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Selbstversuch Car-Sharing Geht's auch ohne eigenes Auto?

stern-Redakteur Jan Boris Wintzenburg trennte sich vom eigenen Auto und probierte die Shared-Mobility aus. Ein Jahr lang, mit Erfolg und im Urlaub sogar mit fettem SUV.

Unser großes Experiment begann mit einem kleinen Brief: "Hiermit kündigen wir Ihnen Ihren Parkplatz fristgemäß zum 1. Juli 2013", stand da schwarz auf weiß. Der praktische Parkplatz, direkt bei unserer Wohnung! Hinter seiner rot-weißen Schranke hatten wir seit vielen Jahren unser Auto geparkt. Nun sollte er bebaut werden. „Moment, wir sind im Mieterverein“, schoss es mir durch den Kopf. Aber das relativ familienfreundliche deutsche Mietrecht gilt natürlich nicht für Parkplätze – selbst wenn die dort Stehenden fast schon zur Familie gehören.

Wohin also künftig mit unserem treuen Diesel, einem gut neun Jahre alten VW Passat Kombi? Der Wagen war nur wenige Monate älter als unsere Tochter. Wir hatten ihn damals schon mit Blick auf den Nachwuchs gekauft. Ohne teuren Schnickschnack wie Navi oder Lederausstattung, dafür mit Extras wie Airbags für die Rückbank und Isofix-Halterungen für Kindersitze. Ein gutes Auto, aber leider nun ohne feste Bleibe. Im Zentrum von Hamburg, noch dazu im Univiertel, war das ein Problem. Wir verbrachten Stunden mit der Parkplatzsuche, blickten besorgt aus dem Fenster, wenn mal wieder eine Demo vorbeizog, oder wussten nicht, wohin mit dem Wagen, wenn wegen Großveranstaltungen, Filmdrehs oder Bauarbeiten ganze Straßenzüge abgesperrt wurden.

Ende 2013 stellte meine Frau entnervt die entscheidende Frage: "Brauchen wir überhaupt ein eigenes Auto?" Mein Reflex war: Wie soll es denn ohne gehen? Die ganze Verwandtschaft wohnt im ländlichen Niedersachsen, und wir haben ein Wochenendhaus in Westfalen. Alles unerreichbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zumal mit zwei kleinen Kindern und Gepäck.

Die Ökonomie des Teiles

Dann dachte ich nach: Immerhin spricht doch alle Welt von der Ökonomie des Teilens. Sharing ist in. Man kauft sich ja auch keine Wohnung in Paris, nur weil man dort mal Eiffelturm und Louvre besuchen will. Man besorgt sich ein Zimmer auf Zeit.

Sogar die Autokonzerne setzen mit ihren Carsharing-Ablegern und Mietangeboten offenbar darauf, dass nicht jeder mehr ein eigenes Fahrzeug braucht. Ich rechnete nach: Rund 3400 Tage hatten wir unser Auto bisher besessen. Gefahren hatten wir es überschlägig aber nur 2400 Stunden, also gerade 100 Tage (siehe Rechnung im Kasten auf Seite 155). 97 Prozent Stillstand für eine Maschine, deren Anschaffung uns über 30 000 Euro gekostet hatte – mir schwante, dass das kein guter Deal war.

Und dazu kamen ja noch die laufenden Kosten. Aber wie hoch waren die überhaupt? Das Ergebnis der Addition von Tankquittungen, Reparaturrechnungen, Steuern, Versicherungen und, ja, Parkplatzmiete erschreckte mich noch mehr: Seit 2004 hatten wir im Schnitt rund 4000 Euro pro Jahr für unser Auto ausgegeben. Zusammen mit dem anteiligen Kaufpreis ergab das gut 7000 Euro im Jahr fürs eigene Fahrzeug. Das war happig. Dafür hätte man eine Menge anderer Verkehrsmittel nutzen können. Konnte es sein, dass unsere Familienkutsche jahrelang so teuer gewesen war, dass wir ohne Verzicht auch scheinbar teurere Alternativen wie Taxi und Mietwagen hätten nutzen können?

