützen und drunter Pfützen / die schnippen mit Fingern nach jungen Dingern / cashen die Barriere zur großen Karriere / tun ganz ungeniert wie unberührt / haben aber die Hose voll, sieht man doll / Da kommt Ruben Rodriguez - so was Perfides / wiegt - super ungesund - 200 Pfund / zu ihrem Kummer, ist er die phattere Nummer / singt sich die Lippen wund, macht die Jury rund / der Mann hängt sich rein und schickt sie heim.
Wer nicht heimgeschickt wird, hat gute Karten: "Die Chancen stehen nicht schlecht, hinterher einen Job zu bekommen", sagt Udo Dahmen, "denn Musik ist auch ein Konsumgut". Die Popakademie hat die Radiosender SWR und Radio Regenbogen sowie die mächtige Universal Music ins Boot geholt. Dort wird mancher Akademieabsolvent unterkommen.
"Komm rein, Luft musst du selbst mitbringen", ruft jemand von der Jury. Jetzt ist Ornella dran. Sie zückt das Mikro. Sie ist die Vorletzte. Es ist Abend und immer noch heiß. Acht Stunden hat sie auf das Duell mit der Jury gewartet. Ihre Haut ist gerötet, die schwarzen Stirnlocken pappen dran fest. Ornella ist nicht cool und spielt in keiner angesagten Band. Die 18-Jährige jobbt in einer Boutique in Offenburg, und wenn sie heimkommt, übt sie mit Karaoke-Cassetten ein paar Songs. Ihren ersten großen Auftritt hatte sie mit neun Jahren, als sie auf einem Familienfest italienische Volkslieder vortrug. Sie singt etwas Selbstgeschriebenes und setzt dann zu einem souligen Chartligisten an. Die Angst steht am Mischpult und schiebt ihr gelegentlich ein Tremolo unter.
Die Jury ist eine wohlgelaunte Truppe
Die Obstteller vor den Jurymitgliedern sind abgeerntet. Leere PET-Flaschen kullern unter den Tischen, mancher hat die Schuhe abgestreift und wippt den Takt mit nacktem Fuß. "Danke, das genügt", sagt Udo Dahmen und unterbricht Ornellas dritten Gesangsvortrag. Ornellas Mutti sackt hinter der Jury im Stuhl zusammen. "O nein!", jault Peter Wölpl auf. Der Mann, der in der Juryriege sitzt, weil er bei Klaus Lage Gitarre spielt, streicht sich verzweifelt übers lichte Haupthaar: "Ich möchte, dass sie weitersingt."
Die Profis von der Jury sind eine wohlgelaunte Truppe. Der Keyboarder Florian Sitzmann von den Söhnen Mannheims ist dabei, der Produzent Edo Zanki, die Sängerin Pe Werner, Bassist Frank Itt, Udo Dahmen natürlich als Chef des Hauses und Annette Marquard, die bei Xavier Naidoo mitsingt. Der Soulsänger Naidoo selbst wird gelegentlich an der Akademie lehren ebenso wie Lui Ludwig, der für die Jule-Neigel-Band die Stöcke schwingt, und Joe Cockers Langzeit-Bassist T.M. Stevens.
Ornellas soulige Stimme klingt wie ein erotisches Versprechen
Ornella singt, und die etwa 20 Leute, die in dem 20 Quadratmeter großen Raum zwischen Tischen, Stühlen, Lautsprechern, Mischpulten, Kabelnestern, Scheinwerfern und Kameras drängen, sind still. Ihre Stimme lockt mit verwegenen Tiefen, ihr soulig-sämiger Sound macht erotische Versprechungen. Doch dann schwingen sich die Töne plötzlich auf, lassen die kratzbürstige Soulschlampe im Keller und werden so klar, als gehörten sie zu einer engelhaften Diseuse. Aus dem verhuschten Mädchen wird eine selbstbewusste Sängerin, die ihren Vortrag mit sparsamen Gesten untermalt und ihre Hüfte sachte im Rhythmus kreist. Und deshalb wird Ornella im kommenden Semester an der Popakademie studieren. Josh Maccoy übrigens nicht. Aber er will auf eigene Faust versuchen weiterzukommen. Die Sängerin Petra Scheeser sagt: "Er wird sein Ding machen, da bin ich sicher", das steht in dem schönen Prospekt, den Josh hat drucken lassen. Wird Zeit, dass er seinem Vater mal Bescheid gibt, dass aus der Sache mit dem Jurastudium wohl nichts mehr wird.
An der neu gegründeten Popakademie Mannheim starten im Wintersemester dieses Jahres die ersten Studenten. Pro Semester werden 30 im Fach Musikbusiness und zirka 25 im Fach Popmusikdesign zugelassen. Musikbusiness studiert, wer Labelmanager oder Marketingexperte werden will, Popmusikdesign ist dagegen für die Kreativen gedacht: also für Sänger, Instrumentalisten, Songwriter, Produzenten. Die Fächer werden allerdings nicht scharf getrennt: Jeder wird sowohl musikalisch als auch in Marketing geschult. Die Ausbildung ist stark praxisorientiert: Zwei von sechs Semestern verbringen die Studenten bei Firmen, weitere zwei tüfteln sie an unterschiedlichen Projekten. Pro Semester beträgt die Studiengebühr 500 Euro, am Ende steht ein Bachelor-Abschluss. Auch wer kein Abitur hat, kann dank "Genieklausel" zum Studium zugelassen werden, dazu muss man aber eine Prüfung mit Fragen zur musikalischen Allgemeinbildung bestehen.
Weitere interessante Themen im neuen Stern Spezial Campus & Karriere.