Am 1. April 2003 trat in Deutschland ein neues Jugendschutzgesetz in Kraft. Es schreibt unter anderem verbindliche Altersfreigaben für Computerspiele vor - bis dahin waren die Prüfsiegel der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) bloße Kaufberatung. Mit der Gesetzesreform wurde die USK im Auftrag des Staates tätig, ihre Altersfreigaben haben fortan rechtliche Wirkung: Spielehändler sind fortan verpflichtet, das Alter ihrer Kundschaft zu überprüfen.
Hält die USK ein Programm für jugendgefährdend, oder vermutet sie gar Verstöße gegen strafgesetzliche Vorschriften wie das Verbot von Gewaltverherrlichung oder Volksverhetzung, lehnt sie eine Kennzeichnung ab. Daraufhin wird die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) aktiv, eine rein staatliche Behörde. Kommen ihre zwölf Gremiumsmitglieder zu dem gleichen Schluss wie die USK, wandert das betreffende Spiel auf den Index: Es darf nun nicht mehr öffentlich beworben oder frei verkauft werden, sondern nur noch in Erwachsenenbereichen. Wenn die USK jedoch ein Prüfsiegel erteilt, bleiben der BPjM die Hände gebunden; Spiele mit Kennzeichnung sind quasi indizierungsgeschützt. Für erwachsene Spieler brachte dieses neue Jugendschutzgesetz von 2003 daher praktisch nur Vorteile: Durch den Vorrang der USK werden seitdem weniger Titel indiziert.
Unterstellte Lücken
"Kritische systematische Lücken" im Jugendschutz bestehen nach Ansicht des Instituts nicht. Das Bundesfamilienministerium sieht das offenbar anders. Gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Familienminister Armin Laschet initiierte die Ministerin Ursula von der Leyen einen Entwurf für eine Änderung des Jugendschutzgesetzes. Am 19. Dezember 2007 segnete das Bundeskabinett die Vorlage ab. Damit die Änderungen in Kraft treten, muss der Bundestag dem Entwurf mit einfacher Mehrheit annehmen, anschließend ist die Zustimmung des Bundesrats notwendig.
Von der Leyens Konzept umfasst drei Hauptmaßnahmen. Zum einen soll das USK-Siegel auf Spielepackungen raumfüllender werden, nämlich mindestens 1200 Quadratmillimeter groß. Das Siegel bekommt damit eine Seitenlänge von ungefähr 3,5 Zentimetern. "Diese Alterskennzeichen sind wie die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen nicht mehr zu übersehen", so die Ministerin.
Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), Sprachrohr zahlreicher Anbieter und Produzenten von Computerspielen in Deutschland, sieht das anders: "Wenn die Kennzeichen bislang nur eingeschränkt wahrgenommen werden, ist das eher auf ihre Gestaltung zurückzuführen", so Olaf Wolters, Geschäftsführer des BIU. Wolters sieht eher ein Problem in den Bezeichnungen der Einstufungen: "ohne Altersbeschränkung" und "keine Jugendfreigabe" seien missverständlich.
Auch das Hans-Bredow-Institut hält es für sinnvoll, die sperrige Bezeichnung "keine Altersfreigabe" wieder in "ab 18 Jahren" zu ändern. Für die Käufer wäre damit klarer, welches Spiel für Kinder und Jugendliche und welches nur für Erwachsene bestimmt ist.
Unterstellte Folgen
Als zweite Änderung des Jugendschutzgesetzes sollen die Indizierungsgründe ausgeweitet werden: Selbstzweckhafte Mord- und Metzelszenen sowie die Glorifizierung von Selbstjustiz gelten fortan als eindeutig jugendgefährdend. Eine Ausweitung, die keine ist, denn die BPjM behandelt beides in ihrem internen Prüfverfahren seit jeher als Indizierungskriterium.
Die dritte geplante Neuerung ist die entscheidende. Künftig sollen auch Spiele, die "von besonders realistischer, grausamer oder reißerisch dargestellter, selbstzweckhafter Gewalt beherrscht werden", als schwer jugendgefährdend gelten und damit wie etwa Kriegsverherrlichung oder Pornographie per Gesetz unmittelbar auf dem Index landen - auch ohne ein vorheriges Verfahren bei der BPjM.
Was einen Film zum Porno macht, davon haben auch juristische Laien eine Vorstellung. Was aber "gewaltbeherrscht" bedeutet, ist bislang ebenso ungeklärt wie der "Killerspiel"-Begriff selbst. Stellt man etwa auf den im Gesetzesentwurf genannten besonderen Realismus ab, könnten grafisch opulente Shooter wie Crysis oder Bioshock auf dem Index landen.
Tritt die Änderung in Kraft, entscheiden fortan die Staatsanwaltschaften, welche Spiele in der Praxis als "gewaltbeherrscht" angesehen werden. Letztlich wird sich also erst nach Inkrafttreten der Neuregelung erweisen, welche Titel von der Verschärfung überhaupt betroffen sind - ein aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklicher Zustand. Diese Auffassung teilt auch der BIU. Olaf Wolters: "Anbieter von Computerspielen werden nicht mehr beurteilen können, welche Gewaltdarstellung noch erlaubt ist und welche nicht." Das will sich der BIU nicht bieten lassen: "Sollte die Gesetzesvorlage in dieser Form in Kraft treten, werden wir den Gang zum Bundesverfassungsgericht prüfen müssen. Es kann nicht sein, dass Computerspiele für Erwachsene praktisch wie Pornographie behandelt werden", so Wolters.
Unterstellte Chancen
Die Staatsanwaltschaften sind dazu verpflichtet, angezeigten Straftaten nachzugehen. Wendet sich etwa ein besorgter Familienvater an die Polizei und weist auf ein Spiel hin, das ihm schwer jugendgefährdend erscheint, müssen die Ermittlungsbehörden tätig werden und zu einer Entscheidung kommen - ist das Spiel "gewaltbeherrscht" oder nicht?
Allerdings sieht bereits das derzeit bestehende Jugendschutzgesetz Tatbestände vor, in denen ein Spiel per Gesetz als indiziert gilt. Zum Beispiel, wenn es gegen strafrechtliche Verbote verstößt, den Krieg verherrlicht oder menschenunwürdige Gewalttaten darstellt. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass Spiele in der Regel erst dann als schwer jugendgefährdend eingestuft werden, wenn das Prüfgremium der BPjM zu dieser Überzeugung gelangt ist. Fälle, in denen Staatsanwälte und Gerichte ein Spiel aus eigenem Antrieb heraus auf den Index verbannt hätten, sind der Redaktion nicht bekannt.
Damit von der Leyens Entwurf trotzdem nicht in seiner geplanten Form zum Gesetz wird, will der BIU bei den zuständigen Bundestagsausschüssen vorsprechen. Ganz verhindern lässt sich die Vorlage aber wohl nicht mehr. "Am Ende wird es wahrscheinlich die eine oder andere Modifikation des Jugendschutzgesetzes geben", schätzt Wolters. BPjM-Insider halten die Änderungen ebenfalls für sehr wahrscheinlich. Die Chancen, dass die Verschärfung des Jugendschutzgesetzes in Kraft tritt, stehen also gut. Die Chancen, dass sich damit für die Spieler kaum etwas ändert, aber auch. Von größeren USK-Aufklebern einmal abgesehen.