Wir einigten uns auf einen Versuch: ein Jahr lang Familienleben ohne eigenes Auto. Aber auch ohne Knausrigkeit: Wir versprachen uns, nicht auf den Cent zu achten, keine Ausflüge aus Kostengründen abzublasen, bei Regen auch mal ein Taxi vom Einkaufen nach Hause zu nehmen. Gleich nach Silvester verkauften wir unseren alten Passat, meldeten uns bei Car2go und DriveNow an, den beiden größten der konkurrierenden Carsharing- Anbieter in Hamburg, und recherchierten Mietwagenpreise – schließlich wollten wir nicht ohne Not draufzahlen. Nach Anrechnung des Verkaufserlöses für unser Auto wussten wir, dass jeder der 142 000 gefahrenen Kilometer mit unserem alten Passat uns rund 45 Cent gekostet hatte. Die galt es zu schlagen, sollte der Verzicht aufs eigene Auto kein Zuschussgeschäft werden.

Unser neues Leben begann im Januar 2014 mit typischem Hamburger Schmuddelwetter. Auf meiner neuen Smartphone- App von Car2go fand ich einen der 700 Smarts, die im Hamburger Stadtgebiet unterwegs sind, nicht allzu weit von unserer Wohnung entfernt geparkt. Also Kindersitzerhöhung in die eine Hand, Sohn an die andere und dann auf zur Kita. Normalerweise legen wir den Weg mit dem Fahrrad zurück, aber an diesem Morgen regnete es zu stark. Die Fahrt dorthin und dann weiter ins Büro dauerte 20 Minuten. Bei 29 Cent Minutenpreis, den der Zweisitzer kostet, machte das 5,80 Euro. Nicht gerade günstig für vier Kilometer, dafür aber trocken und viel schneller als mit dem Bus. Außerdem fand mein Sohn es toll, weil er im Smart notgedrungen vorn sitzen durfte. Und wir wollten ja nicht knausern. Kilometerpreis: 1,45 Euro.

Wer in der Innenstadt lebt, kann in der Regel zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen. Bloß bei Getränken sind wir früher oft aufs Auto ausgewichen. Wer schleppt schon gern Wasserkisten ein paar Hundert Meter nach Hause? Dieses Problem löste ich mit vier Winkeleisen und ein paar Schrauben aus dem Baumarkt: Mein Fahrrad hat jetzt Haken am Gepäckträger, die zwei Wasserkisten halten. Eine weitere stelle ich dann quer darauf und radle bis vor den Laden. Praktisch. Kostenpunkt: einmalig etwa neun Euro.

Die erste längere Fahrt machte meine Frau mit den beiden Kindern: Sie wollten zu Oma und Opa aufs Land, gute 70 Kilometer von uns entfernt. Ein zweisitziger Smart passte da nicht. Aber DriveNow, die Carsharing-Tochter von BMW, hat Viersitzer im Angebot: 450 Mini und BMW 1er stehen auf Hamburgs Straßen bereit. Sogar Cabrios sind dabei. Sie schnappte sich einen Mini ganz in der Nähe und wählte ein Neun-Stunden- Paket auf dem Fahrzeugmonitor aus. Das kostet 69 Euro pauschal und hat 200 Kilometer inklusive. Für die längere Strecke kamen dann noch die Kindersitze aus dem Keller rein, und es ging los. Abends stellte sie den Wagen dann vor dem Haus ab, wo sonntags oft Parkplätze frei sind, verriegelte ihn mit ihrer Kundenkarte und war die Sorge ums Auto los. Kilometerpreis: 49 Cent.

Das geht auch billiger

Das musste günstiger gehen. Ende Januar wollten wir das erste Mal in unser Häuschen auf dem Land, ein Familienerbstück, leider gute 300 Kilometer entfernt. Als Car2go-Kunde hatte mir der Autovermieter Europcar 15 Prozent Rabatt angeboten. Also mietete ich einen VW Golf Kombi. An Wochenenden sind Mietwagen in Deutschland günstig: Europcar berechnete für diese familientaugliche Fahrzeugklasse von Freitag um zwölf Uhr bis Montagmorgen um neun Uhr rund 79 Euro.

