Nach Lieferstopp Debatte um Atomausstieg entbrannt

Auch nach zwei Tagen ausbleibender russischer Öllieferungen über die Pipeline "Druschba" zeichnete sich noch keine Lösung des Konflikts zwischen Russland und Weißrussland ab. Die Regierungen beider Länder haben bislang keine Annäherung erzielen können. Der Lieferstopp hat hierzulande derweil eine scharfe Debatte um den Atomausstieg entfacht.

In Moskau sind die Gespräche zwischen Vertretern Russlands und Weißrusslands um eine Lösung im Streit um die blockierte Öl-Versorgung gescheitert. Zunächst müsse Weißrussland die Blockade der "Freundschafts"- Ölpipeline aufheben und die Durchleitungsgebühren für russisches Öl nach Westen abschaffen, verlangte der russische Wirtschaftsminister German Gref. Erst dann sei Russland zu Verhandlungen über eine Aufhebung seines eigenen Exportzolls auf Öllieferungen an Weißrussland bereit, sagte Gref dem weißrussischen Vizeregierungschef Andrej Kobjakow.

Angesichts des Ölstreits fordert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel eine Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten. "Dazu müssen wir die Energieträger ausbauen, die wir zu Hause haben. Das sind vor allem die erneuerbaren Energien", sagte der SPD-Politiker der "Financial Times Deutschland". Um den Bedarf an Erdöl zu reduzieren, müsse die Entwicklung von Biokraftstoffen verstärkt werden. "Unser Ziel ist, dass synthetische Kraftstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe mit deutscher Technik entwickelt werden", sagte Gabriel. Diese synthetischen Kraftstoffe könnten in Zukunft Benzin und Diesel schrittweise ersetzen.

"Öl wird so gut wie gar nicht zur Stromerzeugung eingesetzt"

Probleme bei der Ölversorgung beträfen vor allem den Fahrzeugverkehr. "Hier geht es darum, alternative Kraftstoffe auf der Basis heimischer Rohstoffe zu entwickeln", sagte Gabriel. Die Lösung sei nicht, "in jedes Auto ein kleines Kernkraftwerk einzubauen". Der Umweltminister betonte, dass es keinen Zusammenhang zwischen Ölimporten und Stromproduktion in Deutschland gebe. "Öl wird so gut wie gar nicht zur Stromerzeugung eingesetzt. Ich begreife nicht, wo der Zusammenhang zur Laufzeit der Kernkraftwerke sein soll."

Sigmar Gabriel sieht auch in der Europäischen Union keine Mehrheiten für einen Ausbau der Kernenergie. 17 von 27 EU-Staaten hätten Ausstiegbeschlüsse aus der Kernenergie oder nutzten sie ohnehin nicht, sagte Gabriel im ARD-Morgenmagazin zu Berichten, die EU-Kommission wolle sich für einen Ausbau der Atomenergie in Europa einsetzen.

EU-Kommission: Atomstrom "besonders kostengünstig"

Die "Frankfurter Rundschau" hatte aus dem Energiebericht der EU-Kommission zitiert, der in Brüssel vorgelegt werden sollte. Trotz "erheblicher Probleme beim Handhaben des nuklearen Abfalls und der Endlagerung" bezeichne die Kommission darin die Nuklearenergie als kostengünstigste Form, Strom zu erzeugen, ohne die Umwelt durch Treibhausgase zu belasten. Neue Reaktorgenerationen würden den Preisvorteil der Kernenergie noch weiter erhöhen. Würden die Kosten für den Ausstoß von Treibhausgas auf rund zehn Euro pro Tonne erhöht, könnten Atommeiler sogar rentabler betrieben werden als Kohlekraftwerke, heißt es weiter.

