Ein neuer Aufreger befeuert die Diskussionen um das TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) - also das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hatten dem "Spiegel" gesagt, dass künftig nicht mehr "jede Wurst und jeder Käse als Spezialität" geschützt werden könne. Dagegen wettert nun die Lebensmittellobby. Sie fürchtet, dass regional geschützte Produkte - wie Nürnberger Würstchen oder Schwarzwälder Schinken - auch in den USA hergestellt werden könnten.
Schon seit Monaten liefern sich Befürworter und Kritiker des Freihanselsabkommens Diskussionen. Die Kritiker fürchten, dass die hohen Verbraucherstandards in Deutschland aufgeweicht werden könnten und der Republik Nachteile durch den Investitionsschutz entstehen. Befürworter erhoffen sich durch die Handelserleichterungen wirtschaftlichen Aufschwung.
Aber warum brauchen wir überhaupt ein Freihandelsabkommen? Wem nützt das? Wer zahlt dafür? Und was ändert sich für Verbraucher? Der stern erklärt das TTIP in zehn Punkten:
1. Die Idee
Mit einer Freihandelszone wollen die USA und Europa wirtschaftlich enger zusammenarbeiten. Beide Kontinente würden einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden, der rund 800 Millionen Verbraucher umfasst. Die Hürden beim Handel und Zölle würden wegfallen. Die Verhandlungen laufen sei Juli 2013, mit einem schnellen Ergebnis ist aber nicht zu rechnen. Grund dafür: Beide Verhandlungsseiten sind sich nicht einig, inwieweit Zölle, Sicherheitsstandards und Wettbewerbsregeln angepasst werden sollen.
2. Vorteile für die Volkswirtschaft
Das Abkommen soll die Wirtschaft sowohl in den USA als auch in Europa in Schwung bringen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung könnten insgesamt bis zu zwei Millionen neuer Jobs entstehen. Der Außenhandelsverband erwartet, dass der Reallohn in Deutschland durch die Effekte des Abkommens um 1,6 Prozent steigt. Angela Merkel spricht von einem Impuls für die Weltwirtschaft. Schon Ende der 1990er Jahre gab es erste Überlegungen zu einer Freihandelszone, um den wachsenden Volkswirtschaften in Asien zu begegnen.
3. Vorteile für Konzerne
Die USA sind ein wichtiger Exportmarkt für deutsche Konzerne. 27 Prozent der Ausfuhren nach Amerika sind Autos oder Ersatzteile dafür. VW, Daimler oder Porsche würden also von einer Freihandelszone deutlich profitieren, weil sie ihre Produkte leichter in den USA verkaufen können. Auch die chemische Industrie hofft auf das Abkommen. 17 Prozent aller Waren, die in die USA geliefert werden, sind Chemie-Produkte.
Wie der Fall der regionalen Spezialitäten nun aber zeigt, sind sich die Industrien nicht einig, wie sie zum TTIP stehen. Während der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft sich für den Schutz regionaler Delikatessen einsetzt, sind dem deutschen Milchindustrieverband und der Bäckereilobby dieser Protektionsmus nicht so wichtig.
4. Vorteile für Verbraucher
Durch den Wegfall von Zöllen wären Preissenkungen auf Produkte und Dienstleistungen immerhin möglich. Derzeit werden Zölle von durchschnittlich drei bis fünf Prozent auf den Handel zwischen den USA und Europa fällig - diese würden dann wegfallen. Außerdem will man sich auf einheitliche Standards bei Produkten und Dienstleistungen einigen. Ein Beispiel: Wird ein Medikament nach aufwendigen Tests auf dem US-Markt zugelassen, dann gilt dies auch für Europa - ohne weitere Zulassungsverfahren. So äußert sich zumindest die Europäische Kommision. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Brigitte Zypris (SPD), sieht das anders."Nach derzeitigem Kenntnisstand wird im Arzneimittelbereich keine gegenseitige Anerkennung von Zulassungsentscheidungen vorgeschlagen", schreibt die Pharmazeutische Zeitung.
5. Nachteile für Verbraucher
Genau diese einheitlichen Standards machen vor allem deutschen Verbrauchern Sorge. Denn was in den USA vollkommen problemlos in den Regalen der Supermärkte und Apotheken und auf den Tellern der Amerikaner landet, würde an den hohen Verbraucherschutzhürden in Europa scheitern. Abschreckendes Beispiel sind die Hühnchen, die zur Desinfektion in Chlor gebadeten werden. Auch der Einsatz von Hormonen bei der Fleischproduktion ist in den USA unproblematischer. Beim Thema Gen-Technik bei Lebensmitteln bleiben die Standards der USA deutlich hinter denen in Europa zurück.
Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass vor allem in den Bereichen Energie, Gesundheit, Umwelt und bei den Arbeitnehmerrechten die hohen Auflagen hierzulande aufgeweicht werden könnten. So könnte Fracking, das sich in den USA bereits durchgesetzt hat, auch in Europa Einzug halten. Darüber hinaus kritisieren Bürgerinitiativen die mögliche Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssektors - und damit ein Absenken europäischer Standards auf US-Niveau.
Die Europäische Kommision versucht, solche Zweifel an dem Abkommen zu widerlegen. Das TTIP sei kein Wunschkonzert der Konzerne, heißt es in einem Schreiben.