Inklusive Vollkaskoversicherung. Wir bekamen sogar ein deutlich größeres Modell, einen Ford Mondeo Kombi, gut ausgestattet, mit kräftigem Diesel und Navigation. Ich holte den Wagen auf dem Weg von der Arbeit ab und stellte ihn Montagmorgen beim Vermieter wieder hin. Das dauerte jeweils gerade fünf Minuten. Samt Sprit kostete uns der Trip 27 Cent pro Kilometer.

Ein Preisvergleich zeigte: Die Konkurrenz zwischen den Autovermietern ist offenbar so hoch, dass auch Avis, Hertz, Sixt oder lokale Anbieter kaum teurer waren. Wir mieteten also künftig dort, wo die Mietstation am günstigsten lag. Schließlich wollten wir ja nicht Tage und Wochen mit Preisvergleichen verplempern. Über die vergangenen Monate fuhren wir noch VW, Mercedes, Hyundai oder Seat, immer ziemlich neu, immer sauber und technisch okay. Ölwechsel, Reparaturen und Autowäsche gehörten zur Vergangenheit. Die Kilometerkosten der Mietwagen lagen je nach Strecke um die 25 Cent. Faustregel: je weiter, desto niedriger. Am günstigsten waren wir mit einem Opel Astra unterwegs, der uns für 19 Cent transportierte. Nur zum Skifahren in Norwegen wurde es teurer. Aber geplant: Ich hatte angesichts der zu erwartenden Straßenverhältnisse auf einem großen Geländewagen bestanden, einem VW Touareg. Wir wollten nicht knausern – und ich den Fahrspaß. Der Wagen kam frisch vom Fließband, hatte nur 70 Kilometer auf dem Tacho, Allradantrieb, einen Drei-Liter- Diesel mit 240 PS und Lederausstattung. Ich wühlte mich durch den tiefsten Schnee, selbst ohne Ketten, und unsere Ski passten auch prima rein. Kilometerpreis samt Sprit: 60 Cent.

Bloß eine Sache wurde etwas teurer: Die elektronisch erhobene Maut in Oslo. Wir bekamen nämlich zwei Rechnungen. Eine für die Maut über 5,63 Euro und eine von Europcar über 14,50 Euro für die Bearbeitung des Ganzen. Die zahlte ich dann später noch mal, als ich geblitzt wurde. In den vergangenen zehn Monaten fuhren wir auch mit der Bahn und, wenn es schnell gehen musste, mit dem Taxi. Wir radelten mehr als früher, was in der Stadt oft am schnellsten geht und außerdem fit hält. Wir mieteten manchmal zwei Autos gleichzeitig, wenn wir getrennt unterwegs waren. Wir flogen in den Urlaub nach Spanien und nahmen dort einen Mietwagen, statt im eigenen Auto loszuzuckeln wie früher. Und wir lernten den öffentlichen Nahverkehr wieder schätzen, der per App auf dem Handy heute viel leichter zu nutzen ist: einfach Ziel eingeben und die schnellste Route nehmen. Kurz: Wir gewöhnten uns schnell an das neue Leben.

Über 50 Einträge hat die Liste mit all unseren benutzten Verkehrsmitteln bis heute. Wir haben gut 15 000 Kilometer zurückgelegt, ungefähr so viel wie früher auch. Die haben uns knapp 4500 Euro gekostet. Das sind knapp 30 Cent pro Kilometer. Im Vergleich zu den 45 Cent für unser altes Auto haben wir also gespart, ohne uns einzuschränken. Manchmal waren wir sogar flexibler, komfortabler und sicherer unterwegs. Klar, so etwas geht nur in Städten mit breitem Angebot an Carsharing, Mietwagenstationen und gutem Nahverkehr. Aber das sind gar nicht mehr so wenige. Und selbst auf dem Land tut sich in Sachen Carsharing was. Unser Experiment ist jedenfalls geglückt – und wird fortgesetzt.

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