Gabriel verwies auf die geltende Rechtslage in Deutschland: "Wir steigen langsam aus bis zum Jahre 2020, weil das eine hoch risikoreiche Technologie ist." Wegen dieser "prinzipiellen Risiken der Kernenergie" gebe es in der EU "eine geteilte Auffassung". Er gehe deshalb davon aus, dass "es ein ausbalancierter Vorschlag sein wird", den die EU-Kommission vorlege. "Wenn der nicht ausbalanciert wird, dann haben wie eine Debatte mit der Kommission, aber nicht nur Deutschland alleine."

Putin scharf kritisiert

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte derweil nach scharfer Kritik aus Berlin und Brüssel die Wahrung der Interessen europäischer Abnehmer angemahnt und seine Regierung aufgefordert, den Streit mit Minsk zu lösen. Der Kremlchef machte keine Angaben, wann wieder russisches Öl nach Westen gepumpt werden könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Berlin, es werde Vertrauen zerstört, wenn ohne Konsultationen ein derartiger Schritt erfolge. EU- Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einem "inakzeptablen und beunruhigenden" Vorgang.

"Russland hat sich nicht angemessen verhalten"

Die Internationale Energieagentur (IEA) kritisierte, "Russland hat sich nicht angemessen verhalten. Es geht nicht an, dass die westeuropäischen Öl-Kunden in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn Russland und Weißrussland einen wirtschaftlichen Streit miteinander haben". Moskau müsse seine Lieferverpflichtungen gegenüber Westeuropa erfüllen, sagte der stellvertretende Exekutiv-Direktor der IEA, William Ramsay, der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch).

Deutschland und zahlreiche weitere europäische Länder hofften vergeblich auf eine Wiederaufnahme der russischen Erdöllieferungen durch die blockierte "Druschba"-Pipeline. Allerdings bekräftigten Experten und Mineralölkonzerne, die Versorgung sei gewährleistet.

Die Versorgungssicherheit scheint gewährleistet

Die großen ostdeutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna arbeiteten weitgehend normal, lediglich bei PCK Schwedt wurde die Produktion vorsorglich um 10 Prozent gekürzt. Die Versorgungssicherheit sei aber gewährleistet.

Betroffen von den Lieferausfällen sind auch Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Alle Länder hätten Reserven für mindestens knapp drei Monate, um Lieferausfälle zu kompensieren. Zudem betonten Experten, es könne relativ problemlos auf dem Weltmarkt zugekauft werden. Dabei hilft auch der warme Winter. Der Ölpreis fiel am Dienstag zeitweise auf den niedrigsten Stand seit Juni 2005.

Drosselung der russischen Ölförderung nicht ausgeschlossen

Putin schloss vor dem Hintergrund fehlender Exportkapazitäten auch eine Drosselung der russischen Ölförderung nicht aus. Beobachter werteten dies als Zeichen dafür, dass Moskau mit einem längeren Andauern des Energiestreits rechnet. Aus russischen Diplomatenkreisen hieß es, entweder werde der Streit innerhalb von 24 Stunden beigelegt oder er dürfte sich über Wochen hinziehen. Putin betonte, der Konflikt dürfe nicht auf dem Rücken der Kunden in der Europäischen Union ausgetragen werden.

Weißrussland und Russland beschuldigten sich gegenseitig, die Blockade der "Druschba"-Pipeline ausgelöst zu haben. Weißrussland habe am Montagmorgen den Transit unterbrochen, sagte der russische Energieminister Viktor Christenko. Nur vier Minuten später habe der staatliche russische Pipelinemonopolist Transneft als Reaktion die Einspeisung in die Leitung gestoppt.

Auslöser für den Streit zwischen den Ex-Sowjetrepubliken ist die Entscheidung des Kremls, die Subventionierung Weißrusslands durch billige Öl- und Gasexporte zu beenden. "In den vergangenen fünf Jahren hat Russland pro Jahr 3,5 Milliarden bis 4 Milliarden Dollar verloren, weil keine Exportzölle auf Rohöl für Weißrussland erhoben wurde", sagte Putin in Moskau.

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