Kann man als Tochter noch stolz sein auf solche Adoptiv-Eltern? Solche, die wie General Motors, monatelang verkünden, dass sie das Töchterchen Opel nicht mehr haben wollen. Und dann doch an ihm festhalten, weil sie festgestellt haben, so hässlich ist die Kleine nun auch wieder nicht.
Wie kam es eigentlich, dass GM Opel gekauft hat? Die Antwort steht in einem Buch, das 1965 veröffentlicht und von einem kompetenten Autor geschrieben worden ist. Es trägt den Titel "Meine Jahre bei General Motors." Darin beschreibt der ehemalige und langjährige GM-Chef Alfred P. Sloan unter anderem den Weg zum Opel-Kauf. James D. Mooney, Anfang der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts Leiter der GM-Exportabteilung, wollte damals unbedingt den Aufbau einer europäischen Produktion des Konzerns in Gang bringen. Grund: Weitere Internationalisierung.
Sloan schreibt dazu: "Unsere ersten Überlegungen zur Sicherung einer europäischen Produktionsbasis betrafen die Citroën-Werke in Frankreich." Es ging um eine 50-Prozent-Beteiligung. GM-Vorstände reisten nach Frankreich und verhandelten mit André Citroën. Sloan: "Wenige Stunden, ehe wir wieder abfuhren, beschlossen wir, Citroën nicht zu kaufen." Grund: Es hätte Probleme mit der französischen Regierung gegeben, die nicht begeistert war von der Idee. Außerdem wären erhebliche Investitionen nötig gewesen.
Als nächstes Land für einen GM-Standort in Europa kam England in Frage. Die GM-Oberen überlegten, ob sie die britische Automarke Austin kaufen sollten. 1925 reiste wieder eine GM-Abordnung nach Europa und prüfte wochenlang, ob sich der Standort England lohnen könnte. Telegramme gingen hin und her. Darin wurde der Firmenwert auf 12,6 Millionen Dollar beziffert. Alfred P. Sloan gab sein Einverständnis zum Kauf. Doch es wurde nichts daraus - Austin bewertete die eigenen Aktien anders als GM. Am 11. September 1925 wurde das Übernahme-Angebot von GM zurückgezogen. Stattdessen kaufte der amerikanische Autoriese Vauxhall Motors Ende desselben Jahres.
Im Januar 1926 schließlich kam Deutschland während einer GM-Vorstandssitzung über die Ausdehnung des Exportgeschäfts als Standort in den Fokus. Weitere Sitzungen zu dem Thema gab es am 29. März und am 12. April desselben Jahres. Der Gedanke war, einen Kleinwagen in Deutschland herzustellen und ihn europaweit zu verkaufen. Sloan schreibt in seinem Buch: "Mr. Mooney führte aus, dass die Exportabteilung ihren Umsatz in den vergangenen fünf Jahren von 20 Millionen Dollar auf 250 Millionen Dollar ausgedehnt habe....Unser Hauptproblem besteht darin, unseren Gesamtumsatz von gegenwärtig 250 Millionen Dollar in der kürzest möglichen Zeit auf 500 Millionen Dollar zu erhöhen und Mittel zu entwickeln, dass eine fortlaufende Erhöhung auch in Zukunft stattfindet."
Mooney war für den Ausbau der Vauxhall-Fabrik und plädierte dafür, dort einen Kleinwagen bauen zu lassen. Sloan sah das anders und hielt einen Kauf von Opel für besser, um das gedachte Auto, viel kleiner als der kleinste Chevrolet, dort produzieren zu lassen. Ihm schien Deutschland in der Mitte Europas der bessere Standort zu sein. Monate vergingen, das GM-interne Gezerre um den richtigen Platz auf dem europäischen Kontinent zog sich in die Länge. Erst im Oktober 1928, nach einem Besuch bei Opel, legte sich General Motors fest. Sloan unterschrieb ein Vorkaufsrecht für Opel, gültig bis 1. April 1929. Voraussichtlicher Preis: ca. 30 Millionen Dollar. Es wurde eine GM-Kommission eingesetzt und zum Stammsitz von Opel nach Rüsselsheim entsandt, um die Modalitäten einer Übernahme zu klären und um die Fabrikationsanlagen in Augenschein zu nehmen. Ergebnis: "Die Adam Opel AG in Rüsselsheim war zur Herstellung von Automobilen gut ausgerüstet", schreibt Sloan in seinem Buch. Auch der Vertrieb mit 736 Händlern in Deutschland galt als schlagkräftig. Am 17. März 1929 schließlich verkauften die Brüder Wilhelm und Friedrich von Opel 80 Prozent ihrer Firmenanteile an GM - für 25,9 Millionen Dollar. Die restlichen 20 Prozent gaben sie 1931 an GM ab, für weitere 7,39 Millionen Dollar. Die Gesamtsumme von 33,36 Millionen Dollar entsprach umgerechnet 154 Millionen Reichsmark - ein für damalige Verhältnisse gigantischer Betrag.