Jeff Dodds Formel-E-Chef grübelt: "Kauft uns die Formel 1? Kaufen wir die Formel 1? Fusionieren wir?"

Formel E
Bei der Formel E geht es nicht um reine Geschwindigkeit, sondern auch Akku-Management und eine kluge Strategie.
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Die Zuschauerzahl der Formel E wächst jedes Jahr um 30 Prozent – sagt Jeff Dodds, CEO der Rennserie. Wieso man trotzdem keinen der Fahrer kennt? Ein Gespräch über schleichenden Wandel, das Ende des Verbrenners und die narkotisierende Dominanz von Max Verstappen. 

Mister Dodds, fahren Sie selbst Rennen?
Ich besitze eine Rennlizenz, ja. Ich fahre aber weder als Hobby noch professionell Rennen. Ich war auf vielen, vielen Rennstrecken und glaube, dass ich das für meinen Job brauche. Aber ich bin wohl zu groß und zu schwer, um mich mit anderen zu messen.

Auch in einem Formel-E-Auto wären Sie chancenlos?
Ich bin 1,92 Meter groß und wiege um die 94 Kilo. Natürlich ist das deutlich über dem, was man heute bei den Rennfahrern der Formel-Klassen sieht. Ach richtig, das Talent habe ich auch nicht. Zusammen sind das wohl keine guten Voraussetzungen.

Solange Max Verstappen keine Panne hat, kann man sich das Mitfiebern sparen. Das liegt aber auch daran, dass die Geschichte des Verbrenners eigentlich auserzählt ist. 

Ich bekenne mich jetzt gleich mal, Mister Dodds: Mir macht es, unabhängig von der Rennklasse, nicht mehr so viel Spaß wie früher, Formel-Rennen zu schauen. Die Technik ist zu ausgereift, die Autos sind zu perfekt, die Rennen zu schnell entschieden. 
Wenn ich durch meine Brille als Formel-1-Fan spreche, stimme ich Ihnen zu. Das ist der Mix dieser Rennklasse, der das Problem so sichtbar macht. Probleme mit den Autos sind selten und Max Verstappen ist zu schnell für die anderen. Solange er keine Panne hat, kann man sich das Mitfiebern sparen. Das liegt aber auch einfach daran, dass die Geschichte des Verbrenners eigentlich auserzählt ist. Die Autos sind einfach zu gut, da fehlt der Nervenkitzel.

Aber das ist doch bei der Formel E nicht anders. Da sind ja sogar die Batterien der Autos identisch!
Sehe ich nicht so, denn unsere Geschichte ist wesentlich jünger. Das heißt auch, dass die Autos viel unberechenbarer sind. Da geht Akkus auf der Strecke der Saft aus und das Energiemanagement stellt die Fahrer vor große Herausforderungen. In den letzten sieben Rennen hatten wir sechs unterschiedliche Sieger.

Dafür fehlt der Lärm, der Gestank, die Abgase, der Thrill.
Die Welt hat sich an diesem Punkt weiterentwickelt. Es wird immer weniger Getöse geben, das ist wohl wahr. Aber wir wollen die Formel 1 auch nicht ablösen, sondern bedienen eine ganz andere Zielgruppe, der das überhaupt nicht wichtig ist.

Formel E-CEO Jeff Dodds
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Zur Person

Jeff Dodds lenkt seit 2023 als CEO die Geschicke der Formel E. Zuvor war er Chief Operating Officer beim Medienunternehmen Virgin Media O2 und CEO des Telekommunikationsunternehmens Tele2. Dodds ist Inhaber einer FIA-Rennlizenz, fährt aber keine Meisterschaften. Als jemand mit jahrelanger Erfahrung in der Unterhaltungsbranche will er auch die elektrische Formel-1-Schwester im Rampenlicht positionieren.

Nämlich?
Wir wachsen jedes Jahr zweistellig. Aktuell zählen wir 390 Millionen Fans weltweit. Das sind aber nicht die älteren, traditionellen Motorsport-Fans, sondern bis 50 Jahre alte Menschen und jünger, die sich für Elektromobilität, Technik, Umweltfragen und Nachhaltigkeit interessieren. Wir bekehren nicht, wir wachsen mit unseren eigenen Leuten.

Die Formel 1 könnte nicht einfach morgen auf Elektroautos umsteigen, das ist nur uns erlaubt. Die Formel 1 kann höchstens hybrider werden.

