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Verkehrswende Wie wäre eine Stadt ohne Autos? In Oslo kennt man schon die Antwort

Oslo: Wer die Stadt den Menschen zurückgeben will, muss sie dem Auto zuerst wegnehmen
Oslo: Wer die Stadt den Menschen zurückgeben will, muss sie dem Auto zuerst wegnehmen
© Stefan Auth / Picture Alliance
Oslo drängt die Autos aus der Stadt. Primär nicht aus Umweltgründen, sondern um die Stadt lebenswerter zu machen. Ein Beispiel, das Schule machen wird.

In den letzten siebzig Jahren wurde Oslo autogerecht gemacht. Das Kraftfahrzeug prägte eine Zeit lang die Vorstellungen so stark, dass man sich eine Stadt ohne Auto gar nicht mehr denken konnte. Das ist erstaunlich, weil es nie einen Zeitpunkt gab, an dem die meisten Bewegungen innerhalb der Stadt per Pkw erledigt wurden. Öffentlicher Nahverkehr, das Fahrrad und das einfache Laufen stellten stets die Mehrzahl der Personenbewegungen.

Die Stadt wurde geschlachtet

Um die Stadt für das Auto passend zu machen, musste Raum geschaffen werden. Denn das Auto ist vor allem ein Platzfresser. Ein Parkplatz misst etwa 15 Quadratmeter – das ist meist mehr als ein Kinderzimmer. Inklusive Sicherheitsabstand benötigt ein Pkw schon 70 Quadratmeter auf der Straße – die Fläche einer Wohnung, bei eingeschossiger Bebauung. So viel Verkehrsraum war in Städten natürlich nicht vorhanden, die einst für Kutschen gebaut wurden und in denen die Lasten entweder mit Schubkarren oder kleinen Wagen transportiert wurden, die von Hunden gezogen wurden.

Das Auto hat die Mobilität der Pkw-Fahrer enorm erhöht, doch es hat den Raum der Stadt, der für Parks, Alleen und große Plätze gedacht war, rücksichtslos okkupiert. Heute geht die große Zeit des Autos vorbei. In den Siebzigerjahren wollte man noch Kanäle in Stadtautobahnen verwandeln, Einfallstraßen mehrgeschossig ausbauen und die verbliebenen Parks der Stadt mit Tiefgaragen untertunneln. Diese Visionen gibt es nicht mehr, jede Stadt arbeitet heute daran, den motorisierten Verkehr zurückzudrängen oder zumindest ein weiteres Wachstum zu verhindern.

Verkehrsinfarkt verhindern

So unterschiedliche Städte wie Oslo, Paris, London oder Mexico City haben in den letzten Jahren mit ihren Anti-Autoplänen Schlagzeilen gemacht. Vor einigen Jahren ging es primär darum, das Auto vor dem Auto zu schützen, also einen Verkehrsinfarkt abzuwenden. Der Verkehr sollte weiter rollen, er sollte nicht ausgesperrt werden. Die City Maut in London diente diesem Zweck, doch heute hat sich die Vision geändert, es geht darum, die Stadt den Menschen zurückzugeben.

Wie das gehen kann, macht Oslo vor. Die Verkehrswende in der norwegischen Hauptstadt begann 2015, als die neu gewählte Stadtregierung ihre Absicht ankündigte bis 2019 Autos aus dem Stadtzentrum zu verbannen.

Mehr Lebensqualität

Umweltvorteile sind bei dem Projekt ein sekundäres Anliegen. Die Initiative will den Menschen in den Vordergrund stellen, den öffentlichen Verkehr stärken und die öffentliche statt die privaten Nutzung des gemeinsamen Raums fördern. Zusammen soll das vor allem das soziale Klima in der Stadt ändern. "Im Großen und Ganzen geht es darum, den Menschen die Straßen zurückzugeben", sagte Hanna Marcussen, Vizebürgermeisterin für Stadtentwicklung in Oslo. "Es geht um die Lebenserwartung."

