Passagierdaten Neue Träume vom "gläsernen Reisenden"

Von Susanne Härpfer
Die Weitergabe von Flugpassagierdaten an die USA ist kontrovers diskutiert worden. Wesentlich stiller ist es um die Erfassung von Reisenden, wie sie Großbritannien schon betreibt und noch ausbaut. Ein Modell für ganz Europa, wünschen sich einige Politiker.

Die Europäische Kommission erwägt offenbar doch eine Ausweitung der Nutzung von Passagierdaten. Dies berichtet das Fachblatt "Defense News" in seiner jüngsten Ausgabe. Die Zeitschrift beruft sich auf Jonathan Faull, Leiter der Abteilung für Rechts- und Sicherheitsfragen der Europäischen Commission. "Je mehr Daten Polizei und andere Behörden erhalten, desto glücklicher sind sie", wird Faull zitiert. Passagierdaten, auch als PNR bekannt gehörten dazu.

Damit bekommt ein Überwachungsprojekt erneut Aktualität.

Bei dem Projekt geht es um die Erfassung und Übermittlung von Passagierdaten im großen Stil nach britischem Vorbild. Bislang konzentriert sich die Debatte auf die Weitergaben von Flugpassagierdaten an die USA. Datenschützer kritisieren den Austausch. Der Europäische Gerichtshof verbot sogar eine entsprechende Direktive aus formalen Gründen, dennoch soll sie in nationales Recht umgesetzt werden. Zurzeit hat Deutschland im Rat der Europäischen Union die Präsidentschaft und verhandelt zusammen mit der Kommission über die Bedingungen, zu denen die Daten übermittelt werden sollen.

Mehr als nur Flugdaten

Allerdings: Die aktuelle Debatte hinkt hinterher. Längst wird an einer umfassenderen Kontrolle gearbeitet. In Zukunft können nämlich auch Daten von Bus- und Bahnreisenden erfasst und ausgetauscht werden.

Die rechtlichen Weichen dafür wurden bereits vor zwei Jahren auf europäischer Ebene gestellt. Die umstrittene Direktive 82 regelt hauptsächlich die Weitergabe von Passagierdaten von Luftfahrtunternehmen an die USA. Punkt 8 erlaubt aber auch, Daten "anderer Beförderungsunternehmen" zu erfassen und abzugleichen.

IBM buhlt um Aufträge

Damit ist der Weg längst frei für ein IBM-Projekt, das künftig auch jeden, der eine Fernreise mit Bahn- oder Bus machen will, in behördlichen Datenbanken Überprüfen möchte.

"Verbrecher sind wie Stecknadeln im Heuhaufen. Warum die 'Nadeln im Heuhaufen' erst an der Grenze suchen, wenn man den Heuhaufen vorher intensiver durchsuchen kann?", wirbt IBM unter anderem beim Bundesinnenministerium (BMI), der Europäischen Union und auf Fachkonferenzen für ein Komplettpaket der Überwachung.

IBM bewirbt das Orwell-Angebot mit dem Argument, die Firmensoftware und Computer stünden sowieso in Reisebüros, bei Polizei und Geheimdiensten. Man brauche sie nur noch zu vernetzen.

"Als Referenzen führt der Konzern Regierungen von so etablierten Demokratien wie China und Marokko an. Wenn's nach IBM ginge, würde jeder, der ein Ticket kauft, erfasst und mit Datenbanken von Polizei und Geheimdienst abgeglichen. Nur mit welchen Datenbanken, das ist die Frage", kritisiert Tony Bunyan von der Londoner Datenschutzorganisation "Statewatch" den Ansatz. Geregelt ist dies nämlich nicht. Jedes Land hat andere Listen und erfasst Bürger nach unterschiedlichen Kriterien. Für alle gilt allerdings die Definition des Europäischen Rats. Die stuft jeden als Terroristen ein, "der öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zwingen" will. Damit gilt jeder Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration oder einer Sitzblockade als potenzieller Terrorist und kann entsprechend behandelt werden.

Codename Semaphore

Im Vereinigten Königreich gibt es bereits ein vergleichbares Projekt unter dem Codenamen Semaphore. Eigentlich heißt so in der Küstensprache ein Signalmast zum Anzeigen der Windstärke. Jeder Flugpassagier, der nach Großbritannien von den USA, Thailand oder anderen Ländern aus einreist oder dorthin fliegt, wird bereits beim Ticketkauf erfasst und in Datenbanken überprüft. Während der Datenabgleich mit den USA für Wirbel sorgt, wissen nur wenige Experten von Semaphore. Dabei sind schon heute auch Deutsche betroffen, wenn sie z.B. Thailand- oder Karibikurlaub machen. Denn viele karibische Inseln gehören zum Vereinigten Königreich. Wer dort ein- oder ausreist, wird bereits im Reisebüro oder bei der Buchung von der Fluglinie erfasst und mit Dateien der britischen Nachrichtendienste MI 5, MI 6, der Polizei Scotland Yard und Metropolitan Police sowie weiteren Behörden abgeglichen. Und wer über England nach Thailand zum Baden fliegt, gerät auch ins Visier. Das System wird in Großbritannien gerade auf den Seeweg ausgeweitet. "Daher weht also der Wind", kommentiert Tony Bunyan die Avancen des Computer-Multis, künftig alle Reisenden in ganz Schengen zu überwachen. Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission und zuständig für Justiz und Sicherheitsfragen, fordert bereits jetzt ein System, das Name, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Angaben über Kreditkarten, Hotel- und Leihwagenbuchungen aller Flugpassagiere an europäische Regierungen weiterleitet.

Auch deutschen Innenbehörden kommt die Umwerbung durch IBM gerade Recht. Seit den Meldungen über die Funde der Kofferbomben in deutschen Bahnhöfen, fordern sie eine stärkere Kontrolle aller Bahnreisenden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will noch mehr Datenaustausch mit den USA in Sicherheitsfragen. Dies erklärte er gemeinsam mit dem amerikanischen Minister für Homeland Security Michael Chertoff. Dazu sollen Fragen der Biometrie, des Visa-Verfahrens, aber auch der Austausch von Flugpassagierdaten und IT-Projekte gehören. Eine klammheimliche Einführung in Deutschland wurde aber offenbar durch die Presseanfrage für diesen Artikel verhindert - denn, so das Bundesinnenministerium auf Anfrage: "Planungs- und Prüfarbeiten" könnten "nur dann mit Aussicht auf Erfolg geleistet werden, wenn sie vertraulich erfolgen."

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