Trotzdem ist die Formel 1 deutlich populärer.
Das stimmt, liegt aber an vielen Dingen. Erstens die Geschichte: Die Formel 1 ist über 70 Jahre alt, wir haben vor etwa zehn Jahren angefangen. Das kann man also nicht vergleichen. Außerdem helfen der Formel 1 nach einer veritablen Krise externe Faktoren, die wir nicht haben. Da wäre zum Beispiel die Netflix-Serie "Drive to Survive", die dem Sport einen riesigen Push gegeben hat, weil die Leute sich für die Fahrer interessieren. Und dann fließt in der Formel 1 deutlich mehr Geld, wodurch die Rennklasse einfach am attraktivsten für Fahrer und Fans bleibt, weil alles möglich ist.

Ein Format wie "Drive to Survive" könnte auch der Formel E helfen.
Absolut, und wir sind in Gesprächen mit Streaming-Anbietern. Abgesehen davon liegen wir in Sachen Wachstum aber schon heute vorne. Während die Formel 1 jedes Jahr nur ein bisschen wächst oder sogar schrumpft, können wir uns über einen enormen Zuwachs neuer Fans freuen.

Formel E
Die Fans der Formel E sind zahlreich, aber es ist noch reichlich Luft nach oben. Laut CEO Jeff Dodds verzeichnet man steten Zuwachs, steht aber natürlich im Schatten der großen Formel 1.

Müssten Formel E und die Formel 1 nicht ohnehin eines Tages zu einem Produkt werden? Die Macher der Formel 1 betonen immer wieder, wie wichtig Nachhaltigkeit sei – aber diese Behauptung lässt sich nicht ewig aufrechterhalten, wenn man weiterhin zum Spaß Treibstoff verbrennt.
So einfach wird das nicht. Die Formel E ist die einzige Rennklasse der FIA, in der Autos rein elektrisch fahren dürfen. Die Formel 1 könnte also keinesfalls einfach morgen auf Elektroautos umsteigen, denn das ist nur uns erlaubt. Die Formel 1 kann höchstens hybrider werden. Eine direkte Konkurrenz zu uns wird sie aber nicht. Ich halte es für möglich, dass es eines Tages nicht mehr beide Rennklassen braucht. Und dann wird man sehen, was geschieht. Kauft uns die Formel 1? Kaufen wir die Formel 1? Fusionieren wir? Eines Tages wird man dazu sicherlich etwas lesen.

Haben Sie eine Idee, wie es gelingen kann, Stars wie einst Michael Schumacher oder heute Max Verstappen in die E-Autos zu holen?
Die echten Superstars fahren in den höchsten Rennklassen, keine Frage. Doch wir haben ja schon über "Drive to Survive" gesprochen: Wer kannte die anderen Fahrer abseits der Weltmeister denn vor der ersten Staffel dieser Serie? Was wir brauchen sind Plattformen, um die Persönlichkeiten, die wir haben, der Öffentlichkeit überhaupt erst einmal zu zeigen. Und da haben wir schon heute großes Potenzial – auch abseits besonders wohlhabender Familien, die ihren Jungs einen Platz kaufen.

Was ist diesbezüglich in der Formel E anders?
In der Formel 1 kaufen sich viele ihren Sitz. Dazu braucht man enorme Ressourcen oder top Sponsoren. Natürlich ist das eine Frage von Talent, aber ohne Geld oder Gönner kommt man dort nicht weit, wenn man nicht der Allerbeste ist. Wir bezahlen fast alle unsere Fahrer. Das sorgt für Chancengleichheit und echte Talente, die nicht durch mangelnde Ressourcen an ihrem Glück gehindert werden. Ich finde, dass wir dadurch wahrscheinlich das beste Fahreraufgebot im Motorsport bieten.

Aus dem man trotzdem niemanden beim Namen nennen kann.
Exakt. Wir haben es noch nicht geschafft, aus diesen Fahrern große Persönlichkeiten, echte Stars und bekannte Namen zu machen. Vielleicht fehlt uns sogar ein bisschen Drama, eine Rivalität unter Fahrern – alles, was man eben von "Drive to Survive" kennt und weshalb viele ja erst die Rennen verfolgen.

Im Drag Race? Sind unsere Autos schneller als die Formel-1-Boliden, gar keine Frage.

