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Finanzkrise "Wehe, wenn jetzt die Märkte kippen"

Gebannt schaut die Welt, ob die Börsen weiter positiv auf den Rettungspakt für die taumelnde Bankbranche reagieren. Einige Börsianer fürchten das Schlimmste, sollte sich die Erholung der letzten Tage als Strohfeuer entpuppen. Sicher ist schon jetzt: Das Finanzsystem steht vor grundlegenden Veränderungen.

Die US-Regierung will ihr Rettungspaket zur Bekämpfung einer der größten Finanzkrisen der Geschichte mit 700 Milliarden Dollar zum Aufkauf fauler Kredite ausstatten. Ein unter Hochdruck in Washington verhandeltes Gesetz zu der historischen Auffanglösung soll noch diese Woche verabschiedet werden. US-Präsident George W. Bush sagte, dass das Rettungsprogramm trotz aller Risiken für die Steuerzahler "unerlässlich" sei. "Dies ist ein großes Paket, weil es ein großes Problem war", so Bush. Die US-Demokraten sagten grundsätzlich ihre Unterstützung zu, verlangten aber "starke Aufsichtsmechanismen".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte strengere Regeln für die internationalen Finanzmärkte. Dem "Münchner Merkur" sagte sie: "Ich kritisiere das Selbstverständnis der Finanzmärkte. Leider haben sie sich freiwilligen Regelungen zu lange widersetzt, unterstützt von den Regierungen in Großbritannien und den USA." Sie habe schon während der deutschen G8-Präsidentschaft im vergangenen Jahr auf mehr Transparenz bei Geldgeschäften, Rating-Agenturen und Hedgefonds gedrängt. Die angelsächsischen Länder hätten diese Vorschläge aber nicht ausreichend unterstützt.

Die Bundesregierung wird nach einem "Spiegel"-Bericht ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr deutlich nach unten korrigieren. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums sagte der Nachrichtenagentur DPA dazu: "Im Moment sind das alles noch Spekulationen." Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht Deutschland trotz der internationalen Finanzkrise weiter auf Wachstumskurs. "Die Lage ist weit besser, als sie von vielen 'Möchtegern-Experten' beurteilt wird. Ich halte weiterhin ein Wachstum von bis zu zwei Prozent in diesem Jahr für möglich", sagte BDI-Präsident Jürgen Thumann der "Bild am Sonntag".

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat Leerverkäufe, das so genannte short selling der Aktien von elf im DAX- und MDAX gelisteten Unternehmen der Finanzbranche vorübergehend untersagt. Das Verbot gelte bis zum Jahresende, werde aber laufend überprüft, teilte die BaFin mit. Betroffen sind Papiere von Aareal Bank, Allianz, AMB Generali Holding, Commerzbank, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Postbank, Hannover Rückversicherung, Hypo Real Estate, MLP und Münchener Rück. Beim "short selling" setzen Investoren auf fallende Kurse. Geliehene Aktien werden verkauft und später zu einem niedrigeren Kurs wieder zurückgekauft. Die Differenz abzüglich der Leihgebühr ist der Gewinn.

DPA/Reuters

Die Auswirkungen der Finanzkrise

Sollten die US-Pläne zur Stützung des Finanzsystems genehmigt werden, steht das Land vor einer der teuersten Wochen seiner Geschichte. Viele Experten halten den Erfolg der Mega-Operation angesichts der zu einem Gutteil unerprobten Methoden für noch nicht ausgemacht. Die nächsten Tage sind für die weitere Entwicklung der größten Volkswirtschaft entscheidend - und damit auch für den Rest der Welt.

