Erster Todestag von Steve Jobs Das Erbe des iGods

  • von Karsten Lemm
Ein Jahr nach dem Tod von Steve Jobs steht Apple besser da denn je. Doch kann die Firma unter Jobs' Nachfolger Tim Cook auch neue Wunder vollbringen?

Der Ort, an dem einmal das UFO landen soll, hat etwas Gewöhnliches: Beton, Parkplätze, geduckte Gebäude und zwischendrin ein paar Alibi-Bäume, so zeigt sich das Gelände am Südrand des Silicon Valley, auf dem Apple sich selbst – und dem Mann, der nicht mehr da ist – einen Traum erfüllen will. 2015 sollen hier 12.000 Mitarbeiter einziehen, alle unter einem Dach in einem riesigen Gebäude, das rund und größtenteils aus Glas ist, in seinem Herzen ein grüner Park. Doppelt so viele Bäume will Apple pflanzen, die Autos in eine unterirdische Garage verbannen und mit alledem ein Zeichen setzen, genau wie mit dem iPod, dem iPhone, dem iPad.

"Ich glaube, wir haben eine Chance, das großartigste Bürogebäude der Welt zu bauen", sagte Steve Jobs, Apples Mitgründer und visionärer Lenker, in einer Anhörung vor dem Stadtrat von Cupertino, dem Geburtsort seiner Firma. Jobs war von Krankheit gezeichnet, doch als Verkäufer grandioser Ideen nicht zu stoppen. "Es sieht ein bisschen aus wie ein Raumschiff", schwärmte er. "Architekturstudenten werden kommen, um sich das alles anzuschauen – so gut ist es." Der Auftritt im Juni 2011 sollte sein letzter werden. Wenige Wochen später, am 5. Oktober 2011, starb der Apple-Chef , mit nur 56 Jahren Opfer seines langen Kampfes gegen den Krebs.

Der Apfel glänzt heller denn je

Jobs' Geist allerdings lebt weiter: Heute, ein Jahr nach seinem Tod, geht es Apple so gut wie nie. Der Umsatz ist in den vergangenen zwölf Monaten auf 150 Milliarden Dollar gestiegen – ein Plus von sagenhaften 50 Prozent. Mit einem Börsengewicht von derzeit 630 Milliarden Dollar gehört der kalifornische Computerpionier zu den wertvollsten Unternehmen aller Zeiten; man muss das Bruttosozialprodukt von Dänemark, Irland, Bulgarien und dem Kongo zusammenrechnen, um auf eine ähnlich große Summe zu kommen.

Über den Erfolgszahlen freilich hängt ein großes Fragezeichen: Wie lange kann dieser Höhenflug noch anhalten? Jobs' Nachfolger Tim Cook ringt ausgerechnet zum Todestag des Apple-Übervaters mit dem ersten großen Fauxpas seiner Amtszeit. Der Umstieg von Google Maps auf Apples eigenen Kartendienst in der neuesten iPhone-Software missriet so gründlich, dass der Vorstandschef sich zu einer öffentlichen Entschuldigung genötigt sah.

Falsche Ortsangaben, fehlerhafte Wegbeschreibungen, etliche Restaurants, Tankstellen, Geschäfte, die längst nicht mehr existieren – der Ärger, den all solche Irreführungen bereitet haben, "tut uns ausgesprochen leid", schrieb Cook in einem offenen Brief an seine Kunden und gelobte: "Wir werden rund um die Uhr daran arbeiten", den hauseigenen Routenplaner so verlässlich zu machen, wie es die Welt von Apple erwartet.

Auch Steve machte Fehler

Kritiker mögen darin erste Zeichen von Schwäche sehen; Cooks Verteidiger halten dagegen, dass Apple sich auch unter dem gottgleich verehrten Steve Jobs so machen Fehltritt erlaubt hat – etwa das umstrittene iPhone 4-Design mit nur mäßigen Empfangseigenschaften (Stichwort "Antennagate"). "Steve hatte nicht immer Recht", sagt ein ehemaliger Topmanager, der nicht genannt werden will. "Er lag nur oft genug richtig, dass seine Hits die Flops überstrahlten. Risiko ist notwendig, und gute Firmenlenker scheuen nicht davor zurück, auch gewagte Entscheidungen zu treffen."