Dazu wurden viele Straßen im Zentrum gesperrt, vor allem aber wurden die Parkplätze rigoros umgewidmet. In Oslo wird die Innenstadt wieder in den Zustand vor dem Autoverkehr zurück verwandelt. "Es geht darum, wie wir unsere Straßen nutzen wollen und wofür die Straßen sein sollen. Für uns sollte die Straße der Ort sein, an dem man Menschen trifft, in Außenrestaurants isst, an dem Kinder spielen und an dem Kunstwerke ausgestellt werden."

Autos verursachen Umweltschäden, aber noch wichtiger sind die sozialen Schäden, denn der Verkehr hat die Sozialräume der Städte buchstäblich aufgefressen. Je mehr Verkehr umso weniger soziale Interaktion, das ist die Kernthese von JH Crawford – dem Papst der "Carfree"-Bewegung. "Die Orte, die in den Städten am beliebtesten sind, sind immer die Orte ohne Autos", sagt er. Außerdem verknüpft Crawford das Thema Flächenbedarf des Autos mit der Wohnungsnot in Städten. Denn die reinen Parkplätze könnten auch von Wohnraum überbaut werden, so sein einfaches Kalkül.

Modellstädte, die zumindest in der Planung existieren, zeigen, dass eine Stadt auch ohne Auto denkbar ist, dass man Großstädte bauen kann, in denen alle Entfernungen zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden können. Fahrzeuge gibt es weiterhin. Nur die Herrschaftsverhältnisse haben sich umgekehrt. Zu Fuß geht man in der lichten Belleetage, die verbliebenen Autostraßen verlaufen darunter oder gleich ganz im Untergrund. In Europa ist die Zeit von vollkommen neu angelegten und am Reißbrett geplanten Städte allerdings vorbei. Hierzulande stellt sich die Frage wie ein Umbau einer existierenden Stadt vonstattengehen kann.

Rückbau durch Überzeugungskraft

Fachleute sind sich einig, wenn das Auto zurückgedrängt wird, muss gleichzeitig der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. "Die öffentlichen Verkehrsmittel decken alle meine Bedürfnisse ab", sagte der Osloer Hans Christian Tjonnas, dem Portal "Energienews". Neben dem öffentlichen Nahverkehr wurde dort das Bike-Sharing ausgebaut. Hier hatten die Skandinavier mehrere Ideen, die die Leihräder beliebt machten. Jedes Rad hat zum Beispiel einen eigenen Namen, der eine Beziehung zu Oslo hat. Dazu sind die Räder mit einer Live-Chat-Funktion versehen. "Sobald man die Straßen zurückerobert hat, öffnet es den Weg für all diese anderen Wege der Fortbewegung", sagt Johan Høgåsen-Hallesby, Chef von Urban Sharing.

Erfolgreich ist nicht der eine große Schlag, sondern eine Politik der kleinen Schritte, glaubt Hanna Marcussen. "Wir haben mit Piloten abgefangen, um den Menschen zu zeigen, wie es sein wird, und wir begannen, nach und nach Veränderungen vorzunehmen." Dahinter steht die Überzeugung, dass die Menschen lieber in einer autofreien Umgebung leben. Die geglückten Pilotprojekte sollen in anderen Zonen Wünsche nach weiteren Umgestaltungen wecken.

Zum Beispiel liegt einer der schönsten Plätze in Oslo vor dem Rathaus, aber bis vor Kurzem war er eine Kreuzung plus Parkplatz. "Als wir das Projekt vor etwa einem Jahr abgeschlossen haben, dachten die Leute, es sei seltsam - aber jetzt finden sie es seltsam, dass wir Autos überhaupt erlaubt haben, dort durchzufahren und zu halten."

"Wenn du wenig Platz hast, für wen sollte das sein?", meint Marcussen. "Wir wollen die Leute über die Autos stellen."

Quelle: Energienews

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