Die Brennpunkte:

Die Kosten

Schon bei der bisherigen Bekämpfung einzelner Brandherde der Kreditkrise - wie Fannie Mae und Freddie Mac - eilte die US- Regierung mit mehr als 300 Milliarden Dollar zu Hilfe. Der Preis der neuen Grundsatzlösung für die ganze Branche: umgerechnet rund 485 Milliarden Euro - weit mehr als der deutsche Staatshaushalts für 2009 mit einem Volumen von 288 Milliarden Euro. Pessimisten rechnen am Ende sogar mit noch mehr Kosten, die der US-Steuerzahler tragen muss. Das Staatsdefizit könnte 11,3 Billionen Dollar (7,8 Billionen Euro) erreichen. Trotzdem sprechen Experten vom "kleineren Übel". Auch US-Präsident George W. Bush sagte: "Das Risiko, nichts zu tun, ist viel größer."

Der Wahlkampf

Das teure Rettungspaket der Bush-Regierung schränkt den Handlungsspielraum des bald neuen Präsidenten enorm ein. Bei aller Unterstützung ringen Demokraten und Republikaner daher verbissen um die Details. "Die Folgen werden höhere Steuern, niedrigere Ausgaben oder ein Mix aus beidem sein", so Wirtschaftsexpertin Carmen Reinhart von der Universität Maryland. Längst ist die Wirtschaft bestimmendes Wahlkampfthema. Der demokratische Kandidat Barack Obama ruft nach Hilfen für den "kleinen Mann und Hausbesitzer" - und nicht nur für die Wall Street. Die Zeitungen sind voll von Leserbriefen, die fragen: "Warum haben wir angeblich nicht mehr Geld für Krankenversicherung, Infrastruktur und Bildung - aber plötzlich riesige Summen für die Rettung der Banken?"

Die Finanzbranche

Die Umwälzungen in der Bankenwelt werden laut Beobachtern in jedem Fall andauern. Sie rechnen mit neuen, wenn auch vielleicht weniger spektakulären Pleiten sowie mit weiteren Fusionen und Übernahmen. Die Kreditkrise sei längst nicht ausgestanden. Bisher mussten Banken weltweit über 500 Milliarden Dollar abschreiben. Durch den Rettungsplan werden die Institute zwar giftige Altlasten los, aber dafür dürften hohe Einmal-Wertberichtigungen anfallen. "Alle Probleme im Häusermarkt zusammengerechnet, wird eine weitere Billion Dollar an Abschreibungen nötig sein", so Finanzexperte Daniel Alpert.

Die Gesamtwirtschaft

Die Finanzkrise sei in ihrer Art beispiellos, sagte Wirtschaftshistoriker Robert Aliber von der Universität Chicago. Im Gegensatz zur Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre brachte sie bisher die Gesamtwirtschaft zwar auf Talfahrt, riss sie aber nicht völlig in die Tiefe. "Der Rezessions-Zug ist losgefahren, aber er wird 18 Monate statt fünf Jahre unterwegs sein", schätzt US-Wirtschaftsprofessor Nouriel Roubini.

Die Kontrolle

Der Ruf nach größerer Transparenz und mehr Regulierung der Finanzmärkte wird auch in den USA immer lauter. Die Aussichten für strengere Regeln sind gut: Der Glaube an das freie Spiel des Marktes ist selbst in der Hochburg des Kapitalismus schwer erschüttert. "Die Leute sagen jetzt: 'Der Markt ist das Problem. Die Regierung ist die Lösung'", so der New Yorker Finanzhistoriker Richard Sylla.

Die Börsen

Der lebensbedrohliche Kurssturz vieler Finanzhäuser bewegte US-Finanzminister Henry Paulson und Notenbank-Chef Ben Bernanke zu einer spektakulären 180-Grad-Wende. Sichtlich geschockt vom Abwärtssog, der mit einer Kreditklemme die gesamte Wirtschaft zu ergreifen drohte, rissen sie das Ruder zu einer Grundsatzlösung herum. Die Märkte reagierten mit einem Kursfeuerwerk. Der Wochenstart muss nun zeigen, ob es nur ein Strohfeuer war, meint ein New Yorker Händler. "Wenn die Märkte jetzt wieder kippen, dann sieht es ganz düster aus."

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