Auf den ersten Blick wirkt der nüchterne Finanzexperte Tim Cook wie das genaue Gegenteil seines aufbrausenden, emotionalen Vorgängers Steve Jobs. Mit seinem grauem Haar, der randlosen Brille und der bedächtigen Art zu sprechen, im gemütlichen Singsang seines Heimatstaates Alabama, erinnert der 51-Jährige an einen freundlichen Professor. Bis zu seiner Berufung im August vorigen Jahres war Cook Apples operativer Chef – und damit verantwortlich für reibungslose Abläufe, nicht für bahnbrechende Ideen, Herzklopfen und das Staunen der Welt.

Dennoch sehen Kenner des Unternehmens in dem ledigen Workaholic, der oft schon im Morgengrauen erste E-Mails verschickt, den idealen Mann für die Aufgabe, Apple in die Zukunft zu führen. "Viele glauben, Steve war zuständig für das Kreative, und Tim hat sich nur um die Abläufe gekümmert", sagt Bob Borchers, früher im Entwicklungsteam für das Original-iPhone, heute Risikoinvestor bei Opus Capital im Silicon Valley. Doch auf diese Weise hätte der einst auf Macintosh-Rechner beschränkte PC-Hersteller nie über sich hinauswachsen können, argumentiert er. "Es gab viele Überlappungen zwischen Steve und Tim. Nur so konnte die Rechnung 1+1 eine 3 ergeben."

Der ruhige Jobs

Dass Apple wie auf Autopilot weiterhin Rekordergebnisse verbucht, liegt auch an einer eingespielten Gruppe aus Apple-Veteranen, die Cook umgibt, darunter der Designer Jonathan Ive, Marketingchef Phil Schiller und iPhone-Chef Scott Forstall. "Steve gab die Richtung vor, aber hinter ihm stand ein Team, das seine Strategie enorm gut umgesetzt hat", sagt der hochrangige Ex-Manager, der anonym bleiben will. "Kann Apple weiter innovativ sein und erfolgreich bleiben? Solange Tim an der Spitze steht, ganz bestimmt!"

Rastlos treibt Cook seine Mitarbeiter an, immer neue Höchstleistungen zu vollbringen. In Marathon-Sitzungen kann man den Sportfan und Dauerläufer dabei beobachten, wie er wortlos Energieriegel und Zahlenreihen verschlingt. Gefürchtet sind die Momente, in denen Cook sich in Details verbeißt und nicht mehr loslässt. "Er kann genauso gnadenlos sein wie Steve Jobs", sagt Adam Lashinsky, Autor des Buches "Inside Apple", das gerade auch auf Deutsch erschienen ist. "Er schreit nur nicht dabei herum."

Cook braucht ein eigenes iWunder

Cook weiß: Auf lange Sicht genügt es nicht, die Firma schlicht auf Kurs zu halten; er muss eigene iWunder vollbringen und neue Geschäftsfelder erobern – den Bildungsmarkt etwa, mit dem iPad als Lerntafel für das Digitalzeitalter, oder das Wohnzimmer, in dem die Kalifornier mit ihrem Apple TV bisher nur eine Nebenrolle spielen. "Das wird der große Test", sagt Bob Borchers. "Welche Märkte kann Apple als nächstes neu erfinden?"

In der Zwischenzeit rücken in Cupertino die Bautrupps an und lassen die neue Zentrale aus dem Boden wachsen. Wenn Apple in drei Jahren einzieht, wird Steve Jobs wird nicht dabei sein – doch er kannte das Gelände, das lange dem PC-Giganten Hewlett-Packard gehörte. "Als ich ein Teenager war, habe ich Bill Hewlett angerufen und ihn gefragt, ob er mir ein paar Bauteile geben könnte", erinnerte Jobs sich auf der Stadtrats-Sitzung. Der Mitgründer von HP war großzügig und gab dem jungen Computerfan gleich noch einen Aushilfsjob für den Sommer. "Ich war", sagte Jobs, "im Himmel."

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