Was ist eigentlich schneller: Formel-E-Auto oder Formel-1-Auto?
Das kommt drauf an. Im Drag Race? Unsere Autos, gar keine Frage. Sobald es aber um lange Geraden oder längere Strecken mit vielen Kurven geht: Formel-1-Autos. Durch den Verbrenner haben sie die höhere Endgeschwindigkeit und durch das höhere Gewicht kann man sie besser um die Kurven peitschen. Wir leben von der Beschleunigung und haben kürzlich erst die neue Generation an den Start gebracht. Es tut sich unheimlich viel.

Was fahren Sie privat?
Ein sehr schnelles Elektroauto. Ich hatte sehr, sehr viele Verbrenner mit Unmengen PS. Das habe ich geliebt. Aber die Beschleunigung und das Hochgefühl, das ich von meinem Elektroauto beim Durchtreten bekomme, sind wesentlich ausgeprägter. Das Einzige, was mir fehlt, ist der Lärm. Aber da gehöre ich einer aussterbenden Rasse an.

Den Satz höre ich nicht nur von Ihnen.
Ja, weil es von meiner Sorte noch genug gibt. Benzingeruch, V8-Sound, Mechanik – wir lieben das und das wird so bleiben. Aber Sie können sich nicht vorstellen, wie egal das in großen Teilen der nachfolgenden Generationen geworden ist. Für die jungen Leute gibt es nur noch Elektroautos.

Benzingeruch, V8-Sound, Mechanik: Sie können sich nicht vorstellen, wie egal das in großen Teilen der nachfolgenden Generationen geworden ist.

Profitieren die normalen Elektroautos eigentlich von der Formel E?
Absolut, da gibt es schon heute viele Beispiele. Jaguar nutzt die Rennsaison für die Entwicklung von Batterien oder Antrieben, die später in deren Autos landen, teilweise sogar als Update für Bestandsfahrzeuge, weil es hier um Feintuning der Software geht. Eine solche Aktualisierung gab es schon und führte über Nacht zu mehr Reichweite aller betroffenen Elektrofahrzeuge. Porsche, Nissan, Stellantis: Sie alle nutzen die Formel E für die Entwicklung ihrer Straßenautos. Das gleiche bei Zulieferern. Hankook optimiert seine Reifen bei uns.

Was ist mit Tesla? Die haben überraschenderweise kein Team.
Das überrascht mich auch nicht. Wenn Tesla in die Formel E käme, hätte das Unternehmen gleich mehrere Probleme. Erstens: Jedes Team der Formel E nutzt die gleiche Batterie – und die ist nicht von Tesla. Das würde sicherlich keinem dort gefallen, wenn man mit einem Akku eines Konkurrenten unterwegs wäre. Zweitens: Tesla ist ein Synonym für Elektroautos. Was hätte es für einen Werbeeffekt, wenn man zeigen würde, dass man Elektrofahrzeuge baut? Und zu guter Letzt: Tesla hatte nie einen Rennstall und müsste sich das Know-How erst aufbauen. Ich würde also wetten, dass man deren Autos anfangs hinten im Feld antreffen würde. Tesla wäre in der Formel E nicht konkurrenzfähig. Und wie reizvoll ist das schon? Bei den anderen Teams sehe ich die Teilnahme schon als Werbung für die Elektroautos des jeweiligen Herstellers.

Gleichwohl haben Elektroautos in manchen Teilen der Welt, in Deutschland ganz besonders, derzeit einen schweren Stand. Was muss passieren, damit der Absatz wieder anzieht?
Sicherlich müssen die Hersteller an noch mehr Reichweite und kürzeren Ladezeiten arbeiten. Das ist wohl die größte Hürde. Gleichzeitig muss der Staat die Infrastruktur rasant ausbauen. Dann sehe ich nicht, warum Elektroautos Verbrenner nicht ablösen sollten.

Vielleicht, weil sie zu teuer sind?
Das reguliert sich doch von alleine. Natürlich wollen alle möglichst wenig bezahlen und ich denke, dass die Preise weiter sinken werden. Auch der Gebrauchtmarkt wird sich entspannen, da bin ich sicher. Das ist alles im Aufbau und mit der langen Verbrenner-Historie einfach nicht vergleichbar. Ein wenig Geduld sollte man mitbringen.