Software kennt bekanntlich keine Grenzen. Die Bits und Bytes haben mittlerweile jede noch so kleine Ecke des Fahrzeugs erobert, die Produktion revolutioniert und mit jedem weiteren Schritt in die Elektromobilität geht es noch tiefer ins Fahrzeug hinein. Auch wenn Mercedes seit Jahren IT-Standorte in den USA, China, Israel oder Indien betreibt, ist der wichtigste Standort für künftige Entwicklungen ab sofort im heimischen Sindelfingen. Ähnlich wie der Volkswagen Konzern, der mit seinem IT-Ableger Cariat die Software-Entwicklungen in eigene Hände nimmt, will sich auch Mercedes unabhängiger von IT-Zulieferern machen. Das Gehirn zukünftiger Entwicklungen befindet sich dabei im neu erschaffenen ESH – dem Electronic Software Hub, der sich im Mercedes Technology Center befindet. Das Investitionsvolumen: stattliche 200 Millionen Euro.
Heimspiel für die weite Welt

Im ESH sind innerhalb der Entwicklung verschiedene Funktionen zu Software, Hardware, System-Integration und Test gebündelt. „Der Electric Software Hub ist ein Epizentrum unserer Forschung und Entwicklung und gleichzeitig eng vernetzt mit den weltweiten Produktionsstandorten. Hier werden zentrale Aspekte der Zukunft von Mercedes Benz Realität – insbesondere unser eigenes Betriebssystem MB.OS“, erklärt Markus Schäfer, Entwicklungsvorstand der Mercedes Group AG, „Autos gehören zu den komplexesten Produkten überhaupt. Die Hard- und Software sind entkoppelt und müssen perfekt zusammenspielen. Das gewährleisten wir im Electric Software Hub: Er ist unsere Software-Integrationsfabrik.“ Neben dem neuen Gebäude soll es 2.000 neue IT-Stellen geben – 1.000 sind bereits vergeben.
Von außen präsentiert sich der gläserne Glaskubus mit dem Electric Software Hub völlig anders als die anderen blassen Gebäude auf dem Firmengelände. Das neue ESH-Bauwerk verfügt über eine Fläche von 70.000 Quadratmeter, die sich auf acht Ebenen verteilt. Im Innern des Electric Software Hubs spiegelt sich der gesamte Elektrik-/Elektronik-Integrationsprozess der Fahrzeugentwicklung wider. „Gearbeitet wird von oben nach unten – nicht in festen Abteilungen, sondern in flexiblen Teams“, sagt Mercedes-CTO Magnus Östberg. Dabei gibt es keinerlei Trennung mehr zwischen Werkstätten, Laboren und Büros. Viel Glas, modulare Räumlichkeiten und eine offene Architektur sollen gemeinsames Arbeiten ohne räumliche Grenzen ermöglichen. Ähnlich wie am Standort in Sunnyale / Kalifornien gibt es möblierte Freiflächen für die Angestellten, die für Pausen und Kreativarbeit genutzt werden können. Bleibt die Frage, ob nach Sindelfingen mittags auch die schmackhaften Foodtrucks kommen.
In den oberen Stockwerken befinden sich die Software Code-Erstellung und die Labore der Vorintegration. Hier testen die Experten zunächst mit virtuellen Technologien und Simulation, ob die verschiedenen Software-Komponenten miteinander interagieren und die Fahrzeugfunktionen fehlerfrei umgesetzt werden. Selbst die vollständige Simulation einer Erprobung im Fahrzeug ist im Electric Software Hub durch die Technologie der digitalen Erprobungsfahrt möglich. Dabei wird in einer vollständig simulierten Umwelt ein virtuelles Fahrzeug in gleicher Weise bewegt und getestet, wie dies bei einer realen Fahrerprobung der Fall wäre – nur findet diese Erprobungsfahrt in einem Labor auf dem sechsten Stockwerk des Electric Software Hubs statt.
Auf Ebene vier parken die fahrbaren Prototypen. Darunter befinden sich Labore und Werkstätten, wo sich die Gegebenheiten auf den Straßen in aller Welt nachstellen lassen. Prüfstände erlauben dabei Tests bei Temperaturen von 30 bis + 50 Grad Celsius und Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h. Zudem verfügt der Electric Software Hub über 250 Stationen für Elektroautos, an denen sich mit Hochgeschwindigkeit laden lässt. Und diese Hochgeschwindigkeit soll nun auch in die Autoentwicklung einziehen. Hinter den Kulissen hört man, dass neue Prozesse und der Software Hub die Fahrzeugentwicklungszeit von rund 60 bis 72 Monate um ein bis eineinhalb Jahre verkürzen kann.