6. Kritik von allen Seiten
Großer Kritikpunkt bei den Verhandlungen ums TTIP sind die vielen Lobbyisten in Brüssel, die sich bei den Vertragskonditionen einbringen. "Wir wissen aus internen Dokumenten der Europäischen Kommission, dass sie sich in der wichtigen Phase der Verhandlungsvorbereitung fast ausschließlich mit Konzernen und ihren Lobby-Gruppen getroffen hat", sagt Lobby-Wächterin Pia Eberhard von Corporate Europe Observatory der Deutschen Welle. "Dagegen hat es damals kein einziges Treffen mit einer Umweltorganisation, einer Gewerkschaft oder einer Verbraucherschutzorganisation gegeben."
Auch mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen wird kritisiert, beispielsweise vom Bundesrat. Bisher ist das Mandat, auf dessen Grundlage die EU-Kommission mit den USA verhandelt, nicht offiziell zugänglich. Diese "Geheimniskrämerei" wird vor allem von Verbraucherschützern und Nichtregierungsorganisationen kritisiert.
Besondere Aufmerksamkeit erhält der so genannte Investitionsschutz. Dies ist auch der größte Streitpunkt bei der Debatte im Bundestag. Konzerne könnten künftig gegen bestehende Umwelt- oder Sozialgesetze klagen, wenn sie ihr Geschäftsmodell bedroht sehen. Auch ganze Staaten könnten verklagt werden, wenn sich Unternehmen durch die Gesetzgebung diskriminiert fühlen und Schadenersatz fordern. So hat der US-Energieriese Chevron einen besseren Investorenschutz und Klagemöglichkeiten der Unternehmen gefordert. Hintergrund dieser Eingabe ins TTIP ist der Plan des Konzerns, auch in Europa mit dem vor allem in Deutschland heftig kritisierten Fracking zu beginnen.
7. Ungleichheit zwischen Europa und den USA
Bisher sind die Verhandlungen eher einseitig. Europas Angebot, die Zölle um 96 Prozent zu senken - also faktisch abzuschaffen - steht allein. Die USA zieren sich Zugeständnissen anzubieten. Auch die Öffnung des US-Marktes sehen amerikanische Unternehmen nicht gern: Bisher vergeben staatliche Behörden Aufträge nur an US-Unternehmen. Auch die Ausfuhr von Gas und Öl nach Europa ist in den USA beschränkt.
Dabei profitieren die USA stark von einem möglichen Abkommen, wie das ifo-Institut in einer Studie zeigt, die von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Dort heißt es, dass die Zahl der Beschäftigten um knapp 1,1 Millionen steigen werde. Auch das Pro-Kopf-Einkommen werde um 13,4 Prozent in den USA wachsen. Im Vergleich dazu: In Deutschland würde gerade einmal 100.000 neue Jobs durch das Abkommen geschaffen, das Pro-Kopf-Einkommen nur um 4,7 Prozent ansteigen.
8. Die Spionage-Affäre
Der Spitzel-Skandal rund um die NSA hat die Verhandlungen schwer belastet. Trotz der massiven Spionage-Vorwürfe wird allerdings weiter verhandelt. Mehrere Politiker hatten in Brüssel sogar den Stopp der Verhandlungen gefordert, wurden aber von konservativen und liberalen Parlamentsmitgliedern überstimmt. Auch wenn die Verhandlungen offiziell weitergeführt werden, formiert sich zunehmender Protest. William Reinsch, Chef der US-Handelsorganisation NFTC, spricht über den Umgang mit Daten vom "schwierigsten Problem" bei der Annährung der USA und Europas.
9. Der Protest
Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherschützer und Verbände erhöhen zunehmend den Druck auf die Verhandlungsparteien. Im Juli 2014 hat ein Zusammenschluss verschiedener NGOs eine Bürgerinitiative (EBI) in Brüssel vorgestellt, die sich gegen das Abkommen stellt. In Deutschland kritisieren die Grünen und die Linke die Verhandlungen schon länger. Inzwischen mehren sich auch Stimmen in der SPD gegen das Abkommen. "Wir brauchen für ein solches Abkommen ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Zustimmung in Deutschland", sagte SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas dem Kölner Stadt-Anzeiger. Allerdings: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) steht hinter beiden Freihandelsabkommen.
10. Wie es weiter geht
Zuletzt hatten Kanada und die EU das Freihandelsabkommen Ceta vorangetrieben, das als Etappensieg auf dem Weg zum TTIP gilt. Die USA und Europa wollen schnellstmöglich die Eckpunkte des Deals festlegen. Geht es nach den USA soll der Pakt vor der Präsidentenwahl 2016 in trockenen Tüchern sein. Insgesamt wird erwartet, dass Ende 2015 ein Vertrag fertig sein könnte. Allerdings bleibt noch eine große Hürde: Es ist nicht ausgeschlossen, dass alle nationalen Parlamente dem Abkommen zustimmen müssen. Dies würde möglicherweise auch Nachverhandlungen am TTIP aus den Staaten auf den Plan rufen. "Wenn wir die Verhandlungen neu eröffnen, ist das Abkommen tot", sagte EU-Handelskommisar Karel